Der Zeitpunkt, wann ein Baby Beikost erhalten muss, ist von
verschiedenen Seiten oft recht willkürlich gewählt und hat sich im Laufe
der Zeit immer wieder verändert, ohne dass es einen echten Beweis für
die absolute Richtigkeit des jeweiligen Zeitpunktes gibt. So hat zum
Beispiel die Säuglingsnahrungsindustrie
versucht, ganz massiv Einfluss auf die Empfehlungen der WHO zu nehmen
und zu erreichen, dass die Empfehlung „Sechs Monate ausschließlich
stillen" wieder in „vier bis sechs Monate" umgewandelt wird. Die Frage
stellt sich nun: Warum wollten die Hersteller von Säuglingsnahrung das
wohl und warum ist die WHO standhaft geblieben?
Von daher ist es sicher sinnvoll, wenn Eltern ihr Kind anschauen und
nicht nur den Kalender, wenn es um das Thema Beikost geht. Bei anderen
Entwicklungsschritten ist es ja auch selbstverständlich, dass eine
gewisse Spannweite als „normal" angesehen wird. Von Stillexperten
weltweit (ganz gleich, ob Sie nun bei LLLInternational oder der
Australian Breastfeeding Association o.a. nachlesen) wird empfohlen, bei
einem voll ausgetragenen, gesunden Kind die folgenden Anzeichen als
„Startschuss" für die Beikost zu sehen:
• das Kind ist in der Lage alleine aufrecht zu sitzen,
• der Zungenstoßreflex, durch den das Baby feste Nahrung automatisch wieder aus dem Mund herausschiebt, hat sich abgeschwächt,
• es zeigt Bereitschaft zum Kauen,
• es kann selbstständig Nahrung aufnehmen und in den Mund stecken,
• es zeigt ein gesteigertes Stillbedürfnis, das sich nicht mit einer
Erkrankung, dem Zahnen oder einer Veränderung in seiner Umgebung oder in
seinem Tagesablauf in Verbindung bringen läßt.
Dies ist bei einem gesunden, voll ausgetragenen Baby etwa mit sechs
Monaten der Fall, bei wenigen Kindern früher, bei gar nicht so wenigen
später. Ehe diese Zeichen nicht zu erkennen sind, sollte noch keine
Beikost eingeführt werden. Eine zu frühe Einführung der Beikost ist
nicht sinnvoll, da dadurch der Organismus des Kindes überfordert werden
kann, vor allen der Darm und die Nieren (erhöhte Molenlast) des Kindes
können überlastet werden und außerdem erhöht eine zu frühe Einführung
der Beikost das Allergierisiko.
Außerdem gibt es Untersuchungen über den Entwicklungs- und Ernährungszustand von Kindern, die lange voll gestillt wurden.
Eisenmangel ist bei gestillten Kindern eher selten. Muttermilch enthält
zwar weniger Eisen als zum Beispiel künstliche Säuglingsnahrung oder
Kuhmilch, doch die Verfügbarkeit des Eisens in der Muttermilch ist um
ein Vielfaches höher als die des in der künstlichen Säuglingsnahrung
enthaltene Eisen und da bei voll gestillten Babys kleine Darmblutungen
sehr viel seltener sind als bei mit künstlicher Säuglingsnahrung
ernährten Kindern, verlieren Stillkinder auf diese Weise auch kein Blut.
Die Eisenreserven, die ein Baby bei der Geburt hat und das leicht zu
verwertende Eisen aus der Muttermilch reichen zusammen gewöhnlich aus,
um den Hämoglobinwert auch noch ins zweite Lebenshalbjahr des Babys
hinein innerhalb des normalen Bereiches (10,2 bis 15 gm/dl) zu halten
(McMillan 1976; Siimes 1984; Duncan 1985). Eine Untersuchung an
gestillten Babys, die weder Eisenpräparate noch mit Eisen angereicherte
Getreideprodukte erhalten hatten, ergab, dass die Babys, die sieben
Monate und länger ausschließlich gestillt wurden, im Alter von einem
Jahr deutlich höhere Hämoglobinwerte aufwiesen, als diejenigen Babys,
die mit weniger als sieben Monaten bereits feste Nahrung bekommen hatten
(Pisacane 1995). Die Forscher fanden bei den Babys, die sieben Monate
lang voll gestillt worden waren, keinen Fall von Anämie während des
ersten Lebensjahres und folgerten daraus, dass ausschließliches Stillen
während der ersten sieben Lebensmonate das Risiko einer Anämie senkt.
Eine finnische Studie ergab, dass bei neun Monate alten Kindern, die
immer noch ausschließlich gestillt werden, ein Eisenmangel in weniger
als 25 % der Fälle auftritt.
Hier auch noch ein Auszug aus einem Artikel von Dr. Alfredo Pisacane
anlässlich der 15.internationalen LLL-Konferenz in Washington:
„Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein gesunder vollgestillter
Säugling seinen Zeitpunkt des ersten Zufütterns selbst bestimmen kann,
ohne Bedenken dadurch einem Eisenmangel ausgesetzt zu werden. Selbst bei
Kindern, die sich dem ersten Geburtstag nähern, hat der Autor keine
Bedenken, wenn sie einen fitten Eindruck machen. Niedriger Eisengehalt
im Blut des Kindes ist nur behandlungswürdig bei gleichzeitigen anderen
Krankheitsanzeichen. Seiner Meinung nach sind die festgelegten
Grenzwerte (auch in der Schwangerschaft) überholungsbedürftig und wenig
gesichert. Tatsächlich erhöht sich die Gefahr einer Anämie bei zu früher
Beikost, wenn sie nicht sehr eisenhaltig ist, da die optimale
Eisenaufnahme der Muttermilch durch Beikost behindert wird. Es wird 50%
des Muttermilcheisens resorbiert, aber nur 5% bei Flaschennahrung!
Zuviel Eisen erhöht evtl. eine mögliche Erkrankung wie z.B. Malaria und
ist gefährlicher als ein Eisenmangel. Bei sechs Monaten ausschließlich
muttermilchernährten Kindern liegt die Gefahr einer Anämie bei 4%. Bei
den jetzt noch gültigen Grenzwerten ändern wir das, was sich seit einer
halben Millionenjahre bewährt hat."
Sollte jedoch tatsächlich einmal ein Eisenmangel vorkommen, so ist dies
mit Sicherheit etwas, was ernst genommen werden muss. Auch hier gilt:
Immer das einzelne Kind ansehen und nicht verallgemeinern.
Der spanische Kinderarzt Dr. Carlos Gonzales hat sich ebenfalls sehr
ausführlich mit dem Thema „Zeitpunkt der Beikosteinführung beschäftigt.
Ich hänge Ihnen eine Zusammenfassung eines Vortrages von ihm hier an.
Die Daten sind sicher auch für Ihren Mann interessant.
LLLiebe Grüße
Biggi Welter
Mein Kind will nicht essen
Vortrag von Dr. Carlos Gonzales auf der LLL-Europa-Konferenz 2000 in Nottingham
zusammengefasst von Denise Both, IBCLC
Dr. Carlos Gonzales ist Kinderarzt in Barcelona. In den letzten zwölf
Jahren hat er Vorträge bei zahlreichen La Leche Liga-Konferenzen
gehalten. Er gründete ACPAM (eine katalanische Stillorganisation),
organisiert Stillkurse für medizinisches Fachpersonal in ganz Spanien,
übersetzte Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins
spanische und ist Mitglied des Medizinischen Beirates von
LLLInternational. Dr. Gonzales ist Vater von drei gestillten Kindern.
1999 hat Dr. Gonzales sein Buch „Mi nino no me come" (Mein Kind will
nicht essen) veröffentlicht und mit diesem Thema beschäftigte sich auch
sein Vortrag in Nottingham.
„Mein Kind isst nicht(s)" - das ist einer der Sätze, mit denen
Kinderärzte fast täglich in ihrer Praxis konfrontiert werden. Besorgte
Mütter berichten entsetzt, wie wenig ihre Kinder essen und schildern mit
welchen Tricks sie versuchen, Nahrung in ihr Baby oder Kleinkind
hineinzuzwingen. Der Kampf ums Essen spielt sich täglich ab und
letztlich gibt es nur Verlierer.
Dr. Gonzales erklärte in seinem Vortrag, dass er nun nicht ein
Patentrezept liefern mag, mit dem erreicht wird, dass das Kind isst,
sondern er will erklären, warum das Kind nicht isst.
Zunächst einmal gibt es drei Gründe, warum ein Kind nicht isst: es gibt
nichts zu essen, das Kind hat keinen Hunger oder das Kind ist krank. Der
erste Grund ist in unserer Gesellschaft meist auszuschliessen. Ein
gesundes Kind isst in der Regel wenn es hungrig ist, allerdings nicht
immer das, was die Mutter möchte und schon gar nicht so viel wie es nach
den Vorstellungen der Mutter essen müsste. Verwunderlich ist dabei,
dass die Kinder noch nicht verhungert sind, obwohl sie laut Aussage der
Mütter „nichts" essen.
Gestillte Babys lehnen oft feste Nahrung über einen langen Zeitraum ab,
nicht selten bis zum Alter von acht Monaten oder gar einem Jahr. Die
Mutter verzweifelt und das Kind leidet, weil ständig versucht wird, es
zum Essen zu überreden oder gar zu zwingen. Wie kommt es nun dazu, dass
(anscheinend) immer mehr Kinder die Nahrungsaufnahme verweigern? Und ist
es notwendig ein Kind zum Essen zu zwingen?
Dr. Gonzales vergleicht, wie sich die Empfehlungen, wann das Baby feste
Nahrung erhalten beziehungsweise wie lange es ausschliesslich gestillt
werden sollte, im Verlaufe der letzten 100 Jahre verändert haben. Dann
hat er das „Phänomen" der nicht essenden Kinder sowie die Sorge der
Mütter, dass Ihre Kinder nicht essen, anhand der diesbezüglich in
Kinderpflegebüchern auftretenden Ratschläge beleuchtet und einen
erstaunlichen (oder vielleicht doch nicht erstaunlichen) Zusammenhang
gefunden:
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in spanischen Büchern zur
Säuglingspflege eine Zeit von zwölf Monaten mit ausschliesslicher
Muttermilchernährung empfohlen. Gleichzeitig findet sich nirgends ein
Hinweis in diesen Büchern, wie mit einem Kind zu verfahren sei, das
nicht essen will. Je weiter das Jahrhundert fortschreitet, um so jünger
sollen die Kinder laut den Empfehlungen der diesbezüglichen Bücher sein
und: um so mehr Ratschlage gibt es, was mit einem Kind zu tun sei, das
nicht essen will. Wird zu Beginn der dreissiger Jahre noch nur ganz kurz
auf dieses Thema eingegangen, so sind 30 Jahre später schon seitenweise
Abhandlungen zu finden, was mit einem die Beikost (im Alter von drei
bis sechs Monaten) verweigernden Kind zu tun sei und die Seitenzahlen zu
diesem Thema werden von Jahr zu Jahr mehr.
Wie viel Nahrung braucht ein Kind?
Der Nahrungsbedarf eines Kindes hängt ab von seiner Körpergröße, seiner
Aktivität und vom Wachstum des Kindes. Allerdings ist es nicht so, dass
das Kind wächst, wenn es isst, sondern umgekehrt, das Kind isst, wenn es
wächst. Der Nahrungsbedarf des Kindes lässt sich daher nicht pauschal
bestimmen. Am ehesten gelingt dies, wenn das Kind sich in einer
Wachstumsphase befindet, dann lässt sich eine Relation zwischen Gewicht
des Kindes und erforderlicher Nahrungsmenge herstellen.
Ein Kind im Alter zwischen einem und vier Jahren benötigt etwa 1000 bis
1100 kcal pro Tag (das entspricht etwa 102 kcal pro Tag und kg
Körpergewicht). Nun gibt Dr. Gonzales an, was ein „nicht essendes Kind"
täglich nebenbei zu sich nimmt:
1/2 l Milch (335 kcal), einen Becher Joghurt mit Früchten (141 kcal),
einen Schokoriegel (275 kcal) und 150 ml Apfelsaft (85 kcal). Zusammen
ergibt das bereits eine Kalorienaufnahme von 836 kcal. Wie soll das Kind
dann noch zwei komplette weitere Mahlzeiten essen können, wenn es
seinen Kalorienbedarf bereits zu gut 80 Prozent quasi „nebenbei" gedeckt
hat?
Wie lange kann ein Baby ausschliesslich mit Muttermilch ernährt werden?
Die derzeit verbreiteste Empfehlung lautet, dass ein Baby mit sechs
Monaten zusätzliche Beikost ergänzend zur Muttermilch benötigt. Nun gibt
es aber bekanntermassen viele gestillte Kinder, die zu diesem Zeitpunkt
noch keine Beikost akzeptieren. Dr. Gonzales hat deshalb eine
Aufstellung gemacht, wie viel Muttermilch (MM) ein Baby im Alter
zwischen neun und zwölf Monaten benötigt, um den empfohlenen Bedarf an
verschiedenen Nährstoffen zu decken:
Energie: 830 kcal = 1185 ml MM
Eiweiss: 9,6 g = 910 ml MM
Vitamin A: 350 µg = 700 ml MM
Vitamin B: 0,4 µg = 412 ml MM
Vitamin C: 25 mg = 625 ml MM
Diese Angaben zeigen, dass Muttermilch den Bedarf des Kindes an vielen
Nährstoffen lange zu decken vermag und nicht unbedingt Eile geboten ist,
das Kind zum Essen zu zwingen. Ohnehin sind die Empfehlungen dazu, wie
viel ein Baby benötigt meist zu hoch. Die Empfehlungen beruhen
beispielsweise darauf, dass untersucht wird, welche Mengen gesunde, reif
geborene Babys im Durchschnitt essen. Daraus werden Richtwerte
berechnet, die sich immer an den Höchstmengen orientieren und zusätzlich
noch Sicherheitszuschläge enthalten.
Babys benötigen auch weniger Eisen, als meist angegeben wird. Dabei
lässt sich beobachten, dass die meisten Kinder instinktiv das essen, was
bei einem Mehrbedarf an Eisen sinnvoll ist.
Babys sind Skeptiker, wenn sie neue Lebensmittel essen sollen. Dieses
Misstrauen ist ein Schutzmechanismus, der das Kind davor bewahren soll,
etwas zu essen, was ihm nicht bekommt. Bevorzugt isst ein Baby das, was
auch seine Mutter isst, denn dieser Geschmack ist ihm durch die
Muttermilch vertraut. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass ein Baby
gekochte Karotten ablehnt, wenn die Mutter nie gekochte Karotten isst.
Die meisten Babys mögen kein Gemüse, aber sie essen gerne Bananen,
Nudeln und Süssigkeiten. Ein Vergleich der Kaloriendichte ergibt, dass
Babys Nahrungsmittel mit einer grösseren Kaloriendichte bevorzugen und
Muttermilch liefert mehr Kalorien als Gemüse und die meisten
Nahrungsmittel, aus denen Mahlzeiten für Babys hergestellt werden. Um
die gleiche Menge an Kalorien, wie sie in 100 ml Muttermilch enthalten
sind, durch den Verzehr von Karotten aufzunehmen, müsste das Kind fast
400 g gekochte Karotten essen!
Daraus lässt sich ein Zusammenhang zwischen Unterernährung und
Nicht-Stillen erklären: da der Magen des Babys klein ist, benötigt es
hochkalorische Kost. Gemüse kann nicht in so grossen Mengen gegessen
werden, wie es notwendig wäre, um das Kind mit genügend Kalorien zu
versorgen.
Laut Dr. Gonzales weiss das Kind ganz genau, was und wann es essen muss.
Deshalb lautete sein Schlusssatz, den er den Zuhörern mit nach Hause
gab:
Zwingen Sie ein Kind niemals zum Essen. NIEMALS!
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