Sonntag, 27. Januar 2019

 


VRIL

(Erstausgabe im Jahre 1871)

Edward George Bulwer-Lytton, der Autor der 'Letzten Tage von Pompeji', aber auch von 'Zanoni', hat diesen Fantasy-Roman einer möglichen Menschheitszukunft im 19. Jahrhundert geschrieben. Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass in dieser spannenden, humorvollen Schilderung von der Anwendung unbekannter Naturkräfte ('Vril'), die nicht nur die Möglichkeiten der Technik ins unermessliche vermehrten, sondern auch die Lebensweise und die soziale Ordnung völlig veränderten, 'richtig geschaute' Bilder der Menschenvergangenheit und der Entwicklungsmöglichkeiten unserer Gegenwart und Zukunft zu sehen sind. Guenther Wachsmuth hat dieses Buch auf die Aufforderung Rudolf Steiners hin ins Deutsche übertragen. Lord Edward George Bulwer-Lytton, geb. 1803 in London, gest. 1873 in Torquay, veröffentliche mit 13 Jahren seinen ersten Gedichtband und studierte später in Cambridge und Bonn. Nach dem Studium schlug er eine diplomatische Laufbahn ein. Daneben schuf er ein vielseitiges literarisches Werk, das sowohl Prosa als auch Lyrik und Dramen umfasst.


VORWORT DES ÜBERSETZERS


Die Vision künftiger Menschheitsentwicklung, die Lord Edward Bulwer in seinem Roman «Vril oder Eine Menschheit der Zukunft» im vorigen Jahrhundert niederschrieb, ist in unserer Gegenwart für jeden Menschen zum aktuellsten Problem geworden. Denn man sucht heute Bilder und Vorstellungen zu gewinnen in der Frage, ob auch in anderen Welten als der unserer Erdoberfläche menschenähnliche Wesen zu finden seien oder eines Tages bei uns auftauchen werden, die vielleicht sogar in ihren geistigen und praktischtechnischen Fähigkeiten viel weiter entwickelt sein mögen als der jetzige Erdenmensch. Was man derart heute im Bereich des planetarischen Umkreises erkunden will, erstand in der Vision Bulwers als eine im Erdinneren selbst und unabhängig von uns sich entfaltende Gemeinschaft von Wesen, die sich die Beherrschung bisher unbekannter Naturkräfte erworben hat, hier «Vril» genannt.
Durch die Entdeckung und Anwendung solcher Naturkräfte ergibt sich nicht nur ein tiefgreifender Wandel in der Meisterung der Technik, sondern auch eine bewußte Herrschaft über die Lebensprozesse, damit aber auch eine völlig andersgeartete Lebensweise und soziale Ordnung.
Wie aktuell ist es heute, was Bulwer schon vor einem Jahrhundert für die Ausschaltung des Wagnisses kriegerischer Auseinandersetzungen bei einer solchen Menschheit prophetisch voraussagte, daß «mit den richtig geleiteten Vrilstrahlen auch die größten Heere vom ersten bis zum letzten Mann blitzartig vom Leben zum Tode befördert werden. Wenn zwei Armeen feindlich gegeneinander prallen und auf beiden Seiten diese Kräfte verwendet werden, so kann es nur mit der Vernichtung beider Armeen enden». Er beschreibt bereits Flugzeuge, die mit den «Vrilkräften» betrieben werden. Auch schildert er bis in Einzelheiten die verwandelte Situation durch Anwendung solcher neu entdeckter Naturkräfte in der Heilkunst und der Ernährung. Die von jenen Wesen in der Technik dienstbar gemachten, selbständig handelnden und dirigierenden Roboter und Mechanismen verändern das soziale Leben von Grund auf. Denn es ergeben sich aus alledem auch geistigseelische Wandlungen im Wesen des Menschen durch die Mechanisierung des Lebens und das Schwinden individueller und produktiver Schöpferkraft, Gefahren, die Bulwer warnend und oft mit köstlichem, echt englischem Humor darstellt. Die Erlebnisse des durch Zufall in die Sphären jener seltsamen Erdbewohner geratenden Amerikaners und die sich dort ergebenden Abenteuer sind so farbenreich und lebensnah beschrieben, daß es sich zugleich wie ein spannender Roman liest.
Daß Bulwer diese Art von Menschen sich im Erdinnern entwickeln läßt, gehört zur Lizenz des in Bildern Gestaltenden und ist nicht das Wesentliche dieser Inspiration aus der Evolution der Zukunft, läßt er doch einen der Angehörigen jener seltsamen Zukunftsrasse sagen: «Wo immer Gott Raum schafft, da erfüllt er ihn auch mit Wesen. Er liebt nur, was Wohnstatt für Leben und Wesen ist.» So schaute Bulwer schon im inneren Bilde, was jetzt Inhalt menschlicher Vermutungen und Fragen an die kosmische Umwelt geworden ist.


Nach dem Ersten Weltkriege forderte mich Rudolf Steiner auf, dieses Werk Bulwers ins Deutsche zu übersetzen. Als ich ihm damals erwiderte, daß die Inhalte doch recht phantastische seien, entgegnete er, dies sei nur scheinbar und zeitbedingt, in Wirklichkeit habe Bulwer im inneren Bilde richtig geschaut, was in der Evolution potentiell veranlagt sei, insbesondere durch die zukünftige Entdeckung bisher unbekannter Naturkräfte.

Die Bilderwelt in Bulwers Werk sei teils als Rückschau in verlorengegangene Fähigkeiten des Menschen in frühester Vorzeit der «atlantischen Epoche», insbesondere aber als Vorschau in künftige Evolutionsphasen ein sehr wesentlicher Beitrag. So entschloß ich mich im Jahre 1922 zur nachfolgenden Übertragung, wofür er den Entwurf der Einbandzeichnung selbst anfertigte und mir übergab. Da die Auflage längst vergriffen ist, soll dies Werk heute in Neuauflage wieder zugänglich gemacht werden, um in der radikalen Wandlung unseres Weltbildes, am Beginn der Beherrschung atomarer Kräfte, beim Vorstoß in bisher unbekannte Regionen der Natur und des Weltraumes, die Stimme eines in die Zukunft schauenden Erdenmenschen zu Wort kommen zu lassen.
Wer eine Schrift Bulwers in unserer Zeit übersetzen will, muß die Freiheit beanspruchen, manches mehr dem Sinn als dem Worte nach zu übertragen. Denn hie und da wirft Bulwer auch ironische Streiflichter auf besondere Verhältnisse, Anschauungsrichtungen und Persönlichkeiten seiner eigenen Heimat und Zeit, die als solche dem Leser von heute meist nicht mehr bekannt sein würden.
Insoweit solche Dinge für uns ohne genaue Kenntnis damaliger Zeiten und Probleme nicht verständlich oder bedeutungslos wären, sind sie im folgenden weggelassen oder dem Sinne nach in die Gedankenwelt unserer Zeit übertragen.
Eine zukünftige Menschheit, welche Postulate, die sie einst für sehr hoffnungsvoll hielt, in der irdischen Wirklichkeit als ganz lebensunfähig erkennen wird; eine Zukunft, die gewaltige neue Naturkräfte sich erobern, sie aber anfänglich, ohne die Folgen zu überschauen, nur ungenügend beherrschen wird, die darum auch so manche versteckte und zwischen den Zeilen zu lesende Warnung Bulwers gewiß nicht befolgt, wird sich doch mit dem Gedanken durchdringen: daß sich Dichtung und Wahrheit, phantastische Zukunft und wirkliche Gegenwart gar schnell folgen und eins werden!
Dornach, 1958
Dr. Guenther Wachsmuth 


1.      KAPITEL

Ich wurde geboren in den Vereinigten Staaten von Amerika. Meine Vorfahren gehörten zu jenen Auswanderern, die zu den Zeiten Karls des Zweiten England verließen. Da mein Großvater sich im großen Unabhängigkeitskrieg ehrenvoll auszeichnete, spielten die Nachkommen seither eine hervorragende Rolle im gesellschaftlichen Leben des neuen Landes. Weil die Familie zugleich wohlhabend war, galt sie nach den damaligen Begriffen jedoch von vornherein als für die Staatsdienste ungeeignet; und als mein Vater trotzdem den Versuch machte, einen Sitz im Kongreß zu erobern, wurde er selbstverständlich durch die Anhängerschaft seines Schneiders überstimmt. Nach diesem Mißerfolg zog er sich völlig von den Dingen der Politik zurück und widmete die meiste Zeit des übrigen Lebens seiner umfangreichen Bibliothek in stillem Studium.
Ich war der älteste seiner drei Söhne. Sechzehn Jahre alt, wurde ich nach der alten englischen Stammesheimat hinübergesandt, um meine wissenschaftliche Erziehung zu vervollkommnen, aber auch um die übliche wirtschaftliche Ausbildung in einem Handelshause Liverpools zu erfahren.
Doch als in meinem einundzwanzigsten Lebensjahr mein Vater starb und ich dadurch in den Besitz eines großen Vermögens und zu  unumschränkter Lebensfreiheit gelangte, ließ ich meiner angeborenen Lust zu Reisen und Abenteuern freien Lauf, verzichtete auf die Jagd nach dem Dollar und wurde ein unsteter Wanderer, der in ewigem Wechsel durch alle Länder dieser Erde irrte.
Ein eigenartiger Zufall führte mich im Jahre 18.. nach einer Stadt, deren Namen ich nicht nennen möchte. Dort besuchte ich einen Ingenieur, den ich auf Reisen kennengelernt hatte, und es gab sich, daß er mich zum Besichtigen der unterirdischen Schächte eines Bergwerkes aufforderte, das ihm unterstellt war. Der Leser wird im Laufe dieser Erzählung verstehen, warum ich so hartnäckig jede genauere Ortsangabe vermeide, ja er wird mir vielleicht sogar dankbar sein dafür, daß ich die Entdeckung dieses Ortes durch mein Schweigen unmöglich mache.
Es sei deshalb nur kurz angedeutet, daß ich den befreundeten Ingenieur in das Innere des Bergwerkes begleitete und mich von dessen geheimnisvollen Wundern so stark innerlich angezogen fühlte, daß ich aus Interesse für die weiteren Ausgrabungen meines Freundes den Aufenthalt in dieser Gegend verlängerte und viele Wochen lang täglich in den Gewölben und unterirdischen Gängen umherschweifte, die hier von der Natur oder dem menschlichen Willen unter der Erdoberfläche geschaffen waren. Der Ingenieur hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß noch viel reichere Ausbeuten mineralischer Schätze dort verborgen seien in einem neuen Schacht, dessen Ausgrabung er selbst leitete. So gelangten wir eines Tages beim tieferen Eindringen in eine Höhle, deren Wandungen zackig und scheinbar verkohlt waren, als seien sie in längst vergangenen Urzeiten durch vulkanische Feuer auseinandergesprengt worden.
Mein Freund prüfte zuerst die Atmosphäre durch eine Sicherheitslampe und ließ sich dann in einem Korb am Seil in die Tiefen hinunter. Fast eine volle Stunde blieb er im Abgrund. Als er zurückkam, war er seltsam blaß und auf seinem sonst so heiteren, furchtlosen Antlitz waren deutlich die Zeichen einer inneren Beunruhigung, ja sogar Angst, zu lesen.
Er äußerte nur mit kargen Worten, daß er das Hinabsteigen weiterhin für zu unsicher halte und überdies wohl auch für resultatlos. Dann befahl er, alle weiteren Nachforschungen in diesem Schacht einzustellen und kehrte mit uns in die bekannteren Teile des Bergwerks zurück.
Den ganzen Tag über schien er mir wie in der Gefangenschaft eines bestimmten Gedankens. Er war ungewöhnlich schweigsam und in seinen Augen lag ein scheuer, verstörter Blick, wie ihn zuweilen Menschen zeigen, die einen Geist gesehen haben. Als wir am späten Abend in unserer nahe beim Bergwerke gelegenen Wohnung einsam beisammensaßen, sprach ich meinen Freund darob an:
«Sage mir doch offen, was du in dem Schacht gesehen hast, es muß ja etwas ganz Seltsames und Furchtbares gewesen sein. Aber was es auch sei, es hat dich in einen verzweifelten Zustand versetzt, und in solchen Fällen sind zwei Köpfe immer besser als einer, also heraus mit der Sprache!»
Doch der Ingenieur versuchte lange Zeit noch, meinen eindringlichen Fragen auszuweichen. Da er sich aber während des Sprechens in außergewöhnlichem Maße mit alkoholischen Getränken stärkte, während er sonst in diesen Dingen sehr mäßig war, so schmolz seine Verschlossenheit langsam dahin. Endlich begann er:
«Nun, ich will dir alles erzählen. Als der Korb unten angelangt war, befand ich mich auf einem Felsrücken, unter mir fiel die Schlucht steil in so große Tiefen hinab, daß meine Lampe die ungeheure Dunkelheit nicht zu durchdringen vermochte. Aber zu meiner größten Überraschung strömte ein strahlendes, glänzendes Licht aus der Tiefe herauf. Ob es ein vulkanisches Feuer war? Aber in diesem Falle hätte ich doch die Hitze spüren müssen! Dieser Zweifel mußte unbedingt behoben werden, um unsere Arbeit in diesen Höhlen zu sichern. Ich untersuchte also die Wände der Schlucht und fand, daß ich es schon wagen durfte, durch behutsames Vorgehen auf den unregelmäßigen Vorsprüngen und Felskanten tieferzudringen, wenigstens auf eine kurze Entfernung. Ich verließ den Korb und kletterte hinab. Je näher ich dem eigenartigen Lichte kam, um so weiter wurde auch die Schlucht, und denke dir mein Erstaunen, als ich plötzlich auf dem Boden des Abgrundes einen breiten, ebenen Weg entdeckte, der, soweit das Auge reichen konnte, in regelmäßigen Abständen durch eine Art künstlicher Lampen erleuchtet war, etwa so wie in den Straßen einer Großstadt. Und aus der Ferne hörte ich ein Gesumme wie von menschlichen Stimmen.  Nun weiß ich aber doch genau, daß in dieser Gegend keine anderen als unsere eigenen Bergleute tätig sind. Was können das also für Stimmen sein ? Welche menschlichen Hände können diesen Weg geebnet und diese Leuchtkörper angezündet haben? Der alte Glaube, der so oft unter den Bergleuten umläuft, daß Gnomen oder Dämonen im Innern der Erde hausen, erfaßte auch mich. Ich erbebte bei dem Gedanken, tiefer hinabzusteigen und den Bewohnern dieses unterirdischen Tales zu begegnen. Auch hätte ich es ohne längere Taue gar nicht vermocht, da von der Stelle, wo ich stand, bis zum Boden des Abgrundes die Felswände steil und schroff in die Tiefe gingen. Ich kletterte also mit einiger Schwierigkeit jenen Weg zurück, den ich gekommen war. So, nun weißt du alles!»
«Willst du noch einmal hinabsteigen?»
«Ich sollte wohl, doch mir ist, als wagte ich es nicht.»
«Ein treuer Begleiter verkürzt die Reise und verdoppelt den Mut. Ich werde mit dir gehen! Wir wollen uns mit Tauen von ausreichender Länge und Stärke ausrüsten aber, verzeih  du darfst heute abend wirklich nicht mehr trinken! Wir werden morgen feste Hände und sichere Füße mehr als je nötig haben.» 


2.      KAPITEL

Am andern Morgen waren die Nerven meines Freundes wieder vollauf gekräftigt, und er war nicht weniger von Neugierde erregt als ich selbst. Ja, er war es vielleicht noch mehr, denn er glaubte offenbar felsenfest an sein Erlebnis, während ich mich starker Zweifel nicht erwehren konnte.
Nicht daß ich ihm etwa eine bewußte Unwahrheit zugetraut hätte, aber ich hielt es für möglich, daß er einer jener Sinnestäuschungen verfallen war, welche sich oft unserer Phantasie und unseres Verstandes in einsamer, ungewohnter Umgebung bemächtigen, und in denen wir dem Form losen eine Gestalt, dem Stummen einen Ton geben.
Wir wählten sechs erfahrene Bergleute aus, die uns beim Abstieg ins Erdinnere helfen sollten; und da der Korb nur eine Person faßte, so fuhr der Ingenieur als erster in die Tiefe. Als er den Felsenvorsprung erreicht hatte, bei dem er das erste Mal Halt machen mußte, kam der Korb wieder herauf, um nun auch mich hinabzulassen. Bald befand ich mich an seiner Seite. Wir hatten uns mit starken Tauen wohl bewaffnet.
Ja, jetzt erblickte auch ich das eigenartige Licht, das tags zuvor meinen Freund überrascht hatte. Die Höhlung, aus der es heraufströmte, war durch eine schräge Felswand noch verdeckt. Es schien mir ein gedämpftes atmosphärisches Licht zu sein, nicht wie das eines Feuers, sondern weich und silbern wie von einem Nordlicht. Ich verließ den Korb, und wir stiegen nun, einer hinter dem anderen, dank der Felsvorsprünge mit Leichtigkeit in die Tiefe, bis wir den Ort erreichten, an dem mein Freund das letzte Mal umgekehrt war, einem Felsstück, eben groß genug, um uns zwei Menschen Platz zum Stehen zu bieten. Von diesem Punkte aus ging die Höhle in eine weite, tunnelartige Schlucht über, und ich vermochte nun deutlich das Tal, die Straße und die Leuchtkörper zu sehen, ganz wie sie mein Freund beschrieben hatte. Er hatte in nichts übertrieben. Ja, ich hörte sogar die Laute, die er vernommen  ein wirres, nicht zu beschreibendes Summen wie von Stimmen und das gedämpfte Schreiten von Füßen. Ich strengte meine Augen stärker an und erkannte deutlich in einiger Entfernung ein großes Gebäude. Es konnte unmöglich nur ein natürlicher Felsblock sein, es war zu symmetrisch, mit mächtigen ägyptischen Säulen versehen, und von innen hell erleuchtet. Ich trug ein kleines Taschenfernrohr bei mir, mit dessen Hilfe ich in der Nähe des erwähnten Gebäudes sogar zwei menschenähnliche Gestalten wahrzunehmen vermeinte, doch war ich dessen nicht ganz sicher. Es waren auf jeden Fall Lebewesen, denn sie bewegten sich und verschwanden beide in dem Gebäude. Wir befestigten nun mehr das Ende des mitgebrachten Taues an dem Felsstück, auf dem wir standen durch eiserne Haken und mit dem notwendigen Werkzeug, mit dem wir versehen waren. Die Arbeit verlief unter völligem Schweigen. Wir arbeiteten wie Menschen, die sich fürchten, miteinander zu reden.
Nachdem das eine Ende anscheinend fest an dem Felsen befestigt war, ließen wir das andere Ende, durch einen Stein beschwert, bis zum Boden des Abgrundes hinab. Ich war jünger und geschickter als mein Begleiter, da ich als junger Mensch einmal an Bord eines Schiffes Dienst getan hatte, und deshalb auch mit dieser Art von Klettern besser vertraut. Flüsternd bat ich um den Vortritt, um, wenn am Boden angelangt, seinen Abstieg durch Straffziehen des Seiles erleichtern zu können. Ich erreichte glücklich den Grund, und nun begann auch der Ingenieur sich herabzulassen. Aber kaum war er etwa zehn Meter tief herabgeglitten, als plötzlich die Haken, die wir für so sicher gehalten hatten, nachgaben, vielleicht auch weil der Fels, nur trügerisch fest, unter der Last abbröckelte. Der unglückliche Mensch stürzte in den Abgrund, fiel gerade vor meinen Füßen nieder und riß dabei noch einige Felsstücke mit herab, von denen einer, der glücklicherweise klein war, mich traf, so daß ich eine Zeitlang bewußtlos dalag.
Als ich meine Besinnung dann wiederfand, erblickte ich meinen Freund als leblose Masse neben mir. Während ich mich aber in Kummer und Entsetzen über seinen Leichnam beugte, hörte ich dicht neben mir einen seltsamen Ton, halb Schnaufen, halb Zischen. Instinktiv wandte ich mich nach der Stelle um, woher das Geräusch kam, und sah aus einer finsteren Felsspalte einen ungeheuerlichen, entsetzlichen Kopf mit gähnendem Rachen und starren, gespenstigen, gierigen Augen  den Kopf eines Ungetüms, ähnlich dem eines Riesensalamanders oder auch Alligators, nur unendlich viel größer als die größten Geschöpfe dieser Art, die ich je auf meinen Reisen gesehen.
Entsetzt sprang ich auf und floh, so schnell ich konnte, hinein in das unbekannte Tal. Doch endlich, beschämt ob meiner Furcht und feigen Flucht, hielt ich an und kehrte zu dem Orte zurück, wo ich den Körper meines toten Freundes im Stich gelassen hatte. Er war fort. Sicher hatte ihn das Ungeheuer schon in seine Höhlungen geschleppt und dort vernichtet. Das Seil und die Kletterhaken lagen noch so da, wie sie herabgestürzt waren, ließen mir aber nicht die geringste Hoffnung auf Rückehr; es war ja unmöglich, sie wieder oben am Felsen zu befestigen, und die Felswände selbst waren zu steil und glatt, als daß menschliche Füße hätten hinaufklettern können. So war ich denn allein in dieser fremden Welt im Innern der Erde. 


3.      KAPITEL

Langsam und vorsichtig wanderte ich meinen einsamen Weg, entlang jener lampenerleuchteten Straße und auf das eigenartige große Gebäude zu. Der Weg selbst glich einem Alpenpaß, eingeengt von hohen Felsen, ähnlich der Schlucht, aus der ich kam. Tief unten lag zur Linken ein weites Tal.
Mein erstaunter Blick gewahrte die untrüglichen Zeichen von Werken der Kultur und Kunst. Da waren Felder, bedeckt mit einer fremdartigen Pflanzenwelt, die in nichts dem glich, was ich bei meinen Reisen auf Erden gesehen hatte; ihre Farbe war nicht grün, sondern eher von bleiernem Grau oder goldschimmerndem Rot. Da waren Seen und Bäche, die in künstliche Ufer eingedämmt schienen; einige von hellklarem Wasser, andere glänzten und leuchteten wie Quellen von Naphtha. Zu meiner Rechten öffneten sich Schluchten und Höhlen zwischen den Felsen, mit Stegen verbunden, die sichtbar künstlich gefertigt waren. Eingerahmt wurden sie von den seltsamsten Bäumen, riesigen Farrengewächsen gleichend, mit federartigem Laub von der wunderbarsten Mannigfaltigkeit üppig bewachsen. Viele von ihnen erinnerten an Palmen, andere an das schlanke Zuckerrohr, und sie trugen üppige Blütendolden. Andere wieder hatten das Aussehen mächtiger Pilze, auf kurzem gedrungenem Stil trugen sie weite domartige Dächer, von denen lange schlanke Zweige erstanden oder herabfielen.
Und die ganze Szene, hinter mir, neben mir, vor mir, soweit das Auge reichte, war erhellt von unzähligen leuchtenden Lampen. Diese Welt ohne Sonne war seltsamerweise hell und warm wie eine italienische Landschaft um Mittag, doch die Luft weniger drückend, die Hitze milder.
Auch fehlte es der vor mir ausgebreiteten Gegend nicht an Zeichen von lebenerfüllter Behausung. In der Ferne sah ich Gebäude an den Ufern der Seen und Bäche oder an den Abhängen bewachsener Felsen. Sie waren eingebettet in bebautes Land und mußten gewiß die Wohnstätten lebender Wesen sein. Ja, ich entdeckte sogar Gestalten, die sich in den Fernen der Landschaft bewegten, und es deuchte mich, als ob sie von menschlichen Formen wären.
Da, als ich mein Schauen in die Weite unterbrach, gewahrte ich zu meiner Rechten ein Etwas, das rasch durch die Lüfte glitt, es schien mir einem Schiffe zu ähneln, doch getrieben von Segeln, geformt wie Flügel. Bald entschwand es meinem Blick in dem Schatten eines Waldes.
Kein Himmel war über mir, sondern nur ein höhlenartiges Gewölbe. Diese Wölbung wurde immer höher und weiter in der Ferne und verlor sich im Unendlichen, gleich einer dunstigen Atmosphäre.
Ich setzte meine Wanderung fort und scheuchte dadurch ein Gebilde auf, das von Tang von Meeresalgen, farnartigen Stauden, teils auch der Aloe oder Feigendistel ähnlichen Gewächsen überwuchert schien  ein wunderliches Getier von Größe und Gestalt eines Hirsches. Aber als es sich umwandte und mich fragend anschaute, da gewahrte ich, daß es nicht jenem Wild glich, das wir oben auf der Erde noch finden. Es rief mir die Erinnerung wach an eines der Museumsmodelle von vorsintflutlichen Tieren, das ich als zur Gattung der Elche gehörig bestimmt hatte.
Dies Geschöpf aber war zahm, und als es mich mit ein oder zwei Blicken gemustert hatte, begann es wieder zu äsen in seiner seltsamen Weide, sorglos und unerschrocken. 


4.      KAPITEL

Jetzt hatte ich es erreicht, das seltsame Gebäude. Ja, es war wirklich gebaut von Menschenhand, zum Teil heraus gemeißelt aus dem wuchtigen Felsen. Ich vermeinte, dem ersten Eindrucke folgend, daß es nach dem frühesten Stile ägyptischer Baukunst gebildet sei. Seine Front bildeten mächtige Säulen, die von massigen Sockeln nach aufwärts hinstrebten, gekrönt von erhabenen Kapitalen, die reicher waren an Ornamenten und phantastischem Zierat als es der strenge ägyptische Stil zuläßt. Gleichwie das korinthische Kapital das Blatt des Akanthus nachahmt, so trugen die Kapitale hier die Symbole der umgebenden Pflanzenwelt, aloeartig, oder auch die Formen der Farne nachbildend.
Und jetzt trat eine Gestalt aus diesem Gebäude  menschlich; ja, war sie menschlich? Sie stand auf der Straße und blickte umher, ward meiner ansichtig, kam auf mich zu.
Bis auf wenige Schritte näherte sie sich mir. Eine unbeschreibliche Furcht, ein Zittern, ergriff mich durch ihren Blick und ihre Gegenwart. Wie angewurzelt stand ich da.
Die Gestalt erinnerte mich an Symbole und Bilder von Genien oder Dämonen, wie man sie auf etruskischen Vasen findet, oder auch gemalt an den Grabeskammern im Orient Bilder, die im Umriß dem Menschen noch gleichen und doch Wesen sind von anderer Art. Die Gestalt war nicht
riesenhaft, aber sehr groß, überragend die Formen mir ähnlicher Menschheit.
Mir schien, daß die Kleidung vor allem aus zwei riesigen Flügeln bestand, die jetzt auf der Brust übereinandergefaltet lagen und herabreichten bis an die Knie. Im übrigen sah ich nur eine Tunika und Gamaschen von gewebtem Stoff.
Der Kopf trug eine Tiara, von Juwelen strahlend, während die rechte Hand einen schlanken Stab hielt von leuchtendem Metalle wie poliertem Stahl.
Aber das Gesicht! Das war es, was in mir Furcht und Schrecken erzeugte. Es war das Gesicht eines Menschen, und doch, es war nicht der Typus uns jemals bekannter Rassen. Im Umriß und Ausdruck verwandt dem Antlitz aus Stein gehauener Sphinxe  so regelmäßig, so ruhig, so
geistvoll, von so geheimnisvoller Schönheit! Eine eigenartige Farbe der Haut, der roten Menschenrasse ähnlicher als anderen, und doch wesensverschieden von ihr, von ausdrucksvoller Schattierung, darinnen die tiefgründigen, schwarzen, großen und leuchtenden Augen lagen, und Brauen gewölbt wie ein Halbkreis. Das Gesicht war bartlos. Ein eigentümliches Etwas sprach aus diesem Antlitz, von innerer Ruhe, beherrscht und ausdrucksvoll, ja schön.
Doch es erweckte in mir jenen Instinkt vor der Gefahr, wie ihn der Anblick der Schlange gibt oder die Nähe des Tigers.
Ich fühlte, daß diesem menschenähnlichen Wesen Kräfte verliehen waren, die unserem Menschengeschlecht feindlich sind. Es trat auf mich zu, ein kalter Schauer überkam mich. Ich sank auf die Knie und verbarg mein Gesicht in den Händen. 


5.      KAPITEL

Eine Stimme ertönte an meinem Ohr  eine sehr ruhige und melodische Stimme  in einer Sprache, die ich in keinem Worte verstand  aber sie verscheuchte meine Furcht. Ich nahm die Hände von meinem Gesicht und schaute auf. Der Fremde  ich suchte mich innerlich zu zwingen, ihn
für einen Menschen anzusehen  betrachtete mich mit einem Blicke, der das Innerste meines Herzens zu entziffern suchte. Dann legte er seine linke Hand mir langsam auf die Stirn und berührte meine Schulter mit dem seltsamen Stabe, den seine Rechte hielt. Diese zweifache Berührung war von einer magischen Wirkung. Statt des früheren Schreckens durchströmte mich nun ein unendliches Wohlgefühl, ja Freude, Vertrauen in mich selbst und das Wesen vor mir.
Ich erhob mich und redete zu ihm in meiner eigenen Sprache. Er hörte mir zu mit scheinbarer Aufmerksamkeit, doch auch mit dem Ausdruck leichter Überraschung; dann schüttelte er das Haupt, wie zum Zeichen, daß er mich nicht verstand. Nun faßte er mich an der Hand und führte mich schweigend zu jenem Gebäude. Der Eingang war offen  ja, er war überhaupt nicht mit einer Tür versehen. Wir betraten eine weite
Halle, die von dem gleichen künstlichen Licht erstrahlte, das auch die Außenwelt erhellte, jedoch hier noch einen angenehmen Wohlgeruch verbreitend. Der Fußboden war gebildet aus großen Platten kostbarster Metalle, zum Teil mit einem gewirkten Teppich belegt. Eine Flut leiser Musik wogte im Räume wie von unsichtbaren Instrumenten. Sie schien mir so natürlich zu dieser ihrer Umgebung zu gehören wie das Gemurmel der Gewässer zu gebirgiger Landschaft oder das Trillern der Vögel zu den Hainen im Frühling.
Eine Gestalt, in ähnlicher, wenn auch schlichterer Tracht als mein Führer, stand regungslos an der Schwelle. Mein Begleiter berührte sie zweimal mit seinem seltsamen Stabe, da setzte sie sich rasch in Bewegung und glitt lautlos über den Boden dahin. Ich starrte sie an, bis ich bemerkte, daß es nicht eine lebendige Gestalt war, vielmehr ein menschenähnlicher Mechanismus, ein Automat. Etwa zwei Minuten, nachdem er durch die türlose Öffnung verschwunden war, die am anderen Ende der Halle durch Vorhänge halb verdeckt lag, erschien durch die gleiche Öffnung ein Knabe von ungefähr zwölf Jahren. Seine Gesichtszüge ähnelten so stark denen meines Begleiters, daß ich sie sogleich als Vater und Sohn erkannte. Als das Kind mich erblickte, stieß es einen Schrei aus und richtete drohend einen metallenen Stab auf mich, den es nach Art meines Führers in der Hand trug. Auf ein rasches Wort des Älteren hin senkte es ihn wieder. Die zwei sprachen jetzt eine Zeitlang miteinander und betrachteten mich forschend während der Rede. Schließlich berührte das Kind sogar meine Kleider und bestrich mit der Hand mein Gesicht voll sichtlicher Neugier, indem es einen Laut von sich gab, der unserem Lachen ähnlich war, doch mit einer sanfteren Heiterkeit als sie oft in unserem Gelächter liegt. In diesem Augenblick tat sich das Dach der Halle auf und eine Platte kam herab, die wohl nach dem Prinzip der «Lifts» konstruiert war, wie wir sie oben in Hotels und in Warenhäusern verwenden.
Der Fremde stellte sich und den Knaben auf die Platte und gab mir ein Zeichen, desgleichen zu tun; ich folgte ihm. Wir stiegen rasch und sicher auf und landeten in der Mitte eines Korridors, von dem Gänge nach allen Seiten hin ausliefen.
Durch einen dieser Gänge geleitete man mich in ein Zimmer, das mit orientalischem Luxus erfüllt war. Die Wände waren getäfelt mit kostbaren Metallen und ungeschliffenen Juwelen. Kissen und Diwans waren im Überflusse verteilt. Statt der Fenster hatte das Zimmer Öffnungen nach dem Gange hinaus, die nicht mit Glas ausgefüllt waren, aber, wie ich bemerkte, auf weitläufige Balkons führten, von wo der Blick die hell erleuchtete Landschaft weithin beherrschte. Von der Decke des Raumes herab hingen Käfige mit Vögeln von seltsamer Gestalt und präch
tigem Gefieder; bei unserem Eintreten stimmten sie im Chor einen Gesang an, der in der Harmonie seiner Töne an die Gesänge unserer Dompfaffen erinnerte. Ein köstlicher Duft, der aus goldziselierten Räuchergefäßen entströmte, erfüllte die Luft. Auch hier standen verschiedene mechanische Menschen, Automaten, stumm und regungslos an den Wänden, gleich dem, der uns schon vorher Dienste geleistet hatte. Der Fremde geleitete mich zu einem Diwan, und wiederum begannen wir zu sprechen, jedoch ohne uns irgendwie einander verständlich machen zu können.
Aber ich begann jetzt wohl die Folgen des Schlages zu fühlen, den ich beim Herabstürzen der Felsstücke erhalten hatte. Es überkam mich plötzlich ein Gefühl krankhafter Schwäche, begleitet von heftigen, stechenden Schmerzen im Kopf und im Nacken. Ich sank auf den Diwan zurück und bemühte mich vergebens, ein Stöhnen zu unterdrücken. Da kniete der Knabe, der mich bisher voller Mißtrauen und Widerwillen zu beobachten schien, neben mir nieder, um mir zu helfen. Er legte eine meiner Hände zwischen die seinigen und näherte seinen Kopf meiner Stirn, indem er sie leise anhauchte. Schon nach wenigen Augenblicken ließen die Schmerzen nach, eine einschläfernde, wohltuende Ruhe durchströmte mich, ich versank in Schlaf.
Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand gewährt hat, doch als ich erwachte, war ich völlig gesundet. Ich öffnete die Augen und erblickte vor mir eine Gruppe stummer Gestalten, die mit dem ruhigen Ernst und der Würde von Orientalen um mich herum saßen  sie alle glichen mehr oder weniger dem ersten Fremden. Die gleichen mantelartigen Flügel trugen sie, die gleiche Tracht, die gleichen sphinxähnlichen Gesichter, mit den tiefen dunklen Augen und der rothäutigen Tönung des Körpers; vor allem derselbe Typus der Rasse  der menschlichen Rasse verwandt,
doch weit stärker im Bau und größer an Gestalt. Sie alle flößten mir das gleiche unaussprechliche Gefühl von Furcht ein. Zwar zeigte eines jeden Miene Beherrschtheit und Milde, ja selbst Güte; aber es ist seltsam, war mir doch, als ob gerade in dieser gleichmäßigen Ruhe und Güte das
Geheimnis jener inneren Furcht verborgen sei, die mir diese rätselhaften Wesen einflößten. Ihre Gesichter schienen frei zu sein von den Linien und Schatten, wie sie Furcht und Sorge, Leidenschaft und Sünde dem menschlichen Antlitz auf Erden einprägen, so frei wie die Statuen marmorner Götter oder gleich friedvollen Toten, wie dies der christliche Leidtragende anschaut.
Ich fühlte eine warme Berührung auf meiner Schulter es war des Knaben Hand. Seine Augen zeigten mir jenen Ausdruck von herzlichem Mitleid, das wir einem leidenden Vogel oder dem gefangenen Schmetterling schenken. Ich wich vor dieser Berührung, ich wich vor diesem Blicke
zurück. Mich erfaßte ein unsagbares Gefühl, wie wenn dieses Kind, hätte es nur gewollt, mich auch töten könnte, so leicht wie wir Menschen ja auch Vögel und seltene Schmetterlinge zu töten pflegen. Aber das Kind schien von meinem Widerwillen schmerzlich berührt, verließ mich und
schritt einem der offenen Fenster zu. Die anderen führten ihre Unterredung in gedämpftem Tone fort, und an ihren Blicken konnte ich bemerken, daß sie über mich verhandelten. Einer von ihnen schien einen dringenden Vorschlag zu verfechten gegenüber jenem Fremden, dem ich zuerst
begegnet war, und dieser wiederum mochte wohl den Worten seines Gegenübers endlich zustimmen, als der Knabe plötzlich vom Fenster herzueilte, sich zwischen mich und die anderen Gestalten aufstellte, wie um mich zu schützen, und dies mit heftigen Worten und Gebärden begleitete.
Eine Intuition oder auch ein sicherer Instinkt sagten mir, daß dieses Kind, dem ich mit soviel Widerwillen begegnet war, jetzt für meine Rettung sich einsetzte. Bevor seine Rede zu Ende war, betrat ein anderer Fremder das Zimmer. Er mochte älter sein als die übrigen, wenn auch nicht greisen haft; sein Gesicht, weniger sanft und milde als das der anderen, wenn auch von der gleichen Regelmäßigkeit der Züge, erinnerte mich mehr an Menschliches, das mir verwandt ist. Ruhig und gelassen nahm er die ihm zugeworfenen Worte entgegen und schenkte zuerst meinem Führer, dann den übrigen und schließlich dem Knaben Gehör.
Nun wandte er sich mir zu und versuchte sich mir, nicht durch Worte, sondern durch Zeichen und Gebärden verständlich zu machen. So glaubte ich ihn völlig zu verstehen, und ich irrte mich nicht. Ich begriff, daß er fragte, woher ich sei. Ich streckte meine Hand aus und wies die Richtung
des Weges, den ich von der Felsenschlucht hierher wanderte. Da erfaßte mich ein Gedanke. Ich zog mein Notiz buch hervor und entwarf auf einem weißen Blatt eine flüchtige Zeichnung von dem Felsen, dem Seil und wie ich mich daran herabließ, dann von der Höhle im Abgrund,
dem Kopfe des Ungeheuers und dem leblosen Körper meines Freundes. Diese primitive Art von Hieroglyphenschrift überreichte ich dem mich Fragenden, der sie nun ernst betrachtete, dann seinem Nachbar übergab, so daß sie unter den Versammelten die Runde machte.
Der, dem ich zuerst begegnet war, sprach ein paar Worte, worauf der Knabe herzutrat, meine Zeichnung betrachtete, dann nickte, als ob er den Sinn recht verstanden habe, und dem Fenster zuschritt. Dort breitete er auf einmal jene Flügel aus, die mir an seinem Körper schon aufgefallen
waren, bewegte sie ein oder zweimal und schwebte plötzlich hinaus in den weiten Raum. Verblüfft sprang ich auf und rannte zum Fenster. Der Knabe flog bereits durch die Lüfte, getragen von seinen Flügeln, die er aber doch nicht auf und nieder bewegte, wie es die Vögel tun; nein, seine
Flügel wölbten sich nur über seinem Körper und schienen ihn ohne sein Zutun gleichmäßig durch die Atmosphäre zu tragen.
Sein Flug war so rasch wie der eines Adlers. Ich bemerkte, daß er dem Felsen zuflog, aus dem ich entstiegen war, dessen düstere Umrisse deutlich zu sehen waren. Nach kurzer Zeit schon kehrte er zurück, flog herein in die Öffnung, durch die er uns verlassen, landete auf dem Boden
und legte hier Seil und Werkzeuge nieder, die ich am Abgrund der Schlucht verlassen hatte. Einige geflüsterte Worte wurden jetzt unter den Anwesenden getauscht, dann berührte einer unter ihnen mit dem Stabe einen Automaten, der sofort vorwärts schritt und den Raum verließ. Darauf erhob sich der Zuletztgekommene, der mit mir in der Zeichensprache verhandelt hatte, nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus in den Gang. Dort erwartete uns die Plattform, auf der wir heraufgekommen waren. Wir stellten uns darauf und landeten so wiederum drunten in
der Halle. Mein neuer Begleiter führte mich an der Hand aus dem Gebäude heraus in eine Straße, die sich von hier aus erstreckte, umgeben von Häusern, deren herrliche Gärten mit einer farbenprächtigen Pflanzenwelt und den seltsamsten Blüten erfüllt waren. In diesen Gärten, die
durch niedrige Wälle getrennt waren, und in den Straßen wandelten gemächlich viele Gestalten jener eigenartigen Rasse, die ich nun kennenlernen sollte. Einige der Vorüber gehenden, die mich bemerkten, näherten sich meinem Führer und richteten nach Tonfall, Blick und Gesten nicht mißzuverstehende Fragen an ihn, die mich betrafen. Bald scharte sich eine Menge um uns, die mich mit großem Interesse betrachtete, als ob ich ein seltenes wildes Tier wäre. Doch auch während sie ihre Neugierde zur Genüge befriedigten, bewahrten sie hierbei eine ernste, höfliche Zurückhaltung, und nach einigen Worten meines Führers, in denen er sich anscheinend jede Störung verbat, traten sie mit einer stolzen Neigung des Hauptes zurück und nahmen ihren Weg mit ruhiger Gleichgültigkeit wieder auf.
Inmitten dieser Straße machten wir an einem Gebäude Halt, das sich von den bisher gesehenen Häusern unterschied. Es umrahmte die drei Seiten eines geräumigen Vorhofes, und an seinen Ecken erhoben sich wuchtige pyramidenartige Türme. Im weiten Vorhofe sah ich eine ungeheure Fontäne, aus der blendende Strahlen hervorsprühten, die ich für Feuer hielt. Durch einen offenen Eingang betraten wir das Haus und kamen in eine mächtige Halle, wo viele Gruppen von Kindern mit verschiedensten Arbeiten beschäftigt waren, so daß das Ganze den Eindruck einer Fabrik machte. An der Seite war denn auch eine riesige Maschine in voller Tätigkeit. Da sie Räder und Zylinder hatte, erinnerte sie an die bei uns üblichen Maschinen, jedoch war sie künstlerisch verziert durch kostbare Steine und Metalle und schien eine seltsam phosphoreszierende Atmosphäre von vibrierendem Licht auszustrahlen. Manche Kinder waren bei einer geheimnisvollen Arbeit an dieser Maschine tätig, andere saßen an langen Tafeln. Ich hatte nicht Gelegenheit, meine Blicke über dieses Bild schweifen zu lassen, um herauszubekommen, was sie denn nun eigentlich taten. Keine der jugendlichen Stimmen wurde laut keines der emsigen Gesichter beachtete uns im geringsten.
Die Kinder blieben so still und gleichgültig wie Geister, durch deren Mitte unbeachtet die Gestalten der Lebenden schreiten.
Wir verließen diese Halle und betraten eine Galerie, deren reiche Malereien mit Gold etwas überladen waren, etwa Bildern von Lucas Cranach vergleichbar. Diese Gemälde versinnbildlichten, wie mir schien, geschichtliche Ereignisse aus dem Werdegang jener Rasse, bei der ich mich
jetzt befand. Die meisten der darauf abgebildeten Gesichter glichen den menschenähnlichen Geschöpfen, die mich hier auch lebend umgaben, aber nicht alle hatten die gleiche Kleidung, auch fiel mir auf, daß nicht alle Gestalten Flügel trugen. Die dargestellten Tiere und Landschaften waren mir völlig fremd. Soweit mir meine recht unvollkommene Kenntnis der Malkunst es erlaubt, eine Meinung zu äußern, muß ich sagen, daß diese Malereien sicher sehr korrekt gezeichnet und mit verschwenderischem Farbenmaterial hergestellt waren, auch von einer perfekten Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Perspektive zeugten, aber die Einzelheiten entsprachen nicht gerade unseren Ansichten von künstlerischer Komposition  es fehlte ihnen nämlich an einem Schwerpunkt, so daß die Wirkung auf den Beschauer geradezu beängstigend ruhelos, unbestimmt und verwirrend war. Sie waren eigentlich mehr die Fragmente eines vergangenen Traumes über Kunst.
Jetzt betraten wir ein weniger geräumiges Zimmer, in dem eine Gruppe von Menschen, die ich später als die Familie meines Führers kennenlernte, um einen gedeckten Tisch bei der Mahlzeit saß. Es war die Gattin meines Begleiters, seine Tochter und seine beiden Söhne. Sofort fiel mir der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern auf. Hier waren die Frauen von größerer Statur und robusteren Formen als die Männer; auch waren die weiblichen Gesichtszüge zwar regelmäßiger in der Linienführung, doch ohne jenen sanften und zurückhaltenden Ausdruck, der dem Frauenantlitz, wie wir es oben auf der Erde schätzen, seinen ureigenen Reiz verleiht. Ich bemerkte, daß die Gattin keine Flügel trug, während die ihrer Tochter sogar größer waren als die Flügel der Männer.
Nach ein paar Worten meines Führers erhoben sich alle von ihren Sitzen, begrüßten mich mit dem ihnen eigentümlichen milden Blick und den schon vorhin beschriebenen abgemessenen Bewegungen, die offenbar eine charakteristische Besonderheit dieser furchtbaren Rasse sind, in
dem sie die rechte Hand auf die Stirn legen und dabei den zischenden Laut  Ssi! hören lassen, was soviel heißt wie:
Willkommen!
Die Herrin des Hauses ließ mich neben ihr Platz nehmen und reichte mir ein Gericht auf goldener Schüssel. Während ich aß  obwohl die Speisen mir fremd waren, bewunderte ich doch ihren eigenartigen Wohlgeschmack und den anregenden Duft  unterhielt sich die Familie ruhig miteinander und vermied, wie ich feststellen konnte, jede Anspielung auf mich oder die neugierige Betrachtung meiner Erscheinung. Und doch war ich ja schließlich das erste Geschöpf dieser Art Menschen, zu der ich mich rechne, das sie je zu Gesicht bekommen hatten. Ich mußte
also für sie ein sehr befremdliches und abnormes Phänomen sein. Aber diesem Volke ist jede Roheit fremd, und schon dem jüngsten Kinde wird gelehrt, jedes Zurschautragen von Gefühlen und Leidenschaften zu vermeiden. Die Mahlzeit war beendet, mein Gastgeber nahm mich wieder bei der Hand, führte mich in die Galerie und berührte dort einen metallenen Taster, der mit seltsamen Figuren beschrieben war und den ich wohl richtig für etwas unserem Telegraphen Ähnliches hielt. Eine Platte senkte sich herab, die uns dieses Mal viel höher hinauf beförderte als in dem anderen Gebäude, bis wir uns in einem Zimmer mittlerer Größe befanden, das in seiner Einrichtung einen Besucher aus der Oberwelt fast heimatlich anmutete. An den Wänden waren lange Regale mit Büchern gefüllt, die sehr klein und in feine Metallplättchen eingebunden waren. Mehrere absonderliche Mechanismen lagen hier und da, so daß man sich eigentlich in das Studierzimmer eines gelehrten Mechanikers versetzt fühlte. Vier Automaten, von der Art der menschenähnlichen Mechanismen, die bei dieser Rasse die Zwecke der Dienerschaft erfüllten, standen gespensterhaft starr in jeder Ecke des Zimmers. In einer Nische befand sich das Lager, zum Glück einem Bette recht ähnlich. Ein Fenster, dessen gewebte Vorhänge zurückgeschoben waren, zeigte auf einen großen Balkon, den mein Gastgeber nun mehr betrat, von mir gefolgt. Wir befanden uns auf der höchsten Galerie einer jener eckigen Pyramiden, von der aus der Blick weit hinaus schweifen konnte in eine Landschaft von wilder, feierlicher, unbeschreiblicher Schönheit.
Wuchtige Ketten steiler Felsen bildeten den fernen Horizont, dazwischen Täler, erfüllt mit einer Pflanzenwelt in mystischer Farbenpracht, blitzende Gewässer, deren Ströme in glühroten Flammen aufschäumten, und ein strahlender Glanz, der sich aus den Myriaden brennender Lampen über alles ergoß. Dieses Wunder umfaßte der Blick zu einem Bilde, das zu schildern die Worte der Sprache nicht ausreichen. So erhaben war es, und doch so düster, so anmutig, und doch so bedrückend.
Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von dem Betrachten der Landschaft auf etwas Erstaunliches abgelenkt. Von der Straße tönte eine fröhliche Musik herauf, und nun schwebte eine geflügelte Gestalt hinauf in die Luft, eine zweite folgte ihr, eine dritte, eine vierte, und immer mehr, bis zahllose Scharen von beflügelten Menschen in die Lüfte hinaufschwirrten. Wie soll ich die phantastische Grazie dieser Gestalten schildern, die auf und abflutend sich in der durchleuchteten Atmosphäre bewegten! Sie schienen ihr Spiel und Vergnügen in den Lüften zu treiben, bald bildeten sie fliegende Gruppen, bald schwirrten sie wieder auseinander, jetzt durchschwebte eine Gruppe die andere, emporfliegend und herabgleitend, sich verwebend und um schwirrend erfüllten diese fliegenden Gestalten die erleuchtete Luft, ja, dies alles geschah sogar nach den Rhythmen und Harmonien der sanften Musik, die von unten herauftönte. Es war wie ein Zaubertanz Peris. In fieberhaftem Staunen wandte ich den Blick nach meinem Wirt. In der Begeisterung wagte ich es, meine Hand auf die großen Flügel zu legen, die auf seiner Brust gefaltet übereinander lagen. Aber kaum hatte ich sie berührt, als ein leichter, wie elektrischer Schlag mich durchzuckte. Erschrocken fuhr ich zurück, mein Wirt lächelte nur, und als ob er liebenswürdig meine Neugier befriedigen wollte, breitete er langsam seine Flügel aus. Da entdeckte ich, daß seine Kleider unter den Schwingen sich blähten wie eine mit Luft gefüllte Blase. Die Arme glitten in die Flügel hinein, und einen Augenblick später hatte er sich schon in die leuchtende Atmosphäre hinaufgeschwungen und schwebte dort ruhig, mit ausgebreiteten Flügeln, wie ein Adler, der sich in den Fluten des Sonnenlichts wiegt. Dann, rasch wie ein Vogel, glitt er herab, mitten hinein in eine der fliegenden Gruppen, schwebte in ihrer Mitte und erhob sich plötzlich wieder in größere Höhen. Jetzt lösten sich drei Gestalten von dem fliegenden Schwärme los, in der einen erkannte ich seine Tochter, und folgten ihm flugs wie ein Vogel dem anderen. Meine Augen, geblendet vom Licht und verwirrt von all diesem Durcheinander, vermochten schon nicht mehr die Kreise und Evolutionen der geflügelten Gespielen zu unterscheiden; da tauchte mein Führer aus der Menge hervor und, herabfliegend, stand er bald wieder an meiner Seite.
All das Seltsame, was ich gesehen, fing nun an, meinen Geist zu verwirren; eine innere Unruhe verstörte mich. Obgleich wenig zum Phantastischen geneigt und bisher von dem festen Glauben beseelt, daß der Mensch nicht im Körper mit Dämonen verkehren kann, empfand ich wohl gerade deshalb jetzt Furcht und Schrecken, ergriff mich jene wilde Erregung, in der in vergangenen Zeiten die Reisenden sprachen von den Taten der Kobolde und Dämonen. Nur noch dunkel entsinne ich mich dessen, was dann geschah. Heftig gestikulierend und mit verstörten Worten bedrohte ich meinen doch so gütigen, sanften Begleiter, der mich vergebens zur Ruhe und zur Vernunft zu bringen versuchte; ja, seine beschwichtigenden Gebärden, welche andeuteten, daß es wohl nur der Unterschied in Gestalt und Bewegung sei, was mich in Furcht und Verwirrung gebracht habe, sie erhöhten nur meine unsinnigen Ängste; auch sein freundliches Lächeln, mit dem er, seine Flügel zu Boden senkend, mir zeigte, daß sie nur eine mechanische Erfindung wären, nichts gab mir meine Selbstbeherrschung zurück. Diese plötzliche Umwandlung erregte meine Angst nur noch mehr, und da höchste Furcht oft zu den höchsten Wagnissen führt, sprang ich wie ein wildes Tier auf ihn los und packte ihn an der Kehle. Im Augenblick darauf lag ich wie von einem elektrischen Schlage getroffen am Boden.
Das letzte verwirrte Bild, das vor meinen Augen vorbei flutete, bevor ich die Besinnung verlor, war die Gestalt meines Begleiters, wie er vor mir kniete, seine Hand auf meiner Stirn, und neben ihm das schöne, ruhevolle Antlitz seiner Tochter, mit den großen, tiefen, unergründlichen
Augen, die sich fest in die meinen versenkten. 


6.      KAPITEL

In diesem bewußtlosen Zustande blieb ich, wie man mir später erzählte, mehrere Tage, ja nach unserer Zeitrechnung mehrere Wochen. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem fremdartigen Zimmer, mein Gastgeber und seine Familie waren um mich versammelt  und zu meinem
höchsten Erstaunen redete mich die Tochter in meiner eigenen Sprache an, nur mit einem etwas fremdartigen Tonfall.
«Wie fühlen Sie sich?» fragte sie.
Es währte einige Augenblicke, bis ich meine Überraschung bemeistern konnte, dann stammelte ich: «Sie kennen meine Sprache? Wie ist das möglich? Wer, woher sind Sie?»
Mein Gastgeber lächelte und wandte sich an einen seiner Söhne, der nun von einem Tisch eine Anzahl dünner Metallblätter nahm, auf denen die verschiedensten Dinge gezeichnet waren, ein Haus, ein Baum, ein Vogel, ein Mensch und anderes mehr. In diesen Abbildungen erkannte ich meine eigene Art zu zeichnen wieder. Unter jeder Figur stand die zugehörige Bezeichnung in meiner Sprache und in meinen Schriftzeichen geschrieben, daneben aber ein fremdes Wort in einer mir unbekannten Schrift.
«So fingen wir an», sagte mein Gastgeber, «und meine Tochter Zee, die zur Akademie der Gelehrten gehört, ist unsere Lehrmeisterin gewesen.»
Zee, die Tochter, brachte nun auch noch andere Metallblätter, auf denen mit meinen Schriftzeichen zuerst Worte, dann sogar ganze Sätze geschrieben standen. Unter jedem Worte und Satze waren wieder fremde Buchstaben von anderer Hand. Nach kurzem Nachdenken begriff ich, daß man eine Art Wörterbuch hergestellt hatte. War das geschehen, während ich bewußtlos dalag?
«Das ist für jetzt genug», sagte Zee in befehlendem Tone. «Ruhen Sie sich aus, und genießen Sie etwas!»


7.      KAPITEL

Ein eigenes Zimmer wurde in diesem geräumigen Haus für mich angewiesen. Es war sehr hübsch und phantastisch geschmückt, aber ohne jene Pracht an Metall und Juwelen, wie man sie in den öffentlichen Räumen entfaltete. Wände und Boden waren mit buntfarbigen, aus pflanzlichen Stoffen gewobenen Matten bespannt. Das Bett war ohne Vorhänge, seine metallenen Füße ruhten auf kristallenen Kugeln; die Decken bestanden aus einem feinen, weißen Gewebe. Regale mit den schönen, metallgebundenen Büchern zierten die Wände. Eine durch Vorhänge ver
deckte Nische enthielt einen Käfig mit den prächtigsten Singvögeln, fremdartig und verschieden von unserer Vogelwelt; selbst ein Tier, das ich zunächst für eine Taube hielt, trug einen Büschel blaustrahlender Federn. All diese Vögel waren darauf abgerichtet, eine kunstvolle Tonwelt zu liefern, und übertrafen bei weitem das kluge Geschick unserer Dompfaffen oder gar Papageien, die nur wenige Töne zu modulieren verstehen und wohl niemals in abgetönten Chören zu singen vermögen. Hier jedoch glaubte man sich in die Oper versetzt, wenn man beschaulich den Harmonien der Vogelwelt meines Zimmerkäfigs lauschte. Duette, Quartette, ja sogar Chöre stimmten sie an, die gelehrigen Schüler dieser fremdartigen musikalischen Kunst. Aber wie sollte ich die Vögel zum Schweigen bringen? Ich brauchte nur den Vorhang zum Käfig zu schließen, in der Finsternis verstummte sofort ihr Gesang.
Das Zimmer hatte als Fenster wieder nur Öffnungen ohne Scheiben, aber wenn man einen Mechanismus in Bewegung setzte, schloß es sich durch eine Scheibe aus matt durchsichtigem Stoffe, der doch den Blick in die Weite gewährte. Vor dem Fenster befand sich auch hier ein Balkon, der an die hängenden Gärten des Südens erinnerte, wo in Fülle die herrlichsten Blumen und leuchtende Blüten dufteten. So hatte dies Zimmer einen Charakter, der, wenn auch recht fremd in den einzelnen Dingen, als Ganzes mir heimisch und luxuriös wohl behagte, ja, es wäre der
Bewunderung in der Oberwelt sicher, wenn zwischen den Gemächern einer englischen Herzogin oder eines französischen Romanciers gelegen. Vor meiner Ankunft war dies Zees Zimmer gewesen, sie hatte es mir gastfreundlichst überlassen.
Etwa einige Stunden nach meinem Erwachen aus jener tiefen Bewußtlosigkeit lag ich allein in meinem Zimmer und versuchte meine Gedanken zu sammeln zu einem Bild von der Natur und Art dieses seltsamen Volkes, in dessen Bereich mich das Schicksal geworfen, als mein Gastgeber
und seine Tochter eintraten. Er fragte mich, auch jetzt in meiner eigenen Sprache, voller Höflichkeit, ob mir eine Unterhaltung wohl angenehm sei oder ob ich Einsamkeit vorzöge. Ich erwiderte, daß ich mich durch seinen Besuch sehr geehrt und vor allem verpflichtet fühle, meinen herzlichsten Dank für die gütige Gastfreundschaft und die unzähligen Aufmerksamkeiten zu erstatten, mit denen ich überschüttet würde, in einem Lande, in dem ich doch Fremdling sei, und ich hoffe, recht bald seine Sitten zu lernen, um nicht durch Unwissenheit gegen sie zu verstoßen.
Während dieser Anrede hatte ich mich natürlich von meinem Lager erhoben, aber zu meiner größten Verblüffung ersuchte mich Zee ebenso höflich wie bestimmt, mich sofort wieder niederzulegen, und in Stimme und Blick lag bei ihr ein Etwas, das, wenn auch liebenswürdig, doch mei
nen unbedingten Gehorsam erforderte. Darauf setzte sie sich selbst am Fußende meines Bettes nieder, während der Vater auf einem der herumstehenden Diwans sich niederließ.
«Aus welchem Teile der Welt kommen Sie denn nun eigentlich», fragte mein Gastgeber, «daß wir so völlig fremdartige Wesen für Sie sind, und auch Sie für uns ? Wir haben nahezu von allen Rassen, die existieren, irgendein Exemplar zu sehen bekommen, außer ein paar tierhaften
Wilden, die in den entferntesten, ödesten Höhlen hausen, die kein anderes Licht als das vulkanische Feuer kennen, und, wie alles kriechende Gewürm, zufrieden in der Finsternis herumtappen, ja, nicht einmal fliegen können! Aber Sie werden doch nicht von diesen halbtierischen Wilden herstammen, andererseits gehören Sie aber auch offensichtlich keiner der zivilisierten Rassen an.»
Etwas gereizt über diese letzte Bemerkung, erwiderte ich, daß ich die Ehre hätte, einem der zivilisiertesten Völker der Erde anzugehören, daß ich, was das Licht beträfe, zwar die erfinderische und großzügige Art bewunderte, mit der mein Gastgeber und seine Landsleute irdische Regionen durch mechanische Lichtapparate beleuchteten, weil dorthin kein natürlicher Sonnenstrahl dringt, aber doch nicht begreifen könne, wie irgend jemand, der nur einmal die Himmelskörper gesehen hätte, ihrem wahren Lichte das durch Mechanismen erzeugte künstliche Licht für alle Zeit vorziehe. Es erstaune mich auch seine Bemerkung, daß er Exemplare aller menschlichen Rassen gesehen hätte, außer den paar tierähnlichen Wilden. Ob es nicht vielleicht daran liege, daß er wohl nie auf der Erdoberfläche gewesen sei und deshalb als «Menschen» nur diejenigen
Wesen bezeichne, die zum Beispiel im Innern des Erdkörpers lebten? Mein Gastgeber wahrte einige Minuten lang völliges Schweigen. Sein Antlitz zeigte den Ausdruck höchster Überraschung, was bei dieser Art Lebewesen ja selbst unter den außergewöhnlichsten äußeren Umständen nur sehr selten einmal vorkommt. Aber Zee war klüger und rief aus: «Da sieht man es doch, Vater, daß in der uralten Überlieferung
etwas Sinnvolles steckt; es ist eben immer verborgene Wahrheit in den heiligen Traditionen, die sich so hartnäckig von Generation zu Generation durch alle Zeiten erhalten.»
«Zee», sagte ihr Vater, «du gehörst zur Akademie der Gelehrten und mußt solche Dinge also besser wissen als ich. Aber als oberster ,Verwalter des künstlichen Lichts im Staate' ist es für mich Gesetz, nichts für eine Wirklichkeit zu halten, was ich nicht mit meinen physischen Sinnen
unmittelbar wahrgenommen habe.»
Daraufhin wandte er sich an mich und stellte mir einige Fragen über die Existenz und das Aussehen der Erdoberfläche und die sogenannten Himmelskörper. Ich versuchte seine Fragen aus meiner besten menschlichen Kenntnis heraus zu beantworten, aber ich bemerkte deutlich, daß
meine Behauptungen ihn weder befriedigten, noch überzeugten. Er schüttelte gemessen sein Haupt, wechselte merkwürdig ostentativ das Gesprächsthema und fragte schließlich, wie ich denn nun wirklich herübergekommen sei aus der einen Welt in die andere, wie er sich auszudrük
ken beliebte. Ich entgegnete, daß unter der von uns bewohnten Erdoberfläche Gebiete seien, die Mineralien und Metalle enthielten, wie wir sie für unsere Lebensanforderungen und für unsere künstlerische und technische Arbeit benötigten. Dann erzählte ich kurz, wie bei der Ausbeutung einer dieser unterirdischen Minen mein Freund einen Blick in die anderen Regionen getan, und wie ihm der Versuch, dorthin zu gelangen, sein Leben gekostet hätte; ja, ich führte die verschiedensten Beweise für die Wahrheit meiner Erzählungen an.
Mein Gastgeber fuhr fort, mich über die Sitten und Lebensgewohnheiten der auf der Erdoberfläche lebenden Menschengattung zu befragen, vor allem bat er mich, über diejenigen zu erzählen, die man dort für die zivilisiertesten ansehe. Denn es gäbe doch sicher auch bei uns auf der Erde jene Zivilisation, die in einem harmonischen und glücklichen Zusammenleben aller Menschen sowie in moralischen und wohlgeordneten Verhältnissen innerhalb des Staates zum Ausdruck komme.
Ich hatte dieser peinlichen Frage gegenüber natürlich das Bestreben, die irdische Welt, zu der ich gehörte, in den günstigsten Farben zu schildern, ich berührte deshalb nur nebenher und vorsichtig die veralteten und chaotischen Verhältnisse Europas, um dafür um so mehr die herrliche Größe und die vielversprechenden Aussichten der glorreichen amerikanischen Republik zu schildern, zu der Europa voller Neid aufblicke und von wo es zitternd seinen schrecklichen Untergang erwarte. Um ein besonders schlagendes Beispiel des kultivierten sozialen Lebens in Amerika zu geben, wie es in derjenigen Stadt zum Ausdruck kommt, die unseren irdischen Fortschritt in der erhabensten Weise repräsentiere, schilderte ich in begeisterten Worten die so hervor ragend moralischen Sitten New Yorks.
Voll Ärger sah ich an den Gesichtern meiner Zuhörer, daß meine Lobeshymne nicht den günstigen Eindruck machte, den ich erwartet hatte, so daß ich beschloß, die Farben meiner Schilderung noch etwas deutlicher aufzutragen. Ich erging mich nunmehr in einer Beschreibung unserer so durch und durch demokratischen Einrichtungen im Staate, erzählte, wie das ruhige Glück aller Mitmenschen durch das Herrschen der politischen Parteien von vorn herein gesichert sei; vor allem, wie bei uns für die Ausübung der Macht und den Genuß von Ehren ausgerechnet die an Besitz, Charakter und  Erziehung niedrigsten Bürger bevorzugt würden; wie überhaupt das in der Demokratie aufblühende politische Parteileben die segensvollsten Harmonien im Staatswesen hervorrufe. Glücklicherweise fielen mir während des Sprechens sogar noch Zitate aus einer unlängst gehörten Rede ein, über den läuternden Einfluß der amerikanischen Demokratie und ihre zukünftige Ausbreitung über die ganze Welt, eine vorzügliche Rede, die einer unserer besten Senatoren gehalten hatte (für dessen Eintreten im Parlament eine Industriegesellschaft, der meine beiden Brüder angehörten, allerdings eben erst zwanzigtausend Dollar gezahlt hatte), ich zitierte schließlich die herrlichen Prophezeiungen dieses beredten Demokraten von der glänzenden Zukunft, die der ganzen Menschheit beschieden sein würde  wenn erst einmal die Flagge der Freiheit über den ganzen Kontinent wehen und zweihundert Millionen intelligenter Weltbürger, von Kindheit auf an den freien Gebrauch von Schußwaffen gewöhnt, diese glorreichen Staatsideen einer zitternden Menschheit darbringen würden!
Als ich zu Ende war, schüttelte mein Gastgeber eigenartigerweise liebenswürdig mit dem Kopf, er verfiel in nachdenkliches Sinnen und machte mir und seiner Tochter ein Zeichen, ihn in seinen Gedanken nicht durch Reden zu stören. Nach einiger Zeit sagte er in gemessenem und
feierlichem Tone: «Wenn Sie das Gefühl haben, wie Sie sagen, von mir und den Meinigen Gutes empfangen zu haben und dankbar zu sein, dann beschwöre ich Sie, beweisen Sie diesen Dank dadurch, indem Sie niemals irgendjemandem hier auch nur die geringsten Enthüllungen über
jene Welt machen, aus der Sie stammen; außer wenn ich Ihnen eine besondere Genehmigung hierzu gebe. Wollen Sie mir diese Bitte gewähren?»
«Aber gewiß, ich gebe Ihnen mein Wort darauf», sagte ich etwas verwundert und betroffen, und reichte ihm meine rechte Hand. Aber er legte meine Hand an seine Stirn und die seinige auf mein Herz, was bei dieser eigentümlichen Menschengattung in allen Fällen von bindenden Versprechungen und gegenseitigen Verpflichtungen geschieht. Dann wandte er sich an seine Tochter mit den Worten:
«Und du, Zee, wirst niemandem wiederholen, was der Fremde da erzählt hat oder noch schildern wird von einer Welt, die doch recht anders geartet ist als unsere Welt.»
Die Tochter stand auf, küßte ihren Vater und sagte lächelnd:
«Die Zunge einer Gy ist leicht zügellos, aber ich werde sie in Zucht halten. Doch wenn du fürchtest, Vater, daß ein Wort von mir oder dir selbst unsere Gemeinde in die Gefahr bringen könnte, eine Welt erforschen zu wollen, die anders ist als die unsrige, würde dann nicht ein Strom von
,Vril', wenn wir ihn nur richtig anwenden, genügen, um das Gedächtnis an alles, was der Fremde sagte, aus unseren eigenen Köpfen zu tilgen.?»
«Was ist Vril?» platzte ich heraus.
Diese wichtige Frage beantwortete Zee durch eine Erklärung, von der ich leider nur sehr wenig verstand, denn in unseren Sprachen kenne ich wenigstens kein Wort, das gleichbedeutend ist mit Vril. Ich wollte es zuerst für «Elektrizität» halten, aber das wirkliche «Vril» umfaßt so viele andere Eigenschaften und Manifestationen von uns meist noch verborgenen Naturkräften, daß alle unsere übrigen Schlagwörter, wie Galvanismus, Magnetismus usw., für eine Definition von Vril nichts bedeuten.
Ja, dieser Menschengattung scheint es wirklich gelungen zu sein, sie zu finden, jene große Urkraft, jenes innerste ewige Agens aller Natur, jene die Welt impulsierende Quelle aller Naturkräfte! Was hatten die Philosophen in meiner Welt nicht alles über diese Dinge vermutet und disputiert! Faraday, dieser große Experimentator, hatte es schon geahnt, das letzte Geheimnis, das er mit den Worten von der Verbundenheit aller Kräfte andeutete. Denn er sagt: «Ich bin lange einer Meinung gewesen, die sich sogar bis zur innersten Überzeugung steigerte, und mit mir dachten viele, die ein wahres Naturwissen lieben, daß alle diese unendlich mannigfaltigen Formen, unter denen die Naturkräfte sich uns offenbaren, letztlich doch einen einzigen gemeinsamen Ursprung haben; oder, ich könnte auch sagen, die Kräfte der Natur sind alle so untereinander verbunden, daß sie verwandelbar sind, ineinander und auseinander, und daß wir in ihrer Wirksamkeit dann auch die entsprechenden Verwandtschaften finden.»
Die Philosophen dieser mir fremden Welt behaupteten nun, daß sie im «Vril» jenes große, ewige Agens auch handhabten, daß sie all das beherrschten, was Faraday vielleicht noch als «atmosphärischen Magnetismus» betrachtet hätte, ja, daß sie den Temperaturwechsel und sogar das Wetter beeinflussen könnten; auch daß sie alle jene Phänomene zu meistern wüßten, die wir in chaotischem Suchen bald Mesmerismus, bald tierische Elektrizität, bald odische Kräfte und mit anderem Wortschwall betiteln. Doch hier hatten alle diese Kräfte erst ihre wissenschaftliche Erkenntnis, ihren praktischen Wert in der Verwendung des Vril gefunden. Durch Vril vermochten sie bewußten Einfluß zu üben ebenso auf geistige wie auf körperliche Funktionen, auch auf Tiere und Pflanzen, auf alle Naturreiche. In der Tat, hier sind Wirklichkeiten, zu denen selbst die Träume der Alchimisten nicht aufstiegen. Liegt es doch allen Agentien, Kräften und Wirkungen in der Natur zugrunde, dieses eine, was sie dort «Vril» nennen!
Zee fragte mich, ob es der wissenschaftlichen Welt bei uns bekannt sei, daß hiermit sogar die Verstandeskräfte über das gewöhnliche Wachbewußtsein hinaus um ein Wesentliches gesteigert werden könnten und daß man auch die Möglichkeit erlange, Gedanken des Einen auf
einen Anderen zu übertragen, wodurch man zu einer blitzschnellen Verständigung untereinander fähig werde. Ich entgegnete, daß man bei uns sich wohl verschwommene Vorstellungen von solchen Möglichkeiten gebildet hätte und daß ich hie und da sogar Versuche auf diesen Gebieten miterlebt hätte, aber daß alle diese Anfänge bald wieder verschwunden und vergessen worden seien, teils wegen der Schwindeleien, die einige Unwürdige damit getrieben, teils weil bisher bei den meisten Forschungen in diesen Dingen, auch wenn sie zu Erfolgen geführt hätten, man doch leider noch nicht einen befriedigenden Weg gefunden habe, um alle diese Phänomene in ein systematisches Lehrgebäude einzugliedern oder ihrer praktischen Verwertung zuzuführen, während sie andererseits von Unwissenden in einer gefährlichen Weise verwendet würden.
Zee hörte sich meine Ausführungen mit wohlwollender Aufmerksamkeit an und erzählte mir, daß ähnliche Mißbräuche und Verwirrungen auch bei ihren Landsleuten an der Tagesordnung gewesen seien, solange in vergangenen Zeiten ihre Wissenschaft in diesen Dingen noch in den
Kinderschuhen gesteckt hätte, und daß dadurch die Leute anfänglich die Kräfte des Vril in ganz falscher Weise verwendet hätten. Sie würde aber lieber später einmal mit mir über diese Dinge weitersprechen, wenn meine seelische und körperliche Verfassung etwas mehr gestärkt sei.
Zum Schluß erzählte sie mir noch, daß, während man mich bewußtlos gemacht hatte, man mir durch Vermittlung des Vril die Rudimente ihrer Sprache eingeflößt habe; und daß sie selbst und ihr Vater allein das mühevolle Experiment durchführten, daß sie dabei allerdings mehr von meiner Sprache gelernt hätten, als ich von der ihrigen. Teils weil meine Sprache viel primitiver sei als die ihre, besonders aber, weil ihre Organisation durch veranlagte Fähigkeiten viel empfindlicher und aufnahmefähiger für neue Erkenntnisse sei als die meinige.
Dagegen bäumte sich im stillen natürlich meine Eitelkeit auf, denn ich hatte im Verlauf meines Lebens und meiner Reisen auf Erden doch soviel Gelegenheit gehabt, meine menschlichen Verstandeskräfte zu schärfen, daß ich unmöglich zugeben konnte, daß die geistige Organisation irgend
welcher Wesen besser sein könnte als die unsrige, noch dazu gar von solchen, die ihr ganzes Leben bei künstlichem Lichte verbrachten. Aber gerade während ich diese stolzen Gedanken in mir befestigte, da berührte Zee nur leicht mit dem Zeigefinger meine Stirn und versetzte mich dadurch sogleich in tiefe Bewußtlosigkeit. 


8.      KAPITEL

Als ich aus diesem Tiefschlaf erwachte, sah ich an meinem Lager den Knaben, der meine Gerätschaften in jenes Haus gebracht hatte, in dem ich zuerst empfangen worden war und das sich später als der Wohnort des Staatsoberhauptes erwies. Der Knabe, der sich Tae nannte, war dessen ältester Sohn. Ich entdeckte an mir, daß ich während dieser neuer lichen Bewußtlosigkeit wiederum erstaunliche Fortschritte in der Beherrschung der mir fremden Sprache gemacht hatte und daß ich mich mit Leichtigkeit nun recht fließend verständigen konnte.
Dieser Knabe war sogar im Verhältnis zu seiner an sich schon so imposanten Rasse ganz besonders stattlich; sein Antlitz, von sehr männlichem Ausdruck für seine Jugend, trug einen lebhafteren und impulsiveren Ausdruck als ich ihn bisher in den so gelassenen und leidenschaftslosen
Mienen dieser Menschen gefunden hatte. Er brachte mir die Zeichnung, in der ich meinen Absturz und den Kopf des entsetzlichen Ungeheuers skizziert hatte, das mir am Leichnam meines Freundes begegnet war. Auf diese Stelle der Zeichnung deutend, richtete Tae einige Fragen über
Größe und Gestalt des Ungeheuers an mich, dann auch über die Felshöhlen und das Gebiet, aus dem es aufgetaucht war. Sein Interesse schien von meinen Schilderungen so gefesselt, daß er das Gespräch vorerst nicht auf meine Person und ihre Herkunft hinlenkte. Aber zu meiner
größten Verlegenheit begann er, auf meine dankbaren Bemerkungen über die so große Gastfreundschaft hin, sich auch nach meinem früheren Leben zu erkundigen, als glücklicherweise Zee eintrat und, seine letzten Worte erhaschend, ihm sagte: «Tae, gib unserem Gaste jegliche
von ihm gewünschte Auskunft, aber du selbst frage ihn nie! Ihn fragen, wer er ist, woher er kommt oder was er hier will, wäre ein Verstoß gegen das Gesetz, das mein Vater für dieses Haus gab.»
«Ich werde mich danach richten», sagte Tae, indem er seine Rechte zum Herzen hielt; und wirklich, von diesem Augenblick an, bis ich ihn zum letztenmal sah, richtete dies Kind, mit dem ich so eng vertraut werden sollte, nie wieder eine der verbotenen Fragen an mich über meine Person. 


9.      KAPITEL

Erst nachdem ich noch mehrmals in jenen eigenartigen Zustand von Bewußtseinsveränderung untergetaucht war, wenn ich es so nennen darf, gewöhnte sich mein Wesen mehr und mehr daran, mit meiner neuen Umwelt in gedankliche Wechselbeziehung zu treten und immer besser die
Lebensweise und Daseinsart meiner Umgebung zu erkennen, die mir bis dahin zu fremd gewesen, als daß sie mein Verstand voll erfaßt hätte. Erst jetzt begann ich jene Erzählungen über Ursprung und Werdegang dieser unterirdischen Bevölkerung zu verstehen, die selbst nur ein Teil eines großen Geschlechtes war, das sie «Ana» nannten.
Urältesten Traditionen zufolge hatten die Vorfahren auch dieser Menschheit einst in höheren Regionen dieser Welt gelebt. Mythen und Urkunden wußten noch zu berichten von jenen Sphären, auch sprachen die Überlieferungen von einem unermeßlich gewölbten Dome, dessen unendliche Weiten nicht des künstlichen Lichtes bedurften, das die Menschen erzeugen. Aber die jetzigen Schulmeister begriffen auch hier diese Dinge nur noch als Allegorien.
Nach diesen Traditionen jedoch war die Erde, zu der Zeit, als solche Überlieferungen niedergelegt wurden, schon nicht mehr in ihrem Urzustande, sondern in einer jener ungeheuren Umwälzungen begriffen, die den Wechsel von einem Zustand der Entwicklung in den nächsten bewirken und begleiten, wobei gewaltige Katastrophen in den Naturkräften und Elementen wüten. Durch eine dieser elementaren Katastrophen war der Teil der Erde, den die Vorfahren dieser Menschheit bewohnten, durch verheerende Wassergewalten überschwemmt und vernichtet worden, die zwar nicht urplötzlich, doch unaufhaltbar die Länder verschlangen, so daß alles, mit wenigen Ausnahmen, in den Wassern verschwand und den sicheren Tod fand. Ob diese Tradition sich bezog auf die geschichtlichen Ereignisse, die wir Sintflut nennen, oder eine ähnliche von unseren Geologen umstrittene Wasserkatastrophe auf Erden, will ich hier nicht entscheiden, denn die Ereignisse scheinen nach der Chronologie dieses Volkes, wenn verglichen mit den Berechnungen Newtons, noch um einige Jahrtausende vor den Zeiten Noahs zu liegen. Bemerkenswert war mir doch auch, daß der Bericht dieser Historiker von dem Vorhandensein menschlicher Wesen schon spricht in Zeiten, welche die Hypothesen unserer landläufigen Geologie noch für ungeeignet halten für die Bildung von Säugetieren.
Eine kleine Gruppe von Menschen nur konnte sich retten vor den vernichtenden Fluten des Wassers, und verbarg sich in den Höhlen höherer Felsen. Doch als sie in diesen Höhlungen weiterwanderten, da verloren sie die Regionen der oberen Welten für immer. Wahrlich, das ganze Antlitz der Erde war durch das Wüten des Wassers verändert , was vorher Land gewesen, war jetzt Meer, und aus früheren Meeren heraus ragte Land.
Man erzählte mir als beweisbare Tatsache, daß noch jetzt in dem Innern der Erde sich die Überreste menschlicher Wohnungen damaliger Zeiten befänden, die nicht in Höhlen und Hütten, sondern in Städten bestanden hätten, deren Ruinen noch von den edlen Kulturen jener alten
Geschlechter zeugen, die gewiß nicht zu den Rassen zu zählen sind, die eine heutige Geschichtswissenschaft zu schildern sich abmüht, als ob sie nur mit dem Feuerstein in der Hand und ohne Kenntnis von den Metallen ein dumpfes Dasein gefristet hätten.
Die Flüchtlinge bewahrten jedoch die Kenntnis der Künste und Fähigkeiten, die sie in ihrer früheren Heimat besessen hatten. So vermochten sie bald ihre dringendste Not zu besiegen und das Licht, das sie oben gekannt, nun durch künstliches Licht zu ersetzen. Und wirklich scheinen
die Menschen, von denen diese Rasse hier ja nur ein Teil war, auch schon in dieser urfernen Vergangenheit durch ein besonderes Wissen und Können vermocht zu haben, sei es aus den Gasen der Luft oder manganischen Steinen, aus Erdöl oder sonstwie, sich ihr Licht aus den Kräften der Natur zu gewinnen. Hatten sie doch von Anbeginn an gelernt, mit den rauhen Naturkräften zu ringen; ja, der Kampf mit den Wassergewalten, er hatte durch Jahrhunderte den Menschen die Fähigkeiten gelehrt, wie das Wasser am besten zu dämmen und zu leiten sei. Was sie so gelernt hatten, das konnten sie nun in der neuen Heimat gar wohl gebrauchen.
«Viele Generationen lang », sagte mein Gastgeber einmal bei solchen Gesprächen voller Abscheu, «sollen unsere primitiven Vorfahren sich sogar so erniedrigt und ihre Lebenszeit abgekürzt haben, daß sie das Fleisch von Tieren aßen; es waren ja viele Tierarten gemeinsam mit ihnen vor den Wassergewalten geflüchtet und hatten Schutz gesucht in den Höhlen der Erde. Andere Tierarten, die Sie wohl in Ihrer Welt nicht kennen, tauchten in diesen Höhlen zum erstenmal auf.»
Als das geschichtliche Zeitalter  nach unseren Begriffen aus dem Dämmerlicht in die durch Traditionen überlieferten Zeiten auftauchte, waren die «Ana» in verschiedene Gemeinden gegliedert und hatten in Zivilisation und Kultur eine Höhe erreicht, deren sich selbst unsere fortgeschrittensten Völker auf Erden noch jetzt kaum rühmen können.
Sie waren damals schon mit den meisten unserer mechanischen Entdeckungen vertraut und wußten Dämpfe und Gase zu verwenden. Die Gemeinden lagen in heftigem Wettstreit miteinander. Es gab damals noch Unterdrückte und Bedrücker, Volksredner und Eroberer, genau wie jetzt bei uns; sie führten auch Krieg um irgendeines Landerwerbs oder einer Idee willen. Obgleich die einzelnen Staaten die verschiedensten Staatsformen jeweils für die besten hielten, fingen doch die freiheitlichen Institutionen schon an, die Übermacht zu gewinnen, Volksvertretungen wurden eingeführt, Freistaaten gegründet. Die Demokratie, welche die erleuchtetsten europäischen Politiker heutzutage als das Zukunftsziel politischer Weisheit ansehen, herrschte bei den unterirdischen Geschlechtern allerdings nur noch bei denjenigen Stämmen, welche die Ana als barbarische Wilde verachteten, während die kultivierten Geschlechter der Ana, wie dasjenige, bei dem ich mich befand, auf die sogenannte Demokratie zurückblickten als auf ein aus sehr primitiven Vorstellungen entsprungenes Experiment, wie man es ja wohl nur in kindlichen Anfangsstadien politischer Staatenbildung versuche. Die Zeit der Demokratie war erfahrungsgemäß eine Periode des Ehrgeizes und Neides, der übelsten politischen Leidenschaften gewesen und hatte zu sinnlosen ständigen Systemwechseln, zu Parteikämpfen, kurz zu ewigen Ursachen für Streit und Krieg geführt. Immerhin hatte dieser primitive staatliche Zustand einige Zeitlang gedauert, war jedoch dann durch die geistig höherentwickelte, kultiviertere und gebildetere Bevölkerung abgeschafft worden; vor allem nachdem man zur Entdeckung jener bis dahin geheimen Naturkräfte, jenes alles durchdringenden Agens gelangt war, das sie «Vril» nennen.
Der Beschreibung nach, die ich von Zee empfing, welche als hervorragendes Mitglied der Akademie der Gelehrten diese Dinge weit besser studiert hatte und kannte als meine übrige Umgebung  kann man mit diesem Fluidum, wenn man es nur in der richtigen Weise versteht und handhabt, auf alles Seiende in der Natur, ob leblos oder lebendig, den mächtigsten Einfluß ausüben.
Es kann zerstörend wirken wie ein Blitzstrahl. Aber es kann, wenn anders verwendet, ebenso auch erneuernd und stärkend auf die Lebensprozesse einwirken, es kann belebend und heilend sein. Es ist sogar das hauptsächlichste Heilmittel zur Beseitigung von Krankheiten, oder besser gesagt, es ermöglicht dem lebenden Organismus, das organische Gleichgewicht seiner Kräfteverteilung wieder herzustellen, so daß es ihm derart dazu verhilft, sich selbst zu heilen.
Durch diese Naturkraft haben sie auch Gewalt über die festesten Substanzen. Zerstören sie doch sogar durch seine Verwendung steinige Felsmassen, um ebene Täler für bebautes Land zu gewinnen. Aus dem Vril erhalten sie vor allem ihr Licht, das die unzähligen Lampen zum Leuchten bringt, ein Licht, das wirksamer, milder und gesünder ist als das, welches aus brennenden Substanzen gewonnen werden könnte, wie man es früher tat.
Es ist klar, daß die Entdeckung einer so ungeheuerlichen and allbeherrschenden Kraftquelle, wie es das Vril ist, insbesondere auch im ganzen Gemeinschafts- und Staatsleben einen entscheidenden Umschwung bewirkte. Sobald die Beherrschung dieser Naturkräfte in die Macht jedes
einzelnen Menschen gestellt war, mußte notwendigerweise jeder Krieg unter den Menschen zur Unmöglichkeit werden, denn die Fähigkeit, alles zu zerstören, wurde derart ausgebildet, daß jede physische Überlegenheit an Zahl, militärischer Disziplin oder Bewaffnung gar keine Rolle
mehr spielte. Konnten doch mit den Vernichtungskräften, die  selbst in der Hand eines Kindes  aus dem Vrilstabe ausgestrahlt wurden, die stärksten Festungen und Panzer zerstört werden, oder mit den richtig geleiteten Vrilstrahlen auch die größten Heere vom ersten bis zum letzten Mann blitzartig vom Leben zum Tode befördert werden. Wenn zwei Armeen feindlich gegeneinanderprallen und auf beiden Seiten diese Kräfte verwandt werden, so kann es nur mit der Vernichtung beider Armeen enden.
Darum war die Zeit der Kriege vorüber. Aber mit ihrer Beendigung kamen wieder andere Laster und Mißstände des sozialen Lebens zum Vorschein. Jeder einzelne Mensch war ja jetzt völlig in der Gewalt seines Mitmenschen, da ein jeder, wenn er nur wollte, den anderen mit Leichtigkeit zu töten vermochte. Man hütete sich nun auch, Regierungsmaßnahmen und politische Systeme mit Zwangsgewalt durchführen zu wollen. Allzu große Völkergemeinschaften, die auf einen übermäßig weiten Raum verstreut sind, konnte man mit Gewalt doch nicht mehr zusammenhalten wie bisher. Zudem hörte jetzt mit der Aussichtslosigkeit jeglicher Kriegführung auch der Ehrgeiz auf, einen Staat auf Kosten der anderen zu vergrößern.
Unter diesen Umständen teilten sich die Vril-Entdecker im Laufe weniger Generationen friedlich in mittelgroße Gemeinden von zweckentsprechender Ausdehnung. Der Stamm, bei dem ich lebte, beschränkte sich auf etwa zwölftausend Familien. Jeder Stamm besiedelte ein Gebiet, das für seine Lebensnotwendigkeiten ausreichte, und zu bestimmten Perioden verließ die überzählige Bevölkerung das Land, um sich eine neue Heimat zu suchen. Es wurde sogar niemals notwendig, zu einer willkürlichen Auswahl der Auswanderer zu schreiten, denn stets meldete sich eine ausreichende Anzahl, die freiwillig fortzog. Diese in Anbetracht des Raumes und der Bevölkerungszahl kleinen Staaten gehörten als Ganzes doch zu einem gemeinsamen Stamm. Sie sprachen die gleiche Sprache, wenn sie auch durch Dialekte verschieden gefärbt war. Sie heirateten untereinander und hielten die gleichen Gesetze und Gewohnheiten aufrecht. Die Kenntnis des Vril und die Anwendung dieser Naturkräfte war ein so wichtiges gemeinsames Band zwischen den verschiedenen Gemeinden, daß das Wort «AVril» gleichbedeutend war mit Zivilisation; und «Vrilya», was soviel wie «Die zivilisierten Staaten» bedeutet, war der Name, der die Gemeinden, welche das Vril beherrschten, unterschied von den barbarischen Stämmen der «Ana», die es nicht kannten.
Die Regierung des Stammes der Vrilya, um den es sich hier handelt, schien bei oberflächlicher Betrachtung recht kompliziert, war in Wirklichkeit aber sehr einfach. Sie beruhte auf einem Prinzip, das bei uns zwar in der Theorie viel diskutiert, in der Praxis aber noch nirgends durchgeführt ist. Es ist nämlich eine philosophische Wahrheit, daß alles Lebendige zu einer organischen Einheit hinstrebt, das heißt aber auch, daß alle hierarchische Gliederung, wenn sie auch in noch so vielen Stufen aufsteigt, doch einer abschließenden obersten Spitze, eines Willenszentrums im organischen Aufbau bedarf. Es geben selbst fanatische Demokraten doch zu, daß der soziale Organismus am besten verwaltet ist, wenn ein fähiges Oberhaupt so an der Spitze steht, daß die Kontinuität eines einheitlichen Handelns gewährleistet und ein Mißbrauch der Vollmacht verhindert ist.
Diese kluge Gemeinde erwählte sich also zur Spitze einen obersten Magistraten, den sie «Tür» nennt. Der «Tür» sollte sein Amt eigentlich auf Lebenszeit ausüben, aber man kann ihn meist nur dazu überreden, es doch wenigstens bis zum vorgerückten Lebensalter zu behalten. Denn es gibt in der Tat nichts in dieser Art des Gemeinschaftslebens, was irgendeines seiner Mitglieder anreizen könnte, voller Ehrgeiz nach Amt und Würden zu streben. Keine besonderen Vergünstigungen, keinerlei Amtsinsignien gibt es da zu erhaschen. Der oberste Magistrat bezieht weder Amtswohnung, noch Reichtümer. Andererseits sind die Pflichten, die ihm obliegen, sehr einfach und leicht, und erfordern weder übermäßige Tatenlust noch besondere Routine. Da es keinen Krieg zu befürchten gibt, braucht man keine Armeen auszubilden und zu bezahlen, da es keine Gewaltherrschaft gibt, braucht man keine raffinierte Geheimpolizei. Was wir an Verbrechen kennen, das war diesem eigenartigen Volke der Vrilya ganz unbekannt. Ständige Gerichtshöfe wurden daher nicht gehalten. Kleine Privatstreitigkeiten, die auch nur selten vorkamen, wurden zur
Entscheidung an Freunde verwiesen, die jede der Parteien sich wählte, oder schließlich vom Rate der Weisen geschlichtet, auf den wir noch zu sprechen kommen. Auf jeden Fall gab es keine Berufsjuristen, und die Gesetze glichen mehr freundschaftlichen Übereinkünften, denn es gab ja doch keine Gewalt, die im Ernst hätte Gesetze erzwingen können gegenüber Menschen, die in ihrem Vrilstab die Macht hatten, ihre Richter zu vernichten. Es gab nur Gebräuche und Regeln, in welche die Bevölkerung seit Jahrhunderten schweigend gewilligt hatte; fand irgend jemand eine der Vorschriften zu streng, so verließ er eben das Land und wanderte aus. In diesem Staate galt die Regel, die wir auf Erden in den Häusern und Landsitzen von Familien mit großzügiger Gastfreundschaft antreffen, die da lautet:
«Komm oder geh, je nachdem dir die Sitten und Gewohnheiten unseres Hauses behagen oder nicht.» Obgleich es in diesem Staat also keine geschriebenen Gesetze gibt, so läuft doch alles harmonischer ab als bei irgendeinem Volke bei uns. Einpassung in die Regeln, die von der Gemeinschaft angenommen sind, ist diesen Menschen von Natur zum Instinkt geworden. Bezeichnend für den Ton ihrer Regierungserlasse ist der typische Wortlaut für etwas Unerlaubtes, Verbotenes; er lautet stets nur: «Es wird gebeten, dies oder das nicht zu tun.» Unbekannt wie unsere Verbrechen ist ihnen auch unsere Armut. Selbstverständlich versuchen sie keine unsinnige Gemeinwirtschaft oder schematische Güterverteilung, auch gibt es natürlich keine Bevormundung in bezug auf Größe, Luxus und Kultivierung des privaten Haushalts. Aber da man durch Ämter oder Staatsdienste keine Gelder und Würden erwirbt, so herrscht statt Ehrgeiz und Neid ein beschauliches laissezfaire. Da einer
seits der politische Kampf unmöglich, andererseits die Bevölkerungszahl begrenzt ist, so kommt es eigentlich nicht vor, daß eine Familie in Verzweiflung und Not gerät.
Gibt es doch keine Möglichkeiten zur Spekulation und auch kein Strebertum nach Ämtern, Kommissariaten und einträglichen Posten. Die Entwicklung verlief hier ganz anders. Bei der Einwanderung hatte man jedem ein gleich großes Stück Land zuerteilt, und wenn auch natürlich der
eine durch Urbarmachung, besseren Ackerbau, reichere Ernte und günstigen Handel den anderen überragte, so gab es doch in der Tat keine wirklichen Armen, noch solche, die Mangel gelitten hätten. Trat jedoch der seltene Fall einmal ein, daß einer wirklich nicht hatte, was er brauchte, nun, so wanderte er eben aus.
Dem obersten Magistraten waren Verwaltungszweige der verschiedensten Einzelgebiete zugeteilt. Hier war nun natürlich am wichtigsten die Versorgung des künstlichen Lichtes. Dessen Chef war mein Gastgeber, Aph-Lin. Das Auswärtige Amt, das den Verkehr mit benachbarten Staaten bewirkte, sah seine Hauptaufgabe eigenartigerweise fast nur in dem Austausch der technischen Erfindungen unter den Staaten. Ein dritter Zweig betreute sodann die Prüfung und Verwendung all dieser Technizismen.
Diesem Verwaltungszweig schloß sich die Akademie der Gelehrten an, ein absonderliches Kolleg, das hier besonders aus verwitweten, kinderlosen und jungen, unverheirateten Frauen bestand, unter denen Zee die Fähigste war. In diesem Kolleg ließ man die für das praktische Leben am wenigsten notwendigen Studien durch weibliche Professoren erledigen  als da sind: abstrakte Philosophie, oder Geschichte fernster Zeiten, oder Wissenschaften wie Insektenkunde, Muschelkunde und ähnliche Fachgebiete. Zee, deren Verstand die weitschweifigsten Theorien und die kleinsten Details umschloß, hatte bereits zwei Bände über ein mikroskopisch kleines Insekt geschrieben, das in den Haaren der Pfote des Tigers auftritt, welche Arbeit als das bedeutendste fachwissenschaftliche Ergebnis auf diesem so wesentlichen Erkenntniszweige von allen Autoritäten anerkannt war. Aber die Nachforschungen der Gelehrten beschränken sich hier nicht ausschließlich auf solche differenzierte, subtile Fachgebiete. Die Wissenschaft beschäftigt sich bei diesem Volke auch noch mit umfassenderen Problemen, und namentlich die Eigenschaften des Vril, für dessen Einflüsse die Organisation dieser Rasse so fein empfindlich ist, werden einer ständigen Beobachtung und Erforschung unterzogen. Aus dessen Kennern vor allem wählt der Tür, der oberste Magistrat, sich seine Ratgeber aus, und zwar insgesamt drei, die ihm in Fällen bedeutender Ereignisse oder wichtiger Entscheidungen zur Seite stehen.
Es gibt noch einige Verwaltungskörperschaften von geringerer Bedeutung, aber alle verkehren im Staate so unaufdringlich und lautlos, daß die Existenz dieser Regierung von den Menschen kaum bemerkt wird und sich das soziale Leben so harmonisch und ruhig abspielt, wie wenn es ein Naturgesetz wäre.
Sehr charakteristisch ist nun, daß Maschinerien und Mechanismen bis zu einem maßlosen und unbegreiflichen Umfange in allen Lebensgebieten und Tätigkeiten, sowohl im privaten als im öffentlichen Leben, verwendet werden, und die Verwaltungsbehörde sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, nach Möglichkeit alles zu mechanisieren, dessen sie nur irgend habhaft werden kann.
Wie schon gesagt, gibt es weder Arbeiter noch Dienstboten, sondern zur Bedienung und Beaufsichtigung der Maschinen nimmt man Kinder, von der Zeit an, wo sie der mütterlichen Fürsorge entwachsen, bis zum heiratsfähigen Alter, das bei den Gyei (Mädchen) um das sechzehnte, bei den Ana (Knaben) um das zwanzigste Lebensjahr liegt. Diese Kinder suchen sich selbst ihren Lehrmeister, ihre Beschäftigung und ihre Wirkensstätte. Einige wählen irgendein Handwerk, andere Landwirtschaft, viele aber auch den einzigen gefährlichen Dienst, den es in die
sem Land überhaupt gibt. Denn es gibt hier nur noch wenige wirkliche Gefahren, so vor allem die Erdbeben und vulkanischen Ausbrüche des Erdinnern, deren Vorankündung, Verhütung oder Bekämpfung sehr hohe geistige Fähigkeiten erfordert; hie und da auch Angriffe der Feuer,
Luft und Wassergewalten.
An den Grenzen des Landes und allen gefährlichen Punkten sind hierfür besonders befähigte Wächter aufgestellt, die in telegraphischer Verbindung mit jenem Gebäude stehen, wo der Rat der Weisen des Landes tagt. Diese Gefahrwächter werden zumeist unter den Knaben, die im
Alter der Pubertät sind, ausgewählt, nach der Erkenntnis, daß in diesem Alter die Beobachtungsgaben besonders geschärft und viele physischen Fähigkeiten höher gesteigert sind, als in anderen Lebensstadien. Die zweite, weniger gefährliche Art von Gefahrendienst besteht in der Vernichtung aller Kreaturen, die dem menschlichen Leben noch feindlich sind. Die schädlichsten sind wohl die großen Reptilien, von deren Existenz wir nur aus Fragmenten zerstörter Skelette in unseren Museen wissen, und gewisse gigantische Flugtiere, halb Vogel, halb Reptil. Diese und einige weniger gefährliche Tierarten, die unseren Tigern und Giftschlangen ähneln, haben nun die jüngeren Kinder dort zu erjagen und zu zerstören. Man ist nämlich der Ansicht, daß hierzu vor allem Rücksichtslosigkeit und eine gewisse Freude am Zerstören notwendig ist, eine Eigenschaft, die gerade dem jüngeren Kinde vorzüglich eigen ist. Die Vernichtung einer anderen Tiergattung, der gegenüber vor allem Scharfsinn und eine feine Unterscheidungsgabe erforderlich ist, wird sodann älteren Kindern übertragen, Tiere nämlich, die zwar nicht dem Menschen selbst, aber seiner Landwirtschaft gefährlich sind, als da sind Elche und Elentiere und die Erde zerwühlende Biester, welche die Ernte verwüsten und die Ernährung gefährden. Es ist die erste Aufgabe dieser Kinder, den Tieren Achtung vor menschlichen Grenzpfählen und Einzäunungen einzuflößen, wie man Hunden bei uns den Respekt vor der Speisekammer beibringt. Nur wenn die Tiere auf solche Methoden nicht reagieren, werden sie völlig vernichtet.
Sonst wird Leben nie zerstört, weder zum Zwecke der Nahrung, noch etwa des Sports. Doch auch nie wird das Leben geschont, das dem menschlichen feindlich ist.
Gleichzeitig mit diesen gesundenden körperlichen Beschäftigungen schreitet die geistige Ausbildung dieser Kinder von Stufe zu Stufe vorwärts. Es ist Brauch, daß einzelne einen Kurs bei dem Rate der Weisen besuchen, wo der Schüler das lernt, was zu erlernen er anstrebt. Viele jedoch verbringen diese Periode der Prüfung auf Reisen, oder sie wandern gar aus, oder beginnen sofort mit der irdischen Arbeit in Handel und Landwirtschaft. Keinen Zwang gibt es da für den menschlichen Willen. 


10.  KAPITEL

Ein interessantes Experiment ist bei diesen Menschen ganz durchgeführt. Denn die Frauen sind in allem den Männern dort gleichgestellt, ein Problem, das die Philosophen ja bei uns noch umkämpfen.
In der Kindheit verrichten die Mädchen die gleichen Betätigungen wie die Knaben, ja, man zieht sogar in den jüngeren Jahren, die der Tötung wilder Bestien gewidmet sind, meistens die Mädchen für diese Beschäftigung vor, weil sie erfahrungsgemäß durch ihre Veranlagung unter dem Einfluß der Furcht und des Hasses viel rücksichtsloser und erbarmungsloser sind in der Zerstörung. In der Zeit zwischen der mittleren Kindheit und dem heiratsfähigen Alter wird die bisher gemeinsame Arbeit doch stark getrennt. Wenn dann das heiratsfähige Alter herannaht, wird die Gemeinsamkeit wieder gestattet, was nie zu schlimmeren Folgen führt, als eben zu einer Ehe. Jede Kunst und jeder Beruf steht beiden Geschlechtern offen, und die Gyei (Frauen) schreiben sich selbst sogar eine Überlegenheit zu in allen jenen fernliegenden, verborgenen Gebieten des Denkens, wofür, wie sie sagen, der abstrakte Verstand des männlichen Hirns, stumpf gemacht durch die ständige Erfüllung mit materiellen Dingen, ungeeignet geworden sei; wie ja auch in unserer Welt der weibliche Mensch sich noch mehr mit den Problemen theologischer Rätsel beschäftigt, für die sonst nur die wenigen Männer noch Zeit finden, die nicht im industriellen und technischen Treiben und Denken für Lebenszeit aufgehen.
Doch ein sehr wichtiger und sehr bedenklicher Punkt in der Durchführung weiblicher und männlicher Rechte bei diesem so seltsamen Volke ist nun der folgende. Ob nun infolge der frühzeitigen körperlichen Ausbildung oder auch als Folge einer besonderen erblichen Organisation, jedenfalls sind in diesem Lande die Gyei, die Frauen, den Ana, den Männern, an körperlicher Stärke beträchtlich überlegen.
Sie sind größer von Gestalt und auch sehniger im Körperbau. Ja, sie behaupten sogar, daß es den ursprünglichen Gesetzen der Natur unbedingt entspreche, daß die Frauen physisch stärker sein müßten als die Männer. Sie begründen diese Ansicht mit einem wissenschaftlichen Dogma, das sich ergäbe aus dem Erforschen des Lebens gewisser Insekten und aus einer theoretischen Betrachtung der ältesten Gattung von Wirbeltieren, wie zum Beispiel der Fische, bei denen doch auch die Weibchen meist groß genug seien, um ihre männlichen Kameraden nach Belieben verspeisen zu können.
Hierzu kommt, daß die Gyei eine viel konzentriertere und raschere Beherrschung jenes vorhin geschilderten eigenartigen Fluidums ausüben, das auch als Element der Zerstörung verwendbar ist; was sich bei ihnen noch mit der üblichen Fertigkeit zu geschickter Verstellung bedenklich vereinigt.
Dadurch können sie sich nicht nur leicht gegen jeden Angriff der Männer verteidigen, sondern konnten sogar, wenn der arglose Gatte nichts ahnte, seinem Leben in jedem Augenblick willkürlich ein Ende machen. Den Gyei zum Lob muß gesagt werden, daß sich seit Jahrhunderten kein
konkreter Fall eines wirklichen Mißbrauches dieser furchtbaren Überlegenheit in der Handhabung zerstörender Kräfte gegenüber dem schwächeren männlichen Geschlechte ereignete. Der letzte derartige Fall in dieser Gemeinde, bei der ich lebte, lag etwa zweitausend Jahre zurück. Die Chroniken melden, daß damals eine Gy in einem Anfall von Eifersucht ihren Gatten zerstörte. Diese abscheuliche Handlung flößte den Männern ein solches Entsetzen ein, daß sie allesamt auswanderten und die Gyei sich selbst überließen. Die Historie berichtet, daß die unter sich alleingelassenen Frauen natürlich in unerträgliche Verzweiflung gerieten, über die im Schlafe unbewaffnete Täterin herfielen und sie töteten, dann aber einen feierlichen Schwur taten, für immer ihrer weiblichen Überlegenheit an Kräften zu entsagen und diese Verpflichtung ihren Töchtern durch alle Generationen hindurch einschärfen zu wollen. Eine Deputation wurde mit diesem versöhnlichen Vorschlag an die geflohenen Männer gesandt und konnte mit Mühe einen Teil von ihnen zur Rückehr bewegen, doch kamen meistenteils nur die alten. Die jüngeren, ob nun aus Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Gattinnen oder wegen einer zu hohen Meinung über die Erhaltung ihres eigenen Wertes, wiesen jedoch jedes Entgegenkommen zurück und verblieben in fremden Gemeinden bei neuen Gattinnen, mit denen sie allerdings wohl kaum glücklicher lebten. Aber der Verlust des größten Teiles der männlichen Jugend hing wie das Damoklesschwert über den Häuptern der Gyei und befestigte sie in dem löblichen Beschluß, den sie nunmehr gefaßt. So kam es, daß sie ihre gefährliche Überlegenheit in Angriff und Verteidigung, die sie einst über die Männer besaßen, verloren, wie es zu gehen pflegt, wenn man irgendwelche Fähigkeiten brach liegen läßt. Aber auch jetzt noch täte mir jeder Ana herzlich leid, der den verzweifelten Versuch wagen sollte, festzustellen, ob das männliche Geschlecht nicht doch dem weiblichen überlegen sei.
Seit jenem Vorfall, den ich berichtete, datieren eine Reihe einschneidendster Änderungen in den Gebräuchen der Ehe, die gewiß den Männern etwas zum Vorteil gereichen. Sie verpflichten sich jetzt nur auf drei Jahre zu einer Ehe, und am Ende des dritten Jahres steht es einem jeden
Teil frei, sich von dem anderen zu trennen und jemand anderen zu heiraten. Nach zehn Jahren hat der Ana das Recht, sich eine zweite Gattin zu nehmen und der ersten zu erlauben, sich auf ihren Wunsch zurückzuziehen. Solche Regeln sind aber jetzt tote Buchstaben geworden, denn
Ehescheidungen und Polygamie sind äußerst selten, und die Ehefrage scheint einigermaßen gelöst bei diesem absonderlichen Volke. Die Gyei, trotz ihrer großen physischen und geistigen Überlegenheit über den Mann, sind doch im allgemeinen sehr entgegenkommend aus Angst vor
Scheidung oder einer zweiten Gattin, und die Männer sind bei diesem Volke derartige Gewohnheitsmenschen, daß sie jegliche Veränderung ihres automatischen Lebensablaufs und ihrer in einen sozialen Mechanismus eingespannten Lebensroutine von vornherein auszuschalten suchen.
Noch ein weiteres sehr eigentümliches Recht haben sich die Gyei bei diesem Volke gesichert, und wer weiß, ob dies nicht auch die unbewußte, verborgene Triebkraft so vieler Frauenrechtlerinnen auf Erden sein mag. Die Gyei nehmen nämlich für sich das Recht in Anspruch, um den Mann zu werben, während dies bei uns doch wohl umgekehrt ist. So ein Phänomen wie eine alte Jungfer gibt es also in diesem merkwürdigen Lande nicht, denn es ist sehr selten, daß eine Gy ihren unbedingten Willen in dieser Hinsicht nicht durchsetzt. Wie scheu, zurückhaltend und spröde der Mann, den sie umwirbt, auch sein mag, so bringt ihre Ausdauer, ihre Überredungskunst, und wenn alles nicht hilft, ihre Überlegenheit in der Anwendung der mächtigen Naturkräfte des Vrilstabes den Mann endlich doch sicher dahin, seinen Nacken unter das kaudinische Joch zu beugen. Ihre wissenschaftlichen Argumente für ein derartiges Verhältnis unter den Geschlechtern, das die Tyrannei des Mannes auf Erden in ihr Gegenteil verkehrt, sind allerdings logisch und werden durchschnittlich mit einer solchen Überzeugungskraft vorgetragen, daß sie einer unparteiischen Prüfung wohl wert wären. Sie argumentieren nämlich, daß von Natur die Frau ein viel mehr zur Gemeinsamkeit neigendes Wesen sei, daß ihre Gedanken und Lebensnotwendigkeiten von diesen Dingen viel weitgehender bestimmt würden und daß sie selbst daher der werbende Teil sein müßten. Dagegen sei der Mann eine scheue und zum Zweifel veranlagte Kreatur, ein unverbesserlicher Eigenbrötler, der wirklich zu oft dem egoistischen Wunsche nach Einsamkeit nachgäbe; auch meinen sie, daß der Mann zur Eroberung einer Frau völlig untalentiert sei, kurz, daß er von Natur zu den Kreaturen gehöre, die überrumpelt und dann in sicherem Gewahrsam gehalten sein sollten.
Was auch immer über diesen Punkt gesagt werden mag, das System scheint recht günstig für den Mann. Denn er hat die Gewißheit, daß die Frau nun auch wirklich an ihm hängt. Je spröder und zurückhaltender er sich zeigt, um so stärker wird das Bestreben der Gattin, sich seiner zu
vergewissern. Auch kann er unter dieser Konstellation von vornherein sehr günstige Ehebedingungen stellen, um sich, wenn auch kein segensreiches, so doch wenigstens ein friedliches Leben zu sichern. In der Tat, trotz ihrer bedenklichen Überlegenheit an Geist und Kräften, sind die Gyei die liebenswürdigsten, versöhnlichsten und glücklichsten Gattinnen, wie sie wohl kaum auf der Erde zu finden sind. 


11.  KAPITEL

Ich war anfangs doch furchtbar verwirrt, als ich meinen menschlichen Verstand mit der Tatsache aussöhnen wollte, daß es auch jenseits der Erdoberfläche noch Welten gäbe, und daß diese von Wesen bewohnt seien, die, wenn auch von anderer Organisation, doch in Gegenden lebten, wo die Hypothesen unserer höchsten Gelehrsamkeit ein Leben für völlig unmöglich erklären. Stimmen doch zum Beispiel die meisten Geologen und Philosophen darin überein, daß, wenn auch die Sonne der Urquell der Wärme ist, doch auch je tiefer wir unter die festen Substanzen der Erde hinunterdringen, dort die Hitze sich ständig vergrößert. Nun, vielleicht weil die Gegenden jener Menschheit, bei der ich mich aufhielt, sich unmittelbar unter der Erdoberfläche erstreckten, jedenfalls erschien mir die Temperatur als dem organischen Leben noch angemessen, und es war auch die Hitze nicht derart stark, wie sie den Schätzungen unserer Gelehrten nach sein müßte, nicht viel wärmer als etwa Südfrankreich oder der Süden Italiens. Und nach allen Berichten, die ich hier empfing, waren sogar noch in tieferen Bereichen der inneren Erde, wo nach unserer Meinung nur Feuersalamander sich aufhalten, allüberall Wesen der verschiedensten Art. Natürlich würde ich niemals wagen, Tatsachen zu behaupten, die im Widerspruch zu den Hypothesen unserer erhabenen Fachwissenschaft stehen. Und leider konnte auch Zee mir das Problem nicht erklären. Sie erlaubte sich nur die Vermutung, daß unsere Gelehrten die Struktur des Erdinnern vielleicht doch nicht ausreichend kennen, vielleicht auch von den Unregelmäßigkeiten, Strömungen und der Atmosphäre da drunten nichts wüßten und sich von den mannigfaltigen Wirkungen der Wärme kein rechtes Bild machen könnten. Sie gab andererseits zu, daß es Tiefen des Erdinnern gäbe, wo ein so organisiertes Leben wie das ihre unmöglich sei, auch nicht in dem umfassenderen Sinne, wie es die Vrilya verstünden; obgleich ihre eigenen Gelehrten wohl wüßten, daß auch in solchen Regionen und Sphären stets irgendein Lebensprinzip sein müsse, wenn es auch ein nur seelisches oder rein geistiges sei. Sie sagte: «Wo immer Gott Raum schafft, da erfüllt er ihn auch mit Wesen. Er liebt nur, was Wohnstatt für Leben und Wesen ist.»
Sie fügte jedoch hinzu, daß die Temperatur und das Klima gar manche Veränderungen erfahren hätten durch die geschickte und bewußte Beherrschung des Vril, und daß man all diese Naturprozesse mit ihm erfolgreich zu beeinflussen verstünde. Sie versuchte mir dann ein zartes,
die Lebenserscheinungen anregendes Medium zu erklären, das sie Lai nannte und das ich in Gedanken mit den ätherischen Kräften des Oxygen verglich, wie sie ein irdischer Forscher einst lehrte. In diesem Medium sind all jene Kräfte enthalten, die sonst unter dem Namen des Vril
zusammengefaßt werden. Sie versicherte, daß wo auch immer dieses Medium verbreitet werde, in ihm genügend Kräfte des Vril vorhanden seien, welche die Umgebung und Temperatur derart beeinflussen, daß das Lebensprinzip sich in der Substanzwelt verkörpern kann.
Dann erklärte sie mir, die Naturwissenschaft vertrete bei ihnen die Ansicht, daß  ob nun aus Samen dem Erdboden entsprossen, oder durch die fliehenden Vorfahren an diese Stelle verpflanzt  jedenfalls hier alle Pflanzen und jegliche Vegetation zu den jetzigen Formen durch die Wirkung des künstlichen Lichts umgestaltet und herankultiviert worden seien. Sie sagte auch, daß, seit das Vrillicht alle übrigen Lichtarten ersetzt habe, die Farbe der Blumen weit schöner und das Wachstum der Pflanzenwelt viel üppiger geworden sei.
Ich überlasse es denen, die sich darin für maßgeblich halten, diese Gedanken zu Ende zu denken. 


12.  KAPITEL

Dieses seltsame Volk hat eine Religion, die, was man auch dagegen sagen mag, doch bedeutsame Werte vereinigt. Erstens glauben dort alle Menschen auch an die Religion, zu der sie sich öffentlich bekennen. Zweitens befolgen sie wirklich die Regeln, welche ihr freiwilliger
Glaube ihnen vorschreibt. Sie sind einig in der Verehrung eines göttlichen Schöpfers und Erhalters des alles umfassenden Kosmos. Sie schreiben der alles durchdringenden Kraft des Vril die Eigenschaft zu, daß durch sie zu dem Urquell alles Lebens und Wesens jeder Gedanke gelange, den ein lebendes Wesen je fassen kann. Und obgleich sie nicht bestreiten, daß ein Erleben des Göttlichen allem Lebendigen innewohne, so meinen sie doch, daß der Mensch sich als das einzige Geschöpf darstellt, dem die Fähigkeit gegeben wurde, diese Wahrheit durch Gedanken zu fassen und bewußt mit dieser Erkenntnis zu leben. Auch halten sie dafür, daß dieses Privileg dem Menschen nicht umsonst gegeben ward, also daß Gebet und Dank an ein göttliches Wesen gelangen und zur Entwicklung des menschlichen Wesens vonnöten sind.
Ihre Kulthandlungen sind teils öffentlich, teils auch geheim. Da man mich nicht als ein Wesen von ihrer Art ansah, so ließ man mich nicht in den seltsamen Tempel hinein, wo der öffentliche Gottesdienst zelebriert wird. Man sagte mir nur, daß der Dienst hier der Zeit nach sehr kurz ist und die Zeremonie ohne Prunk vollzogen wird. Es ist ein Lehrsatz des religiösen Lebens der Vrilya, daß eine ernste Hingebung an die geistige und Absonderung von der physischen Welt doch nicht aufkommen kann, wenn die Öffentlichkeit uns umgibt, und daß alle anderen Versuche nur zu Fanatismus oder Scheinheiligkeit führten.
Sie sagen, daß in lange vergangenen Zeiten man bei ihnen noch vielbändige Bücher und Abhandlungen über das Wesen der Gottheit geschrieben habe, auch über die Glaubensbekenntnisse und das Maß ihres Wohlgefallens vor Gott. Aber all das habe nur zu so erhitzten und unwürdigen Begriffsspielereien geführt, daß nicht nur der Frieden der Gemeinschaft, sondern auch der einzelnen Menschen vergiftet wurde, ja, man habe im Laufe des Begriffeschmiedens schließlich die Gottheit gar selber hinwegdisputiert oder sie mit den Leidenschaften und Unvollkommenheiten menschlicher Philosophen bekleidet. «Denn», sagte mein Gastgeber, «da der Verstand eines irdischen Wesens nicht
das Wesen des Unendlichen fassen kann, so erniedrigt er Göttliches oft zu den Grenzen des eigenen Verstandes.» Deshalb gab man in späteren Zeiten alle philosophischen Begriffsspaltereien in diesen Dingen auf, und wenn man sie auch nicht gerade verbot, so verfielen sie schließlich
von selbst, weil kein Mensch sich mehr fand, der sie angehört oder gar gelesen hätte.
Die Vrilya sind sich dessen bewußt, daß der Mensch, nachdem die Pforte des Todes durchschritten ist, in einen höheren geistigen Zustand hinübergeht. Über die Lehre von Lohn und Strafe hegen sie nicht die sonst üblichen kindlichen Vorstellungen, vielleicht kommt es ihnen dabei
zugute, daß bei ihnen auch im Leben die Begriffe von Gut und Böse durch das Fehlen der Versuchung zum Verbrechen und der Standard ihrer Lebensweise so anders geartet sind, daß die sonst üblichen Unterscheidungen dafür nicht mehr ausreichen. Das Verhältnis der verschiedenen
menschlichen Qualitäten ist bei ihnen im ganzen viel aus geglichener, weil ihr Leben von vorneherein einen anderen Standpunkt von Moralität mit sich bringt. Auch haben sie eine besondere Anschauung von der wirklichen Fortdauer alles Lebens, die wir im folgenden nun zu schildern
versuchen. 


13.  KAPITEL

Während die Vrilya, wie ich schon sagte, alles nur philosophisch Begriffliche von der Erkenntnis des Wesens der Gottheit streng fernhalten, haben sie doch, wie mir scheint, jenes ewige Rätsel vom Dasein des Guten und Bösen gelöst, das dem philosophierenden Verstand unserer eigenen Welt noch zu lösen unmöglich war. Sie lehren, daß wo auch immer aus dem Wesen des Ewigen Leben entsprungen sei, dieses Leben, und sei es auch noch so schwach, aus der Welt nie mehr ausgelöscht werden könne. Denn es gehe in ewigem Werdegang stets in neue Gestaltungen über, sei auch nicht nur auf diesen einen Planeten beschränkt (worin sie sich von anderen Deutungen der Wiedergeburtslehre wohl unterscheiden).
Das Bewußtsein der eigenen Identität behalte das Lebewesen durch Geburten und Tode und knüpfe so jedes vergangene Leben mit dem künftigen Leben zusammen, ja sei sich im Innern bewußt eines harmonisch ansteigenden Fortschritts. Denn sie sagen, daß ohne die solchergestalt sich vollziehende stete Entwicklung für die klare Vernunft und Erkenntnis die Verwirklichung einer vollkommenen reinen Gerechtigkeit niemals verstanden und wahrhaft durchschaut werden könne. Ungerechtigkeit würde jedoch nur aus folgenden Ursachen kommen: Mangel an einer Erkenntnis des Guten, Mangel an Wohlwollen, Mangel an Macht, das Gute zum Siege zu führen. Doch weil Gott diesen Mangel an Weisheit und Willen zum Guten und den Mangel an Macht der Erfüllung nicht wolle, so gibt seine hohe Gerechtigkeit uns auch die Möglichkeit künftiger Wiedergeburt, ja, sie fordert sogar dieses Fortleben der Menschen, als auch anderer Wesen in der alles umfassenden Welt. Es sei eine irrige Annahme menschlicher Köpfe, daß Gott sich nur in dem Rahmen von Naturgesetzen auswirke und dadurch das Werk seiner Hände so mächtig mache, daß es das schöpferische Prinzip selbst in Fesseln lege. Einenoch viel mehr aus beschränkter Unwissenheit stammende Ansicht sei es, Gott habe sein eigenes Wesen nicht auch in den Myriaden gestalteter Formen in den übrigen Naturreichen verwirklicht, sondern nur dem menschlichen Wesen allein vorbehalten. Diese Unterscheidungen seien nicht wahr in der Anschauung göttlichen Wirkens. Das beseelte lebendige Wesen werde durch die Verwandlung der Jahrtausende erhalten, und wenn es auch Tode erleide, so sei doch die Geburt zu neuem Leben gegeben. Da nun das Innere des wiedergeborenen Wesens das Bewußtsein der Identität sich im künftigen Leben bewahre  wenn auch die Erfüllung des göttlichen Wesens in uns noch außerhalb unserer Erkenntniskräfte verbleibe , so haben wir doch das Recht, an die Ewigkeit und Allgemeinheit dieser Wahrheit zu glauben, was nicht möglich sein würde, wenn dieWelt nur den Naturgesetzlichkeiten unterworfen wäre. So allein werde Vollkommenheit in der Erkenntnis, Vollkommenheit in der Liebe zum richtigen Wollen, Vollkommenheit in der Macht des Vollbringens erlangt.
Wie fremd solcher Glaube auch diesem und jenem erscheinen mag, so hat er doch mancherlei Vorzüge. So führt er im sozialen Leben auch zu vernünftigen sozialen Gedanken, läßt die Jagd nach dem Reichtum und nach weltlichen Ämtern nicht zu und bewirkt eine harmonische Milde und Ausgeglichenheit in den Beziehungen der Menschen untereinander, sowie eine Fürsorge für alle lebende Kreatur. Nur selten sieht sich die Gemeinschaft dann zum Töten lebendiger Geschöpfe gezwungen. Und obgleich dieser Glaube, daß das Quälen eines Tieres oder das Zerstören von Leben gesühnt werden müsse, vielleicht vielen befremdend erscheint, so gibt er dem Ernsten doch wirklich zu denken.
Mir war es erstaunlich, daß jenseits unserer Erdoberfläche sich noch Wesen befinden, die das Licht einer besseren Erkenntnis bewahrten, die von den göttlichen Werten wissen, die das Wesen des Guten und Bösen und den Gang jener ewigen Gerechtigkeit über Zeit und Raum hinaus
richtig erkannten.
Ich werde später darauf noch zurückommen, wie die geistigen Anschauungen und sozialen Systeme dieser befremdlichen Menschheit es ermöglichten, die verschiedensten und sich anscheinend widersprechenden Variationen philosophischer Lehren und Thesen doch harmonisch zu einem Ganzen zu verschmelzen und im täglichen Leben zu verwirklichen, die bei unseren Philosophen noch im wütendsten Gegeneinander umkämpft, von Zeit zu Zeit fallengelassen, dann wieder aufgegriffen und abwechselnd als allein seligmachend oder als weltzerstörerisch durch die Disputationen gezerrt werden.
Vorerst will ich meine Betrachtung über die religiösen Anschauungen der Vrilya, die von der ewigen Erhaltung des menschlichen Wesens handeln, mit,Gedanken beschließen, die einem Werke des berühmten Zoologen Louis Agassiz entnommen sind, das mir erst später bei Nieder
schrift meiner Erinnerungen an die Erlebnisse bei dem Volke der Vrilya in die Hände fiel, wo dieser irdische Forscher sagt: «Die Beziehungen, in denen die Individualitäten lebender Wesen zueinander stehen, sind so geartet, daß man sie eigentlich immer schon als genügenden Beweis
dafür hätte ansehen können, daß kein lebendiger Organismus jemals entstehen kann, ohne daß ein bewußter Wille hierzu den ersten Antrieb gegeben hat. Dies sagt uns vor allem, daß in jeglichem Lebewesen ein Funke jenes übersinnlichen Lebensprinzipes sich auswirkt, das erst im Menschen sich als geschlossene, höhere Einheit verwirklicht und somit diesen über das Tierreich erhebt. Ja, dieses schöpferische Lebensprinzip existiert ohne Zweifel, und ob man es nun in Vernunft, Verstand oder Instinkt aufsucht, stets wird es sich in allen Arten von lebenden Wesen durch eine Summe eindeutigster und harmonisierender Phänomene beweisen. Sind auf ihm doch die höchsten Betätigungen seelischer Art ebenso basiert, als auch gerade diejenigen Differenzierungen, die jedes solche Wesen von den anderen unterscheiden. Fast alle Begründungen, die für die Unsterblichkeit jeder menschlichen Seele sprechen, stützen sich auf die Fortdauer dieses ewigen Lebensprinzipes in einem jeglichen dieser Wesen. Muß ich noch sagen, daß ein zukünftiges Leben, in dem der Mensch all die Früchte seiner geistigen und moralischen Fortschritte und seiner Erkenntnis der Harmonien des Weltalls, die er im Leben erworben hat, wieder verlieren müßte, ihn zu unersetzlichen ewigen Verlusten verdammen würde? Und dürfen wir also nicht doch einen harmonischen Zusammenklang aller Welten und der darin lebenden Wesen in der Gegenwart ihres Schöpfers als die höchste Erfüllung im Jenseits betrachten?» 


14.  KAPITEL

Die Familie meines Gastgebers zeigte mir eine fürsorgliche Aufmerksamkeit, die in der Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit seitens der Tochter einen Gipfel erreichte. Auf ihren Vorschlag hin vertauschte ich die unschönen Kleider, die ich noch von der Erdoberfläche her trug, mit den Kleidungsstücken, wie sie den Vrilya eigen sind, mit Ausnahme jener künstlichen Flügel, die sie ja, wenn sie nicht fliegen, auch als kleidsamen Mantel tragen.
Aber da viele von ihnen bei alltäglichen Beschäftigungen die Flügel ablegten, so erregte ich mit meiner Flügellosigkeit kein weiteres Aufsehen und stach nicht zu sehr von meiner Umgebung ab, konnte also die Stadt besuchen, ohne zuviel unliebsame Neugierde zu erregen. Außer der Familie meines Gastgebers ahnte gewiß niemand, daß ich aus der oberen Welt kam, und man hielt mich nur für irgendeinen barbarischen Halbwilden, den Aph-Lin bei sich aufgenommen hatte.
Die Stadt war verhältnismäßig groß. Das zugehörige Land dagegen nicht viel größer als etwa der Besitz eines englischen oder ungarischen Edelmannes. Alles war bis zu den angrenzenden Felsen in vollendeter Weise kultiviert, nur ein kleines Gehege von gebirgiger Weide hatte man
menschlicherweise für einige Arten unschädlicher Tiere noch frei gelassen, die man aus Liebe zur Tierwelt, nicht nur zum menschlichen Nutzen, dort zahm hielt. Diese Fürsorge für die Erhaltung der Tiere geht so weit, daß es einen besonderen Staatsfonds gibt, der dazu dient, die über
handnehmenden Jungtiere in entferntere Gegenden, meist neu errichtete Kolonien, zu verbringen. Eigenartigerweise vermehren sich diese Tiere jedoch nicht so stark wie diejenigen, die wir nur zum Schlachten uns züchten. Es kam mir der Gedanke, als ob die Natur diejenigen Geschöpfe,
die keinen Wert mehr für den Menschen besitzen, langsam in seiner Umgebung von selbst auslösche.
Es ist ein alter guter Brauch unter den verschiedenen Staaten der Vrilya, daß man immer zwischen zwei Staaten einen Streifen gänzlich neutralen und unbebauten Landes frei läßt. Bei der Gemeinde, in der ich lebte, bestand dieser Streifen aus wilden, für den Fußgänger unbetretbaren Felsen, welche aber von diesen fliegenden Menschen leicht überwunden werden, sei es mit Flügeln oder in kleinen lenkbaren Luftschiffen, auf die ich noch zu sprechen komme. Später hat man auch Straßen für Fahrzeuge mit Hilfe der Vrilkräfte durch die Felsen gebahnt. Diese Straßen waren immer von jenem künstlichen Licht erleuchtet, das von den umliegenden Gemeinden der Vrilya versorgt wurde. Ein lebhafter Handel ging über die Gebirge hinweg. Charakteristisch ist, daß die höchsten Preise gegeben werden für Vögel, die zum vielstimmigen Singen in Chören und symphonischen Harmonien angelernt sind, denn sie sind schwer zu erlangen und zeichnen sich auch durch ihr herrliches Gefieder vor den anderen aus. Für ihre Ausbildung sind besondere Lehrer erforderlich, die in der Kenntnis der sphärischen Harmonien bewandert sind und welche die Fähigkeit dieser Vögel auf einen unbegreiflichen Grad der Vollkommenheit steigerten. Neben diesen singenden Geschöpfen besitzen die Vrilya keine anderen Lieblingshaustiere, außer einigen den Salamandern ähnlichen Kreaturen, die als Hausnarren viel zur Belustigung beitragen und mit ihrem tragikomischen Mienenspiel in den Gärten den Kindern zum Ergötzen gehegt werden. Hunde und Pferde kennt man nicht, obgleich Zee, dieses Phänomen an Gelehrsamkeit, mir erzählte, daß es ähnliche Kreaturen bei den nicht zu dem Stamme der Vrilya gehörigen Völkern noch gäbe. Sie sagte, daß gerade diese Tiere nach der Entdeckung der Vrilkräfte langsam ausstarben, weil durch die
Mechanisierung aller Arbeit solche Tiere für den Menschen ganz überflüssig geworden sind. Durch die Erfindung des Fliegens der Menschen sei das Pferd jetzt als Lasttier ganz unbrauchbar, und mit dem Wegfall der Feindseligkeit unter den Menschen sei das Halten von bissigen Hunden ja zwecklos. Nun war wirklich diese Gegend so felsig, daß ein Pferd seinen Zweck nicht erfüllt hätte, und in der Landwirtschaft gebrauchte man als Lasttiere Gemsen. Die felsige, ungangbare Umgebung mag diese Menschheit wohl vor allem für den Gedanken der Erfindung von Flügeln und Luftschiffen angeregt haben.
Die Stadt selbst war so ausgedehnt dadurch, daß ein jedes Haus von den herrlichsten Gärten umschlossen war.
Die stattliche Hauptstraße, in der mein Gastgeber Aph-Lin wohnte, mündete in einen weiten Platz, der vom Hause des Rates der Weisen und den Verwaltungsgebäuden umgeben war. Eine herrliche Fontäne jenes selbstleuchtenden Fluidums (das ich mit Naphta bezeichne, weil ich seine wahre Zusammensetzung nicht kenne), erhob sich inmitten des Platzes. Alle diese Gebäude erweckten einen Eindruck von lastender Schwere, der mich an die Architektur frühester Zeiten erinnerte. Um ein jedes Stockwerk herum liefen große Balkone, oder besser gesagt Gartenterrassen, die von Säulen getragen, mit den prächtigsten Blumen bepflanzt und von den seltsamen singenden Vögeln bewohnt wurden.
Von dem Hauptplatz aus liefen die prächtig mit künstlichem Lichte erleuchteten Straßen und erstreckten sich bis zu den mächtigen Felsen. Meine Besuche in der Stadt durfte ich niemals allein unternehmen, sondern hatte Aph-Lin oder seine Tochter als stete Begleiter. Bei diesem Volke ist der freie Verkehr unter den Geschlechtern nicht durch eine spitzfindige Konvention unnatürlich gemacht.
Die Geschäfte und Läden sind nicht so zahlreich und bunt, und werden von Kindern bedient, die zwar verständnisvoll und höflich, doch nie aufdringlich sind. Der eigentliche Inhaber solcher Geschäfte ist selten zugegen und scheint kaum mit der Sorge um geschäftliche Dinge seine
Zeit zu verbrauchen, auch wählt man sich bei den Vrilya eine solche Beschäftigung unabhängig von jeglichem Zwang und aus eigenem Antrieb. Ja, einige der reichsten Leute unter den Vrilya bedienten in solchen Geschäften aus Liebhaberei, gibt es doch, wie ich schon sagte, weder
Amtswürden dort, noch Titulatur, und darum ist jede Art von Beschäftigung im sozialen Leben stets gleich hochgeachtet. So zum Beispiel kaufte ich meine Sandalen beim Bruder des Staatsregenten, des Tür, und dieser Laden unterschied sich in nichts von einem solchen in Bond Street oder Broadway zu New York. Dieser Mann war dabei zweimal so wohlhabend als der Staatsregent und besaß einen prächtigen Landsitz.
Allerdings sind diese Menschen andererseits, sobald ihre Kindheit vorbei ist, ein schrecklich mechanisiertes und temperamentloses Volk. Ob dies nun Folge eines Entwicklungsstadiums des menschlichen Geistes schlechtweg oder einer vom mechanisierten äußeren Leben diktierten Lebensanschauung sein mag, immerhin halten sie gleichmäßigen Ablauf und Ruhe für den Idealzustand irdischen Daseins.
Aber, wenn man durch philosophische Dogmen die Impulse zum Handeln gänzlich verurteilt, die aus dem individuellen Triebleben des einzelnen kommen, so wundert mich nicht, daß man dann in das Extrem völliger Apathie verfällt. Im gewöhnlichen Leben ziehen sie oft das Zufußgehen
dem Fliegen vor. Jedoch zur Erholung und beim Umherschweifen fliegen sie lieber, was dann meist zu jenen prächtigen Luftspielen führt, die ich vorhin beschrieb. Auch wenn sie ihren Landsitz aufsuchen, der stets in luftigen Berghöhen liegt, oder wenn sie, besonders in der Jugend,
nach entfernteren Gegenden reisen, dann benützen sie als Beförderungsmittel nur ihre Flügel.
Wer einmal seine Flügel zu benutzen versteht, kann, wenn auch nicht die Geschwindigkeiten der schnellsten Vögel, so doch mit Leichtigkeit etwa dreißig Meilen in der Stunde zurücklegen und dieses Flugtempo fünf bis sechs Stunden ununterbrochen durchhalten. Aber das zur
Trägheit im späteren Alter recht hinneigende Volk der Ana liebt keine schnellen Bewegungen oder sportlichen Leistungen. Vielleicht auch, weil ihre Ärzte sie daran durch die Maßregel hindern, die bei uns ja ständig betont wird, daß man nur bei geregelter Atmung der Poren gesund sei;
weshalb sie sich regelmäßig durch besonders bereitete Bäder behandeln, die den römischirischen bei uns etwas ähnlich sind, aber dort mit wohlriechenden und auch heilenden pflanzlichen Kräutern und Säften bereitet sind.
Wichtig als Heilmittel ist ihnen ganz besonders ein Vrilbad, durch das sie in regelmäßigen Zeitabständen ihre Körper stärken und stählen. Als ich es einmal versuchte, erinnerte es mich an die Wirkungen der Wässer von Gastein, deren belebende Wirkungen unsere Gelehrten der Elektrizität zuschreiben möchten. Doch ist die Wirkung noch eine andere und von schwerwiegendstem Einfluß auf den menschlichen Organismus. Die Vrilya wissen ja überhaupt, daß dieses Fluidum Vril, wenn mit richtiger Kenntnis verwendet, als ein wichtiger Lebenserhalter sich darstellt. Doch, wenn im Übermaß angewandt, schadet es dem gesunden Organismus ebenso leicht und schwächt die Lebenskraft. Wohl fast für alle Erkrankungen greifen sie zu der Hilfe des Vril, das in richtiger Dosis die Natur unterstützt und dem Körper im Wiederherstellen seiner organischen Ordnung behilflich ist.
In einer besonderen Art sind sie Freunde eines wirklichen Luxus, aber ihr Luxus ist stilvoll und unschuldig. Man könnte sagen, sie leben in einer Atmosphäre von harmonischen Tönen und Düften. Jeder Raum enthält zahlreiche Instrumente, die eine sanfte melodische Tonwelt erzeugen,
die dem Weben der sphärischen Harmonien vergleichbar ist. Diese Menschen haben sich derart an die tönende Umgebung gewöhnt, daß sie selbst im Gespräch und im einsamen Denken dadurch niemals gestört sind. Nein, sie sind sogar fest überzeugt, daß der Mensch, wenn er eine mit Tönen verwobene Luft atmet, sich die Funktionen des Denkens und Lebens erleichtert.
Im Genuß lehnen sie tierisches Fleisch und berauschende Getränke durchweg ab, doch kultivieren sie ihre Mahlzeiten sehr und bewahren in all ihren Ausschweifungen stets eine stilvolle Fröhlichkeit. Ihre Vorstellung eines glücklichen Lebens erstrebt gar nicht Höchststeigerung eines einzelnen Augenblicks, vielmehr dauernde Erregung eines beschaulichen, heiteren Lebens. Dies verstehen sie nun durch den glücklichen Stil ihres Wesens sich in Gemeinschaftlichkeit wirklich zu sichern.
Ihre Schädelbildung unterscheidet sich wesentlich von den mir auf der Erde bekannten Rassen. Ich möchte sie für eine auf unzählige Zeitalter zu berechnende Höherentwicklung einer brachyzephalen Schädelform halten, im Vergleich zu dem dolichozephalen Typus, jener vorsintflutlichen Kopfform, die bei uns auf der Erde jetzt am häufigsten vorkommt und der keltische Schädel genannt wird.
Die Stirn ist nicht so zurückstehend wie beim Kelten, sondern ausholend und nach vorne gewölbt, der Kopf ist vor allem oben in der Mitte stärker ausgebildet, und dafür kleiner am Hinterkopf, wo die Phrenologen die tierischen Organe vermuten. Ein Phrenologe würde also wohl sagen, bei den Vrilya seien die Organe der Schwere, der Zahl, des Tones, der Harmonie, der Ordnung sehr stark entwickelt; das Organ des Konstruktiven sei viel stärker ausgebaut als das der Schwärmerei. Die Grundlagen der moralischen Qualitäten, wie Gewissen und Nächstenliebe, sind sehr entwickelt; Leidenschaft und Kampflust gering; Anhänglichkeit groß, auch das Organ der Gewalt (insoweit sie der Überwindung von Hindernissen dient) ist hervorragend, aber doch weniger stark als das des Mitleids. Ihre Liebe zur Nachkommenschaft hat mehr den Charakter des Sicheinfühlens und der Hilfsbereitschaft gegenüber Wesen, die des Schutzes und der Hilfe bedürfen, als des tierischen Ursprungs der Liebe. Ich begegnete niemals einer Person,die wirklich häßlich oder mißgestaltet gewesen wäre. Die Schönheit ihrer Gesichtszüge beruht gar nicht etwa besonders auf Symmetrie, sondern vielmehr auf der Beherrschtheit des Antlitzes, das bis ins hohe Alter hinein keine Falten und Furchen zeigt, aber jenen Ausdruck aufrichtiger Güte trägt, der eben nur durch die Selbstbeherrschung und das Freisein von Furcht jeder Art sich erwerben läßt. Diese majestätische Güte war es, die in einem gewöhnlichen Erdenbewohner wie mir, der an die Verzerrungen einer leidenschaftlich kämpfenden Menschheit gewöhnt ist, ein Gefühl der Erniedrigung, Scham und Furcht auslöste. Es ist der Gesichtsausdruck, mit dem Künstler die Halbgötter, Engel und Genien bildnerisch zu gestalten lieben.
Die Männer sind bei den Vrilya natürlich ganz bartlos; dagegen kann man das von den älteren Gyei nicht immer sagen. Ich war erstaunt darüber, daß bei diesem Volke die Hautfarbe nicht bei allen die gleiche ist, wie ich sie vorhin beschrieb, sondern es gab da noch schönere, welche die
Blauäugigkeit und das goldblonde Haar unserer nordeuropäischen Typen mit der bronzenen Tönung der Hautfarbe unserer südlichen Menschen vereinten. Wie man sagte,stammt dies von den Mischehen her, die mit entfernteren Völkern der Vrilya geschlossen wurden. Man befürwortete solche Mischehen unter den Völkern, doch wiederum grundsätzlich nur mit solchen, die durch die Generationen hindurch sich in der Beherrschung des Vril gleiche Fähigkeiten erwarben. Auf Völker, denen die Meisterschaft über die Vrilkräfte fehlte, sah man voll Mißachtung und voll Mitleid herab, etwa wie der Bürger New Yorks auf Mulatten und Neger.
Ich lernte von Zee, die viel gelehrter war als die männlichen Geschöpfe ihrer Umgebung, daß man die Überlegenheit der Vrilya den ungewöhnlichen Hindernissen zuschrieb, die ihnen von der Natur bei der ersten Entwicklung der Rasse entgegengestellt wurden. «Denn», sagte sie, «immer müssen bei den Kämpfen in der Entwicklung die befähigtsten Wesen aus der Masse herausgelöst werden. Die Natur arbeitet letztlich nur für die Auserlesenen! Auch bei unserer Rasse wurden so in der Entwicklung bis zur Entdeckung des Vril nur die hierfür bestorganisierten Menschen erhalten, und in unseren Traditionen gibt es ein Buch, welches glauben läßt, daß wir einst aus Regionen hierherkamen, die der Schilderung Ihrer Welten entsprechen. Dies geschah durch ein heftigeres Ringen mit der Natur, wie es unsere Ahnen erlebten, um eine auserlesene Menschheit zu bilden, die bestimmt ist, in der anderen Welt zukünftig wieder zu erscheinen, um die morschen und niedergehenden Rassen, die jetzt dort leben, von der Bildfläche zu verdrängen.»
Aph-Lin und Zee führten viele persönliche Gespräche mit mir über die politischen und sozialen Verhältnisse unserer Welt auf der Erdoberfläche, deren Menschheit, wie Zee so philosophisch deduzierte, einst durch die Ankunft der Vrilya ausgelöscht werden würde. Ich bemühte mich
wirklich sehr, in meinen Erzählungen unsere Welt in ihren Fähigkeiten und Eigenschaften so glänzend als möglich zu schildern, und versuchte dabei nicht derart zu schwindeln, daß meine Zuhörer es von vornherein als Schönfärberei zu entdecken vermöchten  und trotzdem, immer sahen sie sich gezwungen, die Institutionen unserer glorreichsten, zivilisiertesten Völker mit den dekadentesten Sorten ihrer Völker vergleichen zu müssen, die man als hoffnungslos wildester Barbarei verfallen betrachte, und von denen man nur erwarten könne, daß sie Schritt um Schritt einem völligen Chaos und Zusammenbruch zueilen. Meine Zuhörer stimmten daher von neuem darin überein, daß man ihren Mitmenschen nur ja vorerst jegliche Kenntnis von jenen Welten auf der Erdoberfläche verbergen und verheimlichen müsse; beide fühlten sehr menschlich und schauderten vor dem Schicksal zurück, so viele Millionen von Kreaturen der Vernichtung zueilen zu sehen, ja die Schilderung meiner
Welt, so schön ich sie färbte, betrübte sie nur. Umsonst zählte ich all unsere großen Männer auf, die mir gerade in den Kopf kamen  Lyriker, Philosophen, Parlamentarier, Generäle  und stachelte die Vrilya an, dem etwas ähnliches an die Seite zu stellen.
«Ach», sagte Zee mit einer engelgleichen Milde, «diese wenigen hervorragenden Ausnahmen mit ihrem himmelweiten Abstand von der Masse der Allzuvielen, das gerade ist ja das sicherste Zeichen einer unrettbar verfallenden Menschheit. Denn das letzte Ziel aller irdischen Entwicklung besteht gerade im Überwinden jenes Abstandes, der nur zum Kampf Aller gegen Alle hinführt. Welche Regierungsmaßnahmen man dann noch ergreift, das ist ganz belanglos. Vergrößert sich jener Abstand zwischen den ganz Wenigen und den Vielen zu sehr, so ist das Ende der persönlichen Freiheit gekommen, was für eine Freiheit dabei in den Gesetzesparagraphen noch stehen mag. Auch die allgemeine Möglichkeit ruhiger Arbeit verschwindet, ohne die eine geistige und physische Entwicklung unmöglich ist.
Die grundlegende Ansicht der Vrilya hingegen sei die, daß je mehr wir das gesamte Leben demjenigen Geiste auch in irdischer Wirklichkeit anpassen können, wie das geistige Leben nach dem Tode geartet ist, desto mehr wird es möglich sein, auch im irdischen Leben die göttlichen Weltenziele einst zu verwirklichen, und je mehr wir uns hier schon den Anforderungen geistiger Welten anpassen, um so leichter wird uns später der Übergang werden. Ist doch alles, was wir jetzt schon vom Leben der göttlichen Wesen und der durch die Todespforte gegangenen Seelen wissen, ein Beweis dafür, daß das Austilgen von egoistischer Einstellung und verzehrender Leidenschaft, von Geiz, Ehrgeiz und
Händelsucht hierfür Voraussetzung ist. So scheint uns als notwendig deshalb ein Leben voll betrachtender Ruhe, das aber nicht ohne die Impulse der geistigen Kräfte und der individuellen Befähigung jedes einzelnen abläuft, stets ohne Zwang, ja, durch den Austausch von Sympathien erheitert, ein Leben, das die Atmosphäre von Rache und Haß, von Furcht, Kampf und Rivalitäten nicht zuläßt.
Das sind die politischen und sozialen Verhältnisse, wie sie die Vrilya zu erreichen veranlagt sind. Sie sehen, wie gänzlich sich diese Zustände unterscheiden von denjenigen der doch recht unzivilisierten Nationen, von denen Sie kommen.
Es muß bei Ihnen ja notwendig zu einer systematischen Fortdauer ewiger Sorgen, Ängste und leidenschaftlicher Kämpfe ausarten, die mit der Zeit statt besser nur schlimmer, bedrohlicher anwachsen.
Bei uns gibt es ein Volk», sagte sie, «das zwar an Zivilisation unter den Vrilya steht, jedoch unter den wilden Barbaren das mächtigste ist und seine Regierungsform für die beste politische Errungenschaft menschlicher Weisheit hält, die von den anderen Nationen unbedingt nachgeahmt werden müsse. Diese Staatsform nennt man ,KoomPosh', es ist die Regierungsform der Unwissenden, nach dem kindlichen Prinzipe gedacht, daß im Staate die Mehrheit regieren müsse. Diese Staatsidee sieht das Heil darin, daß eine jede Partei um die Mehrheit wetteifert, was natürlich nur zu einem Dauerzustand übelster Leidenschaft führt Kampf um den Vorrang an Macht, um Erlangung der Staatsgelder oder um Volksgunst und andere Dinge von solcher Art. Es ist scheußlich, zu sehen, wie bei dieser Staatsform die Rivalität der Parteien dahin führt, daß der eine den anderen beschimpft, verleumdet, betrügt, und wie sich selbst noch die besten und harmlosesten dieser Parteimenschen gegenseitig ohne Gewissensbisse oder Scham niederkämpfen.»
«Vor einigen Jahren», sagte Aph-Lin, «besuchte ich ein derartiges Volk, aber ihr Elend und ihre Würdelosigkeit wurde mir nur noch widerlicher dadurch, daß sie ständig davon redeten, wie herrlich weit sie es doch gebracht hätten und sich mit phrasenhaftem Wortschwall als eine glorreiche Nation gegenüber den anderen Völkern betitelten.
Und leider gibt es keinerlei Hoffnung, dieses Volk, das übrigens recht dem Ihrigen gleicht, je zu bessern, da die ganze Psychologie dieser Menschen in solcher Richtung sich abwärts entwickelt. Eine ihrer Begierden besteht beispielsweise darin, ihr Gebiet nur um jeden Preis zu vergrößern, was ja mit der fundamentalen Wahrheit in Widerspruch steht, daß jede Gemeinschaft nur bis zu einem organisch gegebenen Höchstmaß an Umfang noch lebensfähig ist. Und je mehr sie ein Staatssystem ausbauen, in dem einzelne Demagogen sich nur durch hitzige Kämpfe und geschwollene Worte an der Spitze von Millionenmassen erhalten, desto mehr brüsten sie sich gar: ,Da seht ihr, durch welche ausnehmend glänzenden Vertreter einer im Verhältnis so kleinen Nation wir die Richtigkeit unseres politischen Systems beweisen!'»
«In der Tat», sagte Zee abschließend, «wenn die Weisheit des menschlichen Lebens doch wohl darin besteht, dieses irdische Leben nach den Anforderungen geistiger Welten soviel als eben möglich zu regeln, wie es unsere Anschauung sagt, dann gibt es kaum eine falschere staatliche Ordnung als diejenige, welche die Fortdauer ewiger Parteikämpfe und Streitereien unter den Sterblichen systematisch noch fördert. Auch verstehe ich nicht, wie durch Glaubensbekenntnisse, die solche Zustände zulassen, man sich für jene Zeit vorbereiten will, die man in der Unsterblichkeit dann zu verbringen beansprucht. Im Gegenteil, Menschen, die ihre irdische Zeit mit so aller Göttlichkeit feindlichen Dingen verbringen, werden für das wahre Wesen der Göttlichkeit später niemals Verständnis finden und sich gewißlich noch sehnen, zurückehren zu dürfen in die Welt der parteiischen Kämpfe.» 


15.  KAPITEL

Den Vrilstab habe ich so oft erwähnt, daß man gewiß eine genauere Beschreibung von mir erwartet. Leider kann ich nicht alles sagen, denn man hat mir dort niemals gestattet, ihn selber auszuprobieren, aus Furcht, daß meine Unwissenheit zu den schrecklichsten Katastrophen führen
könnte. Soviel ich sah, ist es ein hohler Metallstab, der am Handgriffe mancherlei Tasten und Sprungfedern hat, durch die seine Wirkung aufs genaueste reguliert, verstärkt, geschwächt oder auch völlig in den Funktionen verändert wird  so daß er also durch die eine Wirkensart heilt, durch eine andere zerstört  durch das eine Verfahren zersprengter Felsen, durch das andere ändert er die Zusammensetzung von Dämpfen  auf die eine Art beeinflußt er den leiblichen Organismus, auf die andere gar die Verstandeskräfte und das Bewußtsein.
Er wird für gewöhnlich bequem nach Art eines Spazierstockes getragen, aber es gibt Vorrichtungen, durch die er beliebig verlängert oder verkürzt werden kann. Wenn er zu bestimmten Zwecken verwendet wird, so liegt der obere Teil fest in der Handfläche, während Zeige und Mittelfinger die Tasten bedienen. Doch man versicherte mir, daß seine Wirkung durchaus nicht bei allen Individualitäten die gleiche sei, sondern je nach der inneren Verwandtschaft des menschlichen Trägers zu den Vrilkräften recht verschieden, auch veränderlich je nach den Triebkräften, die zur betreffenden Handlung Veranlassung geben. Einige wären fähiger im Zerstören, andere im Heilen usw., alles hänge also von der Selbstbeherrschung und Willensstärke des mit den Vrilkräften arbeitenden Menschen ab.
Sie haben die Erfahrung gemacht, daß der volle Gebrauch der Vrilkräfte nur durch die bei der Geburt mit ins Leben gebrachten Begabungen möglich sei, das heißt durch die mit der Geburt überkommene Organisation  und daß ein weibliches Kind von vier Jahren, das bei der Vrilyarasse
zur Welt kommt, mit diesem Stab, auch wenn er zum ersten mal in seine Hand gelegt wird, Taten ausführen kann, die der geschickteste Mechaniker, wenn ohne die Vrilfähigkeiten geboren, selbst durch lebenslanges Studium und Experimentieren nicht zustandebringt. Nicht alle diese Stäbe sind gleich kompliziert. Man gibt Kindern zuerst einfacher konstruierte als diejenigen, welche dann von Erwachsenen verwendet werden. Auch nimmt man beim Kind auf seine besondere Befähigung und Beschäftigung Rücksicht. Die mit der Zerstörung gefährlicher Dinge betrauten Kinder erhalten also dafür geeignete Vrilstäbe. Bei den Gattinnen und Müttern ist die Zerstörungskraftanlage in den Stäben meist weggelassen, hingegen sind die Heilkräfte dann besser ausgebaut. Ich wünschte, ich könnte Eingehenderes über dieses Instrument zur Leitung des Vrilfluidums sagen, soviel ist jedoch gewiß, seine Konstruktion ist über alles Maß vollkommen und seine Wirkungen sind überwältigend.
Ich muß noch berichten, daß diese Menschen gewisse Einrichtungen erfunden haben, mittels deren das Vrilfluidum sogar über allergrößte Entfernungen auf die Dinge hindirigiert werden kann, die man zerstören will. Fünfhundert bis sechshundert Meilen sind hierfür eine Kleinigkeit. Die mathematischen Kenntnisse und das Raumgefühl dieser Leute sind so stark entwickelt, daß nach den Angaben eines Beobachters im Luftschiffe jedes Mitglied der zentralen Vrilkräfteverwaltung einwandfrei jedes Hindernis auf das exakteste abschätzen, die Schußrichtung der zerstörenden Kräfte genau dirigieren und die Stärke des nötigen Kraft aufwands sicher bestimmen kann, so daß man zum Beispiel in einer Zeit, deren Kürze ich gar nicht für berechenbar halte, eine Riesenstadt selbst von der doppelten Größe Londons in Staub und Asche verwandeln kann.
Gewiß, diese Menschen sind Meister in der Beherrschung der Mechanismen — wunderbar in der Entdeckung und Verwertung mechanischer Dinge. Ich durchwanderte eines Tages mit meinem Gastgeber und seiner Tochter das große öffentliche Altertumsmuseum, das in einer Abteilung des Rates der Weisen gelegen ist und in welchem Geräte als komische Überbleibsel und kindliche Experimente einer vergangenen, völlig unwissenden und dilettantischen Wissenschaft längst vergangener Zeiten als Kuriositäten aufbewahrt sind, mit denen wir, wie ich gestehen muß, uns jetzt noch als geniale Erfindungen einer Neuzeit brüsten, die es in allem so herrlich weit gebracht habe. In einer Abteilung hatte man als besonders primitiven Plunder Rohre aufgestapelt, die eine barbarische Urzeit mittels Kugeln und Pulver zur Zerstörung von Leben verwendet hatte, was mich im stillen an unsere modernen Kanonen und Gewehre erinnerte, ja es lagen dort sogar noch genialere Erfindungen als wir sie je auf diesem Gebiete gemacht haben, achtlos beiseite geworfen.
Mein Gastgeber sprach von diesen Dingen mit verächtlichem Lächeln, etwa so wie unsere Artillerieoffiziere jetzt über die Bogen und Pfeile der Chinesen spötteln. In einer anderen Abteilung des Altertumsmuseums waren Modelle von Fahrzeugen und Schiffen aufgestellt, die man einstmals durch Dampf getrieben hatte, schließlich auch ein Luftballon nach Art irgendeiner unserer primitiven Konstruktionstypen. «Das», sagte Zee mit einem Anflug von nachsichtigem Mitleid, «sind die schwächlichen Versuche unserer halbwilden, barbarischen und rohen Vorväter, die Natur zu bewältigen, bevor sie den allerersten Gedanken von der Existenz der Naturkräfte des Vril zu begreifen begannen.»
Dieses junge GyMädchen war ein prächtiges Exemplar ihrer so stattlichen Rasse. Ihre Gesichtszüge waren vollkommen, denn nie habe ich oben in meiner Welt ein so völlig fehlerloses, ehrfurchtgebietendes weibliches Antlitz gesehen, aber die Beschäftigung mit gewissen fachwissen
schaftlichen Studien hatte ihrem Gesicht andererseits jenen Ausdruck verliehen, wie er für abstrakte Verstandesmenschen charakteristisch ist, so daß man den Eindruck einer unpersönlichen Härte empfindet. Diese Härte konnte sogar recht beängstigend werden, wenn man ihre breiten Schultern und ihre kräftige Gestalt dazu in Betracht zog. Sie war groß, sogar für eine Gy, und vermochte eine Kanone ebenso leicht zu veranlassen, sich vom Boden zu erheben, als wie ich mit einer Taschenpistole hantiere. Zee erweckte nun in mir eine beklemmende Furcht  eine Furcht, die noch stieg, als wir eine Abteilung des Museums besuchten, die Modelle von Instrumenten enthielt, welche mit Vrilkräften arbeiten. Denn hier brachte sie, nur durch gewisse Manipulationen mit ihrem Vrilstabe, große und schwere Gegenstände in Bewegung, und zwar aus beträchtlicher Entfernung und ohne direkte Berührung. Mir war, wie wenn sie ihren Willen auf dieselben übertrug und sie völlig ihren Absichten und Befehlen unterwarf. Sie setzte auf diese Weise komplizierte Mechanismen aus weiter Entfernung in Bewegung, hielt die Bewegungen an oder änderte sie, bis nach einer erstaunlich kurzen Zeitspanne die verschiedensten vorher noch rohen Substanzen in symmetrische, vollkommene und kunstvolle Dinge verwandelt waren. Jene Wirkungen, welche dasjenige, was wir Galvanismus, Magnetismus usw. benennen, bei uns nur auf Muskeln und Nerven auszuüben vermag, alle solche Phänomene brachte hier die junge Gy durch einige kleine Bewegungen ihres Vrilstabes auch bei Rädern und Triebwerken lebloser Mechanismen hervor.
Über diesen gewaltigen Einfluß auf die unbelebte Natur sprach ich meinen Begleitern das höchste Erstaunen aus, denn ich gestand, daß in meiner Welt ich nur solche Phänomene erlebt hätte, wo lebendige Wesen auf andere lebende Organismen einen seltsamen Einfluß ausübten, der bisher jedoch niemals einwandfrei erklärt worden sei  da sagte Zee, die sich für derartiges mehr interessierte als ihr Vater, ich möchte ihr doch einmal meine Hand vorzeigen, und als sie ihre eigene Hand daneben legte, lenkte sie meine Aufmerksamkeit auf recht wesentliche Unterschiede in Charakter und Gestalt. Erstens einmal ist der Daumen bei den Gyei (und wie ich später bemerkte, bei allen Menschen dieser Rasse) viel stärker entwickelt, länger und größer als bei uns. Der Unterschied zwischen der Ausbildung ihres und meines Daumens war so groß, wie der Abstand zwischen dem meinigen und dem eines Gorilla. Zweitens ist die innere Handfläche und deren Struktur viel entwickelter als bei uns, der Tastsinn an der Haut viel empfindlicher, ihre Wärmestrahlung auffallend viel größer. Am bemerkenswertesten ist ein sichtbarer, stark ausgebildeter Nerv,
welcher sich unmittelbar unter der Haut hinzieht, der vom Handgelenk dem Ballen des Daumens entlangläuft und sich an den Wurzeln des Zeige und Mittelfingers in diese hinein gabelförmig verzweigt. «Mit Ihrer primitiven Fingerausbildung», sagte die philosophische junge Gy, «und ohne diesen Nerv, den Sie bei jedem Angehörigen meiner Rasse mehr oder weniger an den Händen entwickelt finden, werden Sie gar keine oder höchstens eine sehr unvollkommene Macht über das Fluidum der Vrilkräfte ausüben können; aber schließlich war dieser Nerv auch an den Händen unserer frühesten Vorväter noch nicht entwickelt und ist es bei unseren barbarischen, halbwilden Stämmen noch heute nicht. Er hat sich bei uns langsam im Laufe der Generationen herausgebildet und ist erst durch den immer umfassender werdenden willkürlichen Gebrauch der Vrilkräfte völlig entwickelt worden. Deshalb ist es durchaus möglich, daß im Verlaufe von ein bis zwei Jahrtausenden ein solches Organ auch bei jenen höher entwickelten Individuen Ihrer Menschheit sich bilden wird, die sich solcher höchsten Wissenschaft widmen, durch welche man tiefere Einblicke tut in die Geheimnisse aller Naturkräfte, von denen die Vrilkraft ein Beispiel ist.
Aber wenn Sie immer von der ,Materie' als von einem Etwas sprechen, das an sich träge und bewegungslos sei, denke ich oft, ob Ihre Eltern und Lehrer wohl auch so ahnungslos von diesen Dingen sind, nicht zu wissen, daß keine der Substanzen im Kosmos träge und bewegungslos
ist: Daß die kleinste Substanzeinheit ständig in innerer oder auch äußerer Bewegung und Verwandlung befindlich und von ständig sich ändernden Kräften durchdrungen ist, von denen Wärme die dem Menschen am leichtesten fühlbare, Vril aber die umfassendste, und wenn richtig erkannt und verwendet, die mächtigste Kraft ist.
So hat der Kräftestrom, der von meinem Willen seine Impulse erhält und von meiner Hand in bewußter Weise geleitet wird, eigentlich nur jene Wirkung, daß er die beweglichen Kräfteprozesse, welche sich in allen Substanzen, so träge und ruhig sie dem Unwissenden auch erscheinen mögen, ständig vollziehen, in willkürlicher Weise verändert, in ihrer Bewegung beeinflußt, verlangsamt, beschleunigt oder verstärkt. 



Wenn ein Stück Metall auch nicht aus eigenem Willensimpuls seine Lage verändern kann, so kann es doch durch die ihm eigene innere Kräftestruktur und Beweglichkeit leicht dem Willen eines Wesens unterworfen und zu beliebigen Bewegungen veranlaßt werden; hier genügt schon ein richtig geleiteter Kraftstrom des Vril, der es dem Willen ganz ebenso unterwirft, wie wenn irgendein sichtbares Etwas die Veranlassung gibt. Das Metall ist durch die seelischen Kräfte, die darauf übertragen werden, derart in Tätigkeit zu versetzen, daß man beinahe meinen könnte, es tue dies alles von selbst. Ohne diese Kräfte könnten unsere Automaten nicht die Dienerschaft gänzlich ersetzen. »
Diese Vorführungen und Belehrungen von seiten der Gy flößten mir zuviel Ehrfurcht ein, als daß ich gewagt hätte, mit ihr darüber zu disputieren. Ich entsann mich einer Anekdote aus meinen Kindheitsjahren, daß ein Weiser einst, als er mit einem römischen Kaiser in Wortstreit geriet, plötzlich die Hörner einzog, und als der Kaiser ihn drob erstaunt fragte, ob er denn gar nichts mehr zu erwidern wisse, da sagte er: «Nein, Cäsar, mit einem Denker, der zugleich über fünfundzwanzig Legionen gebietet, ist es unweise, zu disputieren.»
Obgleich ich im stillen noch dachte, daß, was auch immer die wahrhaftige Wirkung des Vril auf Materie sei, unsere heutige Fachwissenschaft sicher die Unlogik und Unmöglichkeit dieser Dinge trotz allem zu beweisen unternommen hätte, war mir andererseits allerdings außer Zweifel, daß Zee jedem der Mitglieder unserer Akademien der Wissenschaften mit der größten Leichtigkeit den gelehrten Schädel zerstört hätte. Im übrigen dachte ich, weiß jeder Mann, daß es nutzlos ist, sich mit Frauen in Streit einzulassen über Dinge, die man besser zu verstehen glaubt; aber erst mit einer um einen Kopf größeren Gy über die Geheimnisse der Vrilkräfte zu disputieren, wäre dasselbe, wie wenn man sich in der Wüste mit einem Sandsturm in Verhandlungen einlassen wollte. 


Unter den verschiedenen Abteilungen, die dem Gebäude des Rates der Weisen angegliedert waren, interessierte mich am meisten diejenige, welche der Archäologie der Vrilya gewidmet war und eine größere Sammlung alter Porträts enthielt. Die Farben und stofflichen Grundlagen waren von so dauerhafter Art, daß selbst Gemälde, welche Zeiten entstammten, die den ältesten Annalen der Chinesen entsprachen, noch völlig frisch in der Farbe erhalten waren. Bei Betrachtung dieser Sammlung fiel mir zweierlei auf: Daß die Bilder, die sechs bis sieben Jahrtausende alt waren, sich als künstlerisch sehr viel wertvoller zeigten als Gemälde, die den letzten drei Jahrtausenden entstammten. 


Auch daß die ersteren Bilder mehr der unsrigen Welt und den europäischen Typen ähnelten. Einige ganz frühe Bilder zeigten Köpfe, wie sie die italienischen Künstler nach Art eines Tizian malten, es waren Gesichter, aus denen noch Tücke und List, Kummer und Sorge sprachen, deren Furchen durch Leidenschaften wie von eisernen Pflügen tief eingegraben erschienen. Das waren noch Köpfe von Menschen, die in Kampf und Streit aufwuchsen, bis die Entdeckung der verborgenen Kräfte des Vril den Charakter des Lebens so völlig veränderte, Gesichtszüge von Männern, die gleich uns in der oberen Welt, um der Macht oder des Ruhmes willen sich untereinander bekämpft hatten. 


Auf den späteren Bildern zeigte sich in den Gesichtern der Einfluß der durch die Vrilentdeckung bewirkten Umwälzung, ja, mit einer jeden Generation wurde das Antlitz nun ruhiger und klarer, und diese Klarheit stach schrecklich ab von den Gesichtern einer hastenden, leidenschaftsverzehrten Menschheit. Andererseits wurden, während die Gesichter selbst eine Entwicklung zur Schönheit und Großzügigkeit zeigten, die künstlerischen Fähigkeiten der porträtierenden Maler mit der Zeit immer matter und einförmiger.

16.  KAPITEL

Da den Vrilya jeder Anblick unserer Himmelskörper versagt ist und sie sich infolgedessen in der Festsetzung von Tag und Nacht nicht nach den kosmischen Gesetzmäßigkeiten, sondern nur nach der eigenen Willkür zu richten gezwungen sind, so gelangten sie auch zu einer anderen Zeiteinteilung ihres Lebens als wir auf der Erdoberfläche. Mit Hilfe meiner Uhr, die ich glücklicherweise noch bei mir trug, konnte ich leicht die Unterschiede in den Zeitbegriffen erkennen. Ich muß die sehr interessanten Schlußfolgerungen, die sich aus einem derart veränderten 


Zeitbegriff für alle Dinge ergeben, einem größeren Werk vorbehalten, das ich, wenn das Leben es mir gestattet, einst über die besondere Wissenschaft, Literatur und Erkenntnis der Vrilya zu schreiben gedenke. Hier begnüge ich mich mit der Feststellung, daß in bezug auf die Dauer
ihr Jahr nur ganz wenig von dem unsrigen abweicht, jedoch ist die Einteilung dieses Jahres in Unterabschnitte eine völlig andere. Ihr Tag (der das einschließt, was wir «Nacht» benennen) besteht aus zwanzig Stunden unserer Zeitrechnung, anstatt vierundzwanzig, und infolgedessen
umfaßt das Jahr eine größere Anzahl von Einzeltagen.
Diese zwanzig Stunden des Tages teilen sie nun in folgende Abschnitte ein: Acht Stunden, genannt die «Stillen Stunden», sind der Ruhe gewidmet; weitere acht Stunden, die «Ernste Zeit» genannt, werden zu den Beschäftigungen des Lebens und Forschens verwendet; die restlichen vier Stunden, genannt die «Leichte Zeit», dienen der Festlichkeit, der Unterhaltung, dem Sport, dem Vergnügen, je nach Fähigkeit und Geschmack. Nun gibt es ja bei diesen Menschen überhaupt keine Nacht. Denn sowohl in den Straßen wie in der ganzen Landschaft bis zum Horizonte herrscht zu allen Zeiten die gleiche Helligkeit. Höchstens innerhalb ihrer Häuser dämpfen sie das allgemeine künstliche Licht während der Stillen Stunden etwas herab. Aber sie haben eine merkwürdige Abneigung gegen völlige Finsternis, deshalb wird das Licht niemals gänzlich gelöscht.
Für Musik sind sie besonders empfindsam. Die Tonwelt, welche zu allen Zeiten des Tages von den Türmen der öffentlichen Gebäude erzeugt wird und sich vermengt mit den tönenden Harmonien, die den einzelnen Häusern und Weilern der Landschaft entströmen, übt eine wohltuende,
feierlich ruhige Wirkung aus. Während der Stillen Stunden ist diese Tonwelt so herabgedämpft, daß sie nur dem wachen Ohre vernehmbar wird.
Es gibt auch keinen Wechsel der Jahreszeiten, die Atmosphäre schien mir dort, wo ich lebte, meist gleichmäßig warm, wie ein italienischer Sommer, und eher angenehm feucht als zu trocken. Eine vormittagliche Stille wechselt oft ab mit heftigen Winden aus den felsigen Schluchten.
Wie auf den goldenen Inseln antiker Dichtungen säen und ernten sie zu gleicher Zeit, denn die älteren Pflanzen tragen noch Blüten und Früchte, wenn die jüngeren schon wieder keimen.
Aber was mich an ihrer Zeiteinteilung am meisten erstaunte, das war die Steigerung ihrer durchschnittlichen Lebensdauer auf Erden. Ich fand im allgemeinen, daß ihnen eine viel längere Lebensfrist eingeräumt ist als uns auf der Erdoberfläche. Was für uns siebzig Jahre, sind ihnen hundert. Auch ist dies nicht der einzige Unterschied, denn wie wenige von uns bleiben wirklich siebzig Jahre am Leben, wohingegen bei ihnen nur wenige vor dem hundertsten Lebensjahr sterben. Und sie erfreuen sich einer unverwüstlich erscheinenden Gesundheit und Kraft, was doch auch die Grundlage für ein gesegnetes Leben gibt.
Dazu trägt vielerlei bei: keine Möglichkeit alkoholischer Trunksucht, eine der Natur angepaßte Ernährung, auch die Gleichmäßigkeit ihrer geistigen Arbeit, die von keiner Hastigkeit oder Leidenschaft krank gemacht wird.
Alle diese und ähnliche Ursachen tragen zur Verlängerung des Lebensalters und zur Verstärkung der Lebenskraft bei, wenn auch vieles noch von der besonderen Organisation dieser Rasse herrühren mag. Sie erzählen selbst, daß in lange vergangenen Zeiten, als sie noch in staatlichen
Verhältnissen lebten, die etwa unserem jetzigen Zustand entsprechen, wo ein jeder den anderen durch Parteikämpfe niederringt, auch die Lebensdauer der Menschen bei ihnen viel kürzer gewesen sei und die allgemeine Veranlagung zu bösartigen Krankheiten stärker. Doch im Laufe der Entwicklung, so berichten sie, wurde die Lebensdauer all gemein immer länger und sei jetzt im Anwachsen, seit die Entdeckung der die Lebenserscheinungen wesentlich fördernden und die Krankheiten ausmerzenden Naturkräfte des Vril ständig ausgebaut wurde. Bei ihnen gibt es kaum Ärzte, die dies Handwerk beruflich ausüben, sondern man überläßt diese Tätigkeit hauptsächlich Frauen, die eine besondere Hinneigung zu den Heilkräften zeigen, und die dann auch die sehr selten notwendigen chirurgischen Fälle behandeln.
Ihre Zerstreuungen und Vergnügungen bestehen vor allem, während der diesen Dingen gewidmeten Zeiten des Tages, im beflügelten Aufsteigen in die Regionen der Atmosphäre und den herrlichen Spielen im Fliegen, wie ich sie vorher beschrieb.
Es gibt auch Opern und sogar Theater, in denen Stücke gespielt werden, die mich allerdings etwas an die chinesischen Volksdramen erinnerten  Dramen, deren Inhalt in lange vergangenen Zeiten spielt und in denen unsere traditionellen Vorschriften über klassischen Stil aufs empörendste vergewaltigt werden; so zum Beispiel treten im ersten Akt Menschen als Kinder auf, die im zweiten Akt als Erwachsene erscheinen, und ähnliches. Diese Stücke waren alle noch in früheren Epochen verfaßt. Sie erschienen mir fürchterlich langweilig, doch man wurde wenigstens
überrascht durch die kompliziertesten Mechanismen, durch eine Art possenhaften Humors, durch einzelne poetische Steigerungen von dramatischer Stärke, die mir allerdings an bildhaften Redewendungen überreich vorkamen.
Die Zuhörerschaft, die natürlich zur Mehrzahl aus Frauen bestand, schien von den Vorstellungen wirklich begeistert, was mich bei dieser sonst so majestätischen und zurückhaltenden Rasse erstaunte, bis ich bemerkte, daß die Schauspieler ihrem Alter nach meist zur heranwachsenden
Jugend gehörten und also die Eltern eigentlich nur kamen, um ihren schauspielernden Kindern eine Freude zu machen.
Ich erwähnte schon, daß die Dramen alle aus dem Alter tum dieser Rasse entstammten. Es ist auffallend, daß in den letzten Generationen keinerlei neues Kunstwerk, eigentlich überhaupt keine wirklich produktive künstlerische Arbeit mehr zustandegebracht worden war. Das ist es eben, es herrschte gewiß kein Mangel an Geschriebenem und Gedrucktem, man hatte natürlich auch so etwas wie Tageszeitungen, aber alles war ausschließlich auf das Mechanische eingestellt, man berichtete nur noch von neu erfundenen technischen Dingen oder machte Anzeigen
über den Handel und Geschäftliches  kurz, alles war nur auf das Praktische und Mechanische hingerichtet. Hie und da beschrieb wohl noch ein Kind irgendein Abenteuer, oder eine junge Gy kleidete ihre Gefühle in lyrische Dichtungen; aber alles dies war fern einer schöpferischen Produktivität, und außer Kindern und jungen Mädchen gab es eigentlich niemanden, der es gelesen hätte. Am interessantesten waren von den literarischen Erzeugnissen noch Beschreibungen wirklich erlebter Abenteuer und Reisen in fremde Gebiete, wie sie von jungen Auswanderern
niedergeschrieben und von den Zurückbleibenden auch mit einem gewissen sensationellen Interesse gelesen wurden.
Ich konnte Aph-Lin meine Bedenken nicht verhehlen, daß eine Gemeinschaft, in der einerseits die mechanischen Wissenschaften einen so großen Aufschwung genommen hätten, und die in der staatlichen Ordnung viele Dinge verwirklicht hätte, welche die politisierenden Philosophen auf der Erdoberfläche nach jahrzehntelangem Hinundher diskutieren als unerreichbare Visionen abgetan haben, doch
andererseits überhaupt keine ihrer Zeit entsprechende Literatur zustande gebracht hätte, obgleich doch die Sprache in bezug auf Wortreichtum, Schlichtheit, Kraft und Wohlklang so sehr hoch entwickelt sei.
Darauf antwortete mein Gastgeber das Folgende: «Bedenken Sie nur, daß die Art von Literatur, wie sie bei Ihnen üblich ist, ganz unvereinbar wäre mit der nach Ihrer Ansicht so vollkommenen Staatsform, von der Sie meinen, daß wir sie erreicht hätten. Wir haben nun endlich, nach Jahrhunderten des Kampfes, eine Regierungsform gefunden, mit der wir zufrieden sind, die keine Möglichkeiten für ehrgeiziges Strebertum mehr bietet, da es bei uns weder Ämter noch einträgliche Posten zu erhaschen gibt. Es würde also gewiß niemand jene Gattung von Literatur lesen, die mit Theorien über soziale oder politische Verbesserungsideale angefüllt ist, und weil es nicht gelesen würde, schreibt es auch niemand mehr. Wenn wirklich einmal einem Mitglied der Gemeinschaft unser Zusammenleben zu ruhig ist, so stiftet er nicht bei uns Unruhe um jeden Preis, sondern wandert lieber seinerseits aus. Diese ganze Sorte von Literatur (und nach den Altertumsbibliotheken muß sie früher von erschreckendem Umfang gewesen sein), welche sich mit abstrakten Theorien über politische Themata herumschlägt, ist also bei uns völlig ausgerottet. Dann gab es in früheren Zeiten unendliche Schreibereien über die subtilsten Attribute der Gottheit, auch Abhandlungen über das Für und Wider eines Lebens nach dem Tode. Aber wir erkennen ja alle einmütig diese zwei Wirklichkeiten an, nämlich daß es ein göttliches
Wesen, und daß es das Leben nach dem Tode gibt, und wir sind uns darüber klar, daß, selbst wenn wir uns unsere Finger blutig schreiben wollten, wir durch diese Betätigung ganz gewiß keine Erkenntnis von der Art des Lebens nach dem Tode oder Erfahrungen über die Eigenschaften des göttlichen Wesens erlangen. Deshalb ist eine diesbezügliche Art von Literatur ebenfalls bei uns längst ausgestorben, und das ist ein wahrer Segen. Denn in jenen Zeiten, wo man noch glaubte durch Bücherschreiben über diese Dinge etwas erreichen zu können, kam man nur zu dem einzigen Resultat ewiger Streitereien und gegenseitiger Quälerei.
Ein dritter Zweig von Literatur bestand in früheren Zeiten aus historischen Abhandlungen über Schlachten und Revolutionen, aus den Epochen, wo die Ana noch in großen, verworrenen Gemeinschaften zusammenlebten und jeder den Ehrgeiz hatte, seine Macht über den anderen nur um jeden Preis zu vergrößern. Vergleichen Sie damit unsere jetzige vernünftige Einteilung, die sich nun schon seit Jahrhunderten völlig bewährt hat. Wir haben also keine solchen Ereignisse mehr zu berichten. Von den Einzelmenschen aber kann man ja nur erzählen, wie sie geboren wurden, wie sie glücklich lebten und wie sie starben.»
Ich fragte: «Gibt es bei Ihrem Volke denn gar keine Gruppen von Menschen mehr, welche von derartigen Liebhabereien oder meinetwegen auch derartigen Sünden beseelt sind, daß sie zu solchen Dingen wie künstlerischer Produktivität und Poesie veranlagt wären, und gibt es
nicht doch vielleicht Einzelne oder Gemeinschaften, in denen Künste und Dichtung noch geehrt oder ins Leben gerufen werden?»
Er aber antwortete mir: « Solche Menschen gibt es allerdings nur noch bei entfernteren Stämmen, bei den von uns zivilisiert zu nennenden Völkern kommen sie nicht mehr auf, und wir rechnen sie jedenfalls nicht mehr zu unserem eigenen Volkstypus. Sie finden ihren dramatischen Stoff nur bei den Barbaren und den Völkern mit den verworrenen Verhältnissen, die in mittelalterlichen Staatsformen leben.
Ihre Existenz ist nur möglich bei Völkern, wo Kampf und Streit und ein ewiger Wechsel herrscht, die nicht nur mit anderen Völkern, sondern auch untereinander noch ringen.
Sie sind gegliedert in Stämme, bei denen Kampf und oft Mord zum Leben gehören und wo noch Ungleichheiten unter den Menschen herrschen, die wir niemals verstünden, wenn nicht die Geschichte uns lehrte, daß wir auch einst durch solche Zustände von Unwissenheit und Barbarei durchgegangen sind. Können Sie sich denken, daß Geschöpfe dieser Art, nur mit elenden Waffen versehen, die aus eisernen Rohren ein Pulver verschießen, wie Sie solche in unserem Altertumsmuseum finden, sogar mehr als einmal einen Volksstamm der Vrilya bedrohten, der in
ihrer Nachbarschaft wohnt, weil sie auf ihre Dreißig-MillionenBevölkerung pochen, und der Nachbarstamm nur fünfzigtausend umfaßt, und das Ganze nur um einiger Handelsbedingungen willen, welche sie die Unverschämtheit haben als Gesetze der Zivilisation zu bezeichnen ? »
«Aber dreißig Millionen sind doch eine furchtbare Übermacht gegen nur fünfzigtausend! »
Mein Gastgeber schaute mich verblüfft an und erwiderte: «Fremdling, Sie haben vergessen, daß der bedrohte Volksstamm zu den Vrilya gehört; und dieser wartet nur auf die Kriegserklärung, um ein halbes Dutzend von Kindern mit der Aufgabe zu betrauen, die ganze feindliche Bevölkerung mit dem Vril von der Erde zu tilgen.»
Von diesem Gespräch an empfand ich doch mehr Sympathie mit den «Halbwilden», als mit den Vrilya, und ein Schauer des Entsetzens durchlief mich.
Auch erinnerte ich mich jetzt all der glorreichen Weissagungen über die Amerikaner und daß Aph-Lin sogar diese als Halbwilde bezeichnete. Als ich meine Selbstbeherrschung wiederzufinden vermochte, fragte ich, ob es nicht irgendeine Möglichkeit der Überfahrt gäbe, damit ich eines jener halbwilden und verwegenen Völker mit Sicherheit aufsuchen könne.
«Mit Beherrschung des Vril könnten Sie sicher zu Lande oder auch durch die Lüfte die uns befreundeten und benachbarten Stämme besuchen. Aber ich kann nicht für Ihre Sicherheit bei den Barbaren garantieren, bei denen gesetzliche Zustände herrschen, wo ein jeder nur durch
Schädigung des anderen lebt und wo man in den Ruhestunden nicht einmal ohne Gefahr seine Haustüre geöffnet lassen darf.»
Hier wurde unsere Unterhaltung durch das Eintreten Taes unterbrochen, welcher kam, uns zu erzählen, daß er beauftragt sei, jenes riesige Ungetüm zu entdecken und zu vertilgen, dem ich bei meiner Ankunft begegnet war.
Er habe ihm seit seinem letzten Besuch bei mir ständig aufgelauert, und hätte schon zu glauben begonnen, daß mich meine Sinne getäuscht, oder daß das Ungetüm sich durch die Felsen zu seinesgleichen zurückgezogen habe, als er auf einmal die Spuren seiner Anwesenheit entdeckte,
weil an den Ufern des Sees große Strecken Weide auf das schlimmste verwüstet waren. «Ich bin sicher», sagte Tae, «daß es sich in den Tiefen des Sees verborgen hält.» Und zu mir gewendet, fügte er hinzu: «Deshalb dachte ich, daß es Ihnen sicher Spaß machen würde, mich zu begleiten und dabei zu sein, wie wir solche unliebsame Besucher vernichten.» Als ich mir das Gesicht dieses jugendlichen Knaben betrachtete und mir gleichzeitig die überwältigende Größe des Ungetüms ins Gedächtnis rief, dessen Vernichtung er als ein Vergnügen mir vorschlug, da befiel mich ein Schaudern für diesen Knaben, und noch mehr für mich selbst, der ich ihn bei solchem Abenteuer begleiten sollte.
Aber meine Neugierde, die zerstörenden Wirkungen dieses schrecklichen Vril zu erleben, wohl auch meine Scham, mich in den Augen eines Kindes als ängstlich zu zeigen, bestimmten mich zu einer Zusage. Ich dankte also Tae für seine rührende Fürsorge um meine Belustigung und
erklärte ihm mein Entzücken, mich an einem so liebreizenden Abenteuer, wie es die Zerstörung eines Ungetüms sei, zu beteiligen. 


17.  KAPITEL

Tae und ich verließen die Stadt. Wir schwenkten zur Linken von der Hauptstraße ab und wanderten durch die Felder. Die feierliche, wunderbare Schönheit dieser bis zum Horizonte durch unzählige Lampen künstlich erleuchteten Landschaft fesselte meinen Blick aufs neue und machte mich zeitweise zu einem unaufmerksamen Zuhörer meines Begleiters.
Auf unserem Weg sahen wir die verschiedensten Landwirtschaftsarbeiten, alle durch Maschinen verrichtet, die mir unbekannt waren und die zum größten Teil sogar hübsch aussahen. Denn bei diesem Volk wird ja Kunst überhaupt nur noch für Nützlichkeitszwecke betrieben und
beschränkt sich daher auf die Ausschmückung und Stilisierung von nützlichen Mechanismen. Diese Stämme sind zudem so reich an kostbarsten Metallen und Edelsteinen, daß sie solche an den gewöhnlichsten Dingen verschwenderisch anbringen. Ihre Hinneigung zu allem Nützlichen veranlaßt sie, alle Werkzeuge zu verschönern und ihre bildnerische Kraft in diese befremdliche Richtung zu lenken.
Zu allen Dienstleistungen, gleichviel ob in oder außer dem Hause, werden ausschließlich menschenähnliche Automaten verwendet, die ihre Aufträge derart geschickt ausführen und so weitgehend auf die Vrileinflüsse reagieren, daß man manchmal glauben möchte, sie hätten selbständiges Leben, Es war oft kaum möglich, die automatischen Figuren, welche offenbar die kompliziertesten Bewegungen großer Maschinen leiteten und überwachten, von mit Verstandeskräften begabten Menschen zu unterscheiden.
Während wir unseren Weg fortsetzten, erregten die lebhaften und treffenden Aussprüche meines Begleiters meine Aufmerksamkeit. Die Kinder dieses Stammes sind geistig auffallend früh entwickelt, vielleicht weil sie in so jugendlichem Alter schon mit den Aufgaben betraut werden, die
bei uns nur der Erwachsene erfüllt. In der Tat, im Gespräch mit Tae hatte ich das Gefühl, in Gesellschaft eines welterfahrenen, mir überlegenen Mannes meines Alters zu sein.
Ich fragte ihn, ob er wisse, in wieviele Gemeinden das Geschlecht der Vrilya eingeteilt sei. «Nicht genau», sagte er, «weil die Ausdehnung dadurch wächst, daß die Überzahl jedes Jahr auswandert.» «Aber», sagte ich, «wenn nun jährlich eine Anzahl die Heimat verläßt und sich irgendwo auf unbebautem Lande ansiedelt, so können diese wenigen, selbst wenn sie viele Maschinen mitnehmen, doch kaum genügen, um den Boden urbar zu machen, um Städte zu bauen und den Luxus der verlassenen Heimat zu ersetzen.»
«Sie irren. Alle Stämme der Vrilya stehen hierüber in ständiger Verhandlung und vereinbaren alljährlich, welche Anzahl von Auswanderern jeder Stamm stellt, um den Anforderungen zu genügen. Dann wählt man das urbar zu machende Land aus, sendet Pioniere mit Vril voraus, welche einfach ganze Felsengebirge wegsprengen und einebnen, Wasser vertreiben und Häuser zusammenfügen, so daß wenn die Auswanderer kommen, sie ihre Wohnstatt und ein Land, das bewirtschaftet werden kann, schon vor finden. Unser Gefahrdienst als Kinder macht uns Lust zu
allen Reisen und Abenteuern. Auch ich werde auswandern.»
«Wählen sich die Auswandernden denn stets nur vorher unbewohnte und brachliegende Gegenden?»
«Meistenteils, weil es unser Prinzip ist, nichts zu zerstören, außer wo es für unser Leben unbedingt notwendig ist. Natürlich können wir uns nicht in Ländern niederlassen, wo schon Vrilya wohnen; und wenn wir kultiviertes Land anderer Rassen einnehmen wollen, so müssen wir erst die bisherigen Einwohner völlig vertilgen. Hie und da kommt es vor, daß wir einen lästigen, streitsüchtigen Barbarenstamm zum Nachbarn bekommen, der noch die Regierungsform des KoomPosh hat und gegen uns kriegerisch wird. Dann natürlich wird dieser Feind unserer Wohlfahrt einfach zerstört, denn man kann nicht mit Völkern zusammenleben, die so einfältig sind, ihre Regierung ständig zu ändern, wie es beim KoomPosh der Fall ist.»
«Ihr Urteil ist sehr streng», erwiderte ich. «Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich auf der Erdoberfläche selbst der Bürger eines KoomPosh bin und daß ich stolz darauf bin.»
«Jetzt wundere ich mich nicht mehr», meinte Tae, «Sie so fern Ihrer Heimat zu sehen. Was war Ihr Geburtsland denn, bevor es zum KoomPosh wurde?»
«Auch eine Niederlassung von Auswanderern  nach Art der Ihrigen , aber insoweit von der Ihren verschieden, als wir zuerst abhängig blieben vom Mutterland; dann schüttelten wir dieses Joch ab und wurden, mit ewigem Ruhm gekrönt, ein KoomPosh, Amerika!»
«Ewiger Ruhm? Wie lange hat dieser KoomPosh bis jetzt existiert?»
«Etwa hundert Jahre.»
«Also nach unseren Begriffen ein einziges Lebensalter, das ist doch eine recht junge Gemeinschaft! In weniger als weiteren einhundert Jahren wird Ihr KoomPosh verfallen sein!»
«Nun», rief ich, «die ältesten Staaten unserer Welt auf der Erdoberfläche verlassen sich so fest auf seine Dauerhaftigkeit, daß sie ihm alle seine staatlichen Einrichtungen nachahmen. Und die gewiegtesten Diplomaten der alten Staaten sagen sogar, daß, ob es nun angenehm ist oder
nicht, die unvermeidliche Entwicklung aller alten Staaten doch zum KoomPoshSystem hinführen müsse.»
«Der alten Staaten?»
«Ja, der alten Staaten!»
«Die haben wohl zu wenig Bevölkerung für ein sehr großes zu bebauendes Land?»
«Im Gegenteil, ihre Bevölkerung ist viel zu groß im Verhältnis zum kleinen Gebiet ihres Landes.»
«Ach so! Alte Staaten  in der Tat! So alt, daß sie altersschwach werden, wenn sie nicht ihren Bevölkerungsüberfluß bald wegschicken können wie bei uns,  sterbensalt!»
«Tae, ich halte es unter meiner Würde, mit einem Knaben Ihres Alters überhaupt zu disputieren. Ich habe allerdings Nachsicht mit Ihnen, weil Ihnen die Bildung mangelt, wie man sie bei uns in einem KoomPosh erhält.»
«Und ich meinerseits», erwiderte Tae mit jenem sanften und dabei doch erhabenen Ausdruck, wie er seine Rasse stets kennzeichnet, «habe nicht nur Nachsicht mit Ihnen, weil Sie nicht bei den Vrilya erzogen sind, sondern bitte Sie sogar, mir den Mangel an Respekt vor den Sitten und Ansichten eines so liebenswürdigen Tish zu verzeihen.»
Ich hätte schon früher bemerken sollen, daß mein Gastgeber und seine Familie mich gewöhnlich «Tish» nannten, als höfliche, ja als Lieblingsbenennung, die bildlich einen kleinen halbwilden Barbaren, wörtlich einen kleinen Salamander bezeichnet. Die Kinder geben diese Bezeichnung besonders gern ihren gezähmten Salamandern, mit denen sie in den Gärten herumspielen. Währenddessen hatten wir die Ufer eines Sees erreicht, und Tae machte Halt, um mir zu zeigen, wie die umliegen den Felder verwüstet waren.
«Unser Feind hält sich jetzt sicher im Wasser auf», meinte Tae. «Schauen Sie doch, wieviele Fische sich an das Ufer geflüchtet haben. Sogar die großen Fische mit den kleinen gemeinsam, die sie sonst immer auffressen, alles vergißt seine gewohnten Instinkte bei der Gefahr eines gemeinsamen Feindes. Dieses Reptil muß zur Gattung der Riesensalamander oder Riesenkrokodile gehören, eine Art Ungetüm, das mehr verschlingen kann als irgendein anderes, und man sagt von ihm, daß es zu den wenigen Gattungen scheußlichster Weltbewohner gehöre, die seit dem Auftreten von Menschen auf Erden noch leben. Der Heißhunger eines Riesensalamanders ist unersättlich  er frißt wahllos alles Pflanzliche und Tierische, was ihm in den Weg kommt. Nur für das leichtfüßige Hochwild sind seine Bewegungen etwas zu langsam. Sein Lieblingsfressen ist aber einer von uns, wenn er uns unbemerkt überfallen kann; deswegen vernichtet man ihn wiederum, wo immer er in unserem Gebiet auftaucht. Man berichtet, daß zur Zeit unserer Vorväter das Land von diesen Tieren überfüllt war, und daß, solange Vril unbekannt war, ihm gar viele zum Opfer fielen. Erst mit der Entdeckung dieser Naturkräfte wurde man solcher Tiere Herr. Seit wir das Vril beherrschen, vernichten wir alle uns feindliche Kreatur in der Welt! Doch noch manches Mal kommt so ein Ungeheuer aus den unerforschten und wilden Gebieten herüber, und ich erinnere mich, wie sich eines dieser Ungetüme einst auf eine junge Gy stürzte, die hier gerade in diesem See badete. Wäre sie am Land und mit ihrem Stabe bewaffnet gewesen, würde sich das Ungetüm niemals herangewagt haben, denn, wie alle Kreatur, hat auch das Reptil einen eigenartigen Naturinstinkt, der es vor jeder Annäherung an den Träger der Vrilkräfte warnt. Wie es die Tiere sogar ihren Jungen beibringen, diese Gefahr zu vermeiden, das lassen Sie sich von jemand anderem aufklären, ich weiß es nicht. Solange ich hier stehen bleibe, wird das Ungeheuer jedenfalls sein Versteck nicht verlassen; aber wir werden es jetzt hervorlocken.»
«Wird das nicht sehr schwierig sein?»
«Aber gar nicht! Sie setzen sich einfach hier auf dieses Felsstück  einige Meter vom Ufer entfernt , während ich mich zurückziehe. Sehr bald wird das Ungeheuer Sie sehen oder wittern, und wenn es merkt, daß Sie kein Vrilträger sind, sich auf Sie losstürzen, um Sie zu verschlingen.
Sobald es dann genügend aus dem Wasser herausgestürzt ist, wird es meine Beute.»
«Wollen Sie damit sagen, daß ich die Lockspeise dieses scheußlichen Ungetüms sein soll, das mich wie ein Nichts in seinen Rachen hineinschlürfen könnte? Ich bitte doch, diesen Sport zu unterlassen!»
Dieser Knabe lachte. «Fürchten Sie nichts», meinte er, «sitzen Sie nur still.» Aber anstatt seinem wahnsinnigen Befehl Folge zu leisten, machte ich einen Sprung und wollte schleunigst entfliehen.
Da berührte Tae leicht meine Schulter; er bohrte nur seinen Blick fest in mein Auge, und ich mußte wie angewurzelt sofort stehen bleiben. Alle Willenskraft schwand mir. Beherrscht von dem Blicke des Knaben, folgte ich ihm zu dem bezeichneten Felsblock und setzte mich schweigend
darauf.
Viele Leser werden einmal Phänomene der Hypnose oder des Magnetismus, gleichviel ob echte oder unechte, gesehen haben. Kein Kundiger dieser seltsamen Kraft hatte bisher je den geringsten Einfluß auf meine Person auszuüben vermocht. Und doch war ich jetzt nur eine willenlose Maschine unter dem Willen dieses schrecklichen Knaben. Er dagegen breitete ruhig seine Flügel aus, schwebte in die Lüfte und ließ sich in einiger Entfernung auf der Höhe eines Hügels im Gebüsch nieder.
Ich war allein. Mit einer irrsinnigen Angst und gesträubten Haaren stierte ich mit den Augen auf den See, wie festgebannt. Es mochten zehn bis fünfzehn Minuten vergangen sein  mir waren es Weltalter , als sich die bisher ruhige Wasseroberfläche, grell leuchtend unter den unzähligen Lampen, in der Mitte zu bewegen begann. Gleichzeitig wurde durch das Rauschen, Plätschern und die heftigen Kreisbewegungen der am Ufer versammelten Fische das Nahen des Ungetüms drohend verkündet. Ich beobachtete ihre rasende Flucht, wobei einzelne vor Angst sogar
auf das Ufer hinstürzten. Eine lange, schwarze, wellenförmige Furche bewegte sich durch das Wasser heran, näher  und immer näher, bis der grausige Kopf eines Ungetüms aus den Wassern herauftauchte  der Rachen gähnte und fletschte die gewaltigen Zähne, und die düsteren
Augen starrten lüstern und gierig auf die Stelle, wo ich unbeweglich gefesselt saß. Jetzt setzte es seine wuchtigen vorderen Füße auf das Ufer, jetzt wankte seine keuchende, massige Brust heran, auf den Flanken bedeckt mit schuppigen Panzern und in der Mitte mit einer runzligen Haut
von schmutzigen Giftfarben; jetzt war der ganze gewaltige Leib dieses Ungetüms aus dem Wasser, endlos lang vom Kopf bis zum Schwanz. Noch ein großer Schritt dieser widerwärtigen Füße mußte es an den Punkt bringen, wo ich saß, nur eine Sekunde lag noch zwischen mir und dem entsetzlichsten Tod  es hob den gewaltigen Fuß und da fuhr ein Blitzstrahl durch die Luft, traf das Ungetüm und umhüllte es mit feurigem Nebel, in kürzerer Zeit als der Mensch ein einziges Mal zum Atemholen gebraucht.
Als der Dunst sich verzog, da lag eine schwarze, verkohlte, dampfende Masse, ein riesiger Haufen, vor mir, aber alle äußeren Formen der früheren Gestalt waren weggebrannt, und die Überreste zerfielen sichtbar und schnell in Asche und Staub. Sprachlos blieb ich noch auf meinem Felsblock sitzen, Eiseskälte durchschauerte mich und ein neues unsagbares Gefühl von Furcht. Aber die Furcht wandelte sich nunmehr in Ehrfurcht.
Die Hand des Knaben legte sich auf meinen Kopf  der Schrecken verließ sogleich meinen Körper  ich stand auf. «Sie sehen, wie spielend die Vrilya ihre Widersacher zerstören», sagte lächelnd der Knabe. Dann ging er munter zum Ufer hin, betrachtete vergnügt die verdampfenden
Überreste des entsetzlichen Ungetüms und meinte ruhig:
«Ich habe schon größere Monstren dieser Art zu töten gehabt, aber niemals hatte ich soviel Spaß dabei. Immerhin, es ist ein Riesensalamander; wie viele Leiden anderer Geschöpfe muß er zu seinen Lebzeiten verursacht haben!»
Dann warf er die armseligen Fische, die vor Angst auf das Ufer gesprungen waren, ins Wasser und gab sie so ihrem natürlichen Elemente zurück. 


18.  KAPITEL

Wir wanderten zur Stadt zurück. Tae schlug einen Umweg vor, um mir zu zeigen, was ich, um einen verständlichen Ausdruck zu wählen, die Abreisestation nennen will. Von dort treten Reisende und Auswanderer ihre Fahrten an. Ich hatte bei früherer Gelegenheit einmal den Wunsch geäußert, deren Fahrzeuge zu sehen. Es gab zweierlei Art, die eine für Landreisen, die andere für Luftreisen. Die ersteren waren von den verschiedensten Größen und Formen, einige nicht größer als ein gewöhnlicher Wagen bei uns, andere waren bewegliche Häuser mit einem
Stockwerk und mehreren Zimmern, die mit dem bei den Vrilya gewohnten Luxus und aller Bequemlichkeit aus gestattet waren.
Die Luftfahrzeuge waren aus leichteren Substanzen gefertigt, sahen natürlich ganz anders aus als unsere primitiven Luftfahrzeuge, sie glichen mehr unseren Schiffskörpern und Vergnügungsjachten auf See, hatten verschiedene Steuervorrichtungen und vor allem riesige Flügel. Im
Zentrum wurde ein Mechanismus durch Vril in Bewegung gehalten. Wurden doch alle Fahrzeuge zu Land, zu Wasser und in der Luft durch diese allmächtigen Naturkräfte fortbewegt.
Hier möchte ich gleich eine Tatsache erwähnen, die mich anfangs recht seltsam berührte. Ich sagte schon, daß alle Arbeit, soweit solche außer durch Mechanismen überhaupt noch von Menschenhand ausgeführt werden muß, bei den Vrilya von den Kindern vor dem heiratsfähigen
Alter verrichtet wird. Alle solche Arbeiten bezahlt der Staat, und zwar mit einem unvergleichbar viel höheren Gegenwert als bei uns in Amerika. Ihrer Ansicht nach soll jedes Kind, ob Knabe oder Mädchen, wenn das heiratsfähige Alter erreicht und damit diese Arbeitsperiode des Lebens beendet ist, genug zu einem unabhängigen Auskommen für das weitere Leben verdient haben. Ebenso wie jedes Kind, unabhängig von den Verhältnissen der Eltern, irgendeinen derartigen Jugenddienst absolvieren muß, so werden auch alle ihrer Altersstufe und ihrer Arbeitsart ent
sprechend bezahlt. Wo Eltern oder Freunde es vorziehen, ihre Kinder im eigenen Dienst zu verwenden, da müssen sie einen entsprechenden Betrag in den öffentlichen Fonds einzahlen, gleich dem Betrag, den die im allgemeinen Dienste arbeitenden Kinder erhalten, und diese Summe wird dem Kinde dann nach Vollendung der Dienstperiode ausgehändigt. Diese Einteilung ist immerhin so geartet, daß sie den Gleichheitsbegriff in vernünftiger Weise durchführt.
Denn man kann eigentlich sagen, daß hier in der Gemeinschaft die Kinder die Demokratie bilden, die Erwachsenen aber die Aristokratie.
Die auserwählte Weltgewandtheit und Kultur des Lebens, wie sie den Vrilya charakteristisch ist, die Großzügigkeit ihrer Einstellung, die unumschränkte Selbstherrlichkeit, mit der ein jeder von ihnen seinen persönlichen Anschauungen nach leben und seinen individuellen Beschäftigungen nachgehen kann, der vollendete Stil ihres häuslichen Lebens, wobei keiner dem anderen in Wort oder Tat zu mißtrauen braucht, das macht sie gleichsam alle zu Gliedern eines großen und edlen Ordens. Ja, die Vrilya sind eine wirkliche Gemeinschaft von
Edelleuten, wie sie sich der geistige Schüler eines Plato oder Sidney als das Ideal einer aristokratischen Republik denken möchte. 


19.  KAPITEL

Seit der geschilderten Expedition gegen das Ungeheuer kam Tae nun des öfteren, mich zu besuchen. Er hatte Gefallen an mir gefunden, das ich herzlich erwiderte. Da er noch nicht ganz zwölf Jahre alt war und daher den Kursus wissenschaftlicher Studien, mit dem die Kindheit in diesem
Lande abschließt, noch nicht begonnen hatte, stand ich geistig nicht so tief unter ihm wie unter den älteren Gliedern seines Geschlechts, auch den Gyei und vor allem Zee.
Da die Kinder der Vrilya so viele wichtige Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten tragen, sind sie meistens nicht kindisch. Aber Tae besaß trotz seines Wissens einen so spielerisch frohen Humor, wie er meist nur für ältere wirklich geniale Persönlichkeiten charakteristisch ist. Er
mochte wohl durch meine Gesellschaft die gleiche Veranlassung zu einer fröhlichen Heiterkeit haben, wie sich ein Knabe des gleichen Alters bei uns auf der Erdoberfläche an dem närrischen Spiel mit jungen Hündchen oder zahmen Äffchen ergötzt. Es amüsierte ihn, mir die Fähigkeiten
seiner Rasse zu lehren, wie einer meiner Neffen seinem Pudel das Gehen auf den zwei Hinterbeinen oder das Springen über den Stock beibringt. Ich gab mich gern zu solchen Experimenten her, nur hatte ich leider nicht soviel Erfolg als der Pudel.
Mit großem Eifer versuchte ich anfangs die Flügel zu gebrauchen, welche die allerjüngsten Kinder bei den Vrilya mit der gleichen Schnelligkeit und Selbstverständlichkeit zu gebrauchen wissen, als die Kinder bei uns ihre Arme und Beine. Aber meine ersten Versuche mit dem Fliegen waren derart von blauen Beulen und Quetschungen begleitet, daß ich das Ganze voll Verzweiflung wieder aufgab. 


Diese Flügel sind, wie ich schon sagte, sehr groß, reichen herab bis zu den Knien und werden in Ruhestellung so zusammengelegt, daß sie einen kleidsamen Mantel abgeben.
Sie werden angefertigt aus den Federn eines gigantischen Vogels, der in den felsigen Höhen dieses Landes viel vorkommt  die Farbe ist meistens weiß, zuweilen mit rötlichen Streifen. An den Schultern sind sie mit leichten, aber haltbaren metallenen Gelenken befestigt. Wenn sie ausgebreitet werden, dann gleiten die Arme durch hierfür bestimmte Schlingen, und das Ganze bildet nunmehr ein geschlossenes, sich selbst stützendes Glied des Körpers.
Werden die Arme gehoben, so strömt Luft durch mechanische Vorrichtung in ein röhrenförmiges Gebilde, dessen Inhalt durch Bewegung der Arme reguliert werden kann, derart, daß der Körper wie von einem Schwimmgürtel leicht getragen wird. Die Flügel sowie auch diese Gebilde sind voller Vril. Und wenn der Körper nun aufwärts steigt, so scheint er gleichsam seiner Schwerkraft benommen. Ich fand es leicht, mich vom Boden zu heben, ja, wenn ich die Flügel ausbreitete, war es kaum möglich, nicht aufzufliegen, aber dann kam die Schwierigkeit und die Gefahr. Denn ich besaß keinerlei Fähigkeit, diese Flügel recht zu gebrauchen, obgleich ich bei meiner eigenen Rasse als besonders geschickt und erprobt in kühnen Versuchen galt, auch bin ich ein ausgezeichneter Schwimmer.
Hier vermochte ich aber beim Fliegen nur die einfältigsten und verkehrtesten Dinge zu machen. Ich war in der Gewalt der Flügel, nicht ihr Herr. Meine Flügel gehorchten mir durchaus nicht, und als ich durch eine heftige Muskelanstrengung, sowie, sagen wir es offen, durch eine Kraftleistung, die man nur in der Angst fertigbringt, ihre steigenden Schwingungen anzuhalten versuchte, indem ich sie fest an den Körper zog, da schien es, als ob die mich durch die Lüfte tragenden Kräfte Flügel und Gürtel verließen, und wie ein Ballon, dem die Luft plötzlich entweicht, stürzte ich abwärts zur Erde. Nur ein krampfhaftes Flattern errettete mich davor, in Stücke zerschmettert zu werden, aber nicht vor einem schweren Absturz, durch den ich betäubt und mit Beulen bedeckt war.
Ich würde trotzdem meine Versuche, zu fliegen, nicht eingestellt haben, wenn die gelehrte Zee es mir nicht dringend geraten oder vielmehr befohlen hätte. Sie hatte mich stets wohlwollend bei meinen Flugversuchen begleitet, und nur weil sie bei dem letzten Absturz gerade unter mir flog und ich mit meiner flatternden Masse zuerst auf ihre ausgebreiteten Flügel fiel, wurde ich davor bewahrt, mir das Genick auf dem Dach einer Pyramide zu brechen, von der aus wir aufgeflogen waren.
«Ich sehe», sagte sie, «daß Ihre Versuche vergebens sind. Nicht etwa weil die Flügel oder ihr Zubehör fehlerhaft sind, noch weil Ihr eigener Körper derart verbaut oder mißgestaltet wäre, sondern deshalb, weil Ihrem Organismus durchweg die Fähigkeit des Fliegens verloren ist. Sie müssen bedenken, daß die feine Wechselbeziehung zwischen menschlicher Willenskraft und dem Vrilfluidum, die bei den Vrilya nunmehr vollkommen ausgebildet ist, auch den ersten Entdeckern noch vollständig fehlte und nicht einmal im Verlauf einer Generation ganz zu erwerben
war. Sondern sie wurde allmählich verstärkt, wie ja auch andere Rassenmerkmale, und immer vollkommener von den Eltern auf die Kinder vererbt, so daß sie jetzt bei uns schon im Instinkt liegt. Jedes Kind unserer Rasse lernt nun ebenso intuitiv und von selbst sowohl Gehen wie Fliegen. Es gebraucht die ihm gegebenen künstlichen Flügel mit der gleichen natürlichen Sicherheit, wie derVogel die seinigen, die ihm angeboren sind.
All das habe ich nicht genügend bedacht, als ich Ihnen diese Versuche erlaubte, die mir wertvoll waren, weil ich Sie gern zum Begleiter gehabt hätte. Ich werde dieses Experiment aber einstellen. Denn Ihre Person beginnt mir von Herzen teuer zu werden.»
Bei den letzten Worten nahm die Stimme der Gy eine Klangfarbe an, die mich mehr beängstigte als der vorhergehende Absturz beim Fliegen. 


Da ich gerade von Flügeln spreche, möchte ich noch einer eigenartigen Sitte Erwähnung tun, die mir in ihrem Ideengehalt sehr bedeutungsvoll scheint. Eine Gy fliegt nämlich immer nur so lange, als sie Jungfrau ist. Sie nimmt teil an allen Unternehmungen und Vergnügungen in den
Luftsphären, ja, sie fliegt sogar häufig allein in die fernen und wilden Regionen der sonnenlosen Welt. In der Kühnheit und Höhe ihres Aufstieges in die Lüfte und in der Schönheit ihrer Bewegungen übertrifft sie dann leicht das andere Geschlecht. Aber vom Tage der Hochzeit ab fliegt sie nicht mehr bis zum Ende des Lebens.
Als Zees Stimme sich nun vorhin veränderte und ich ob dieser Veränderung ahnungsvoll schauderte, schwebte Tae, der uns beim Fliegen begleitete und wie ein Knabe viel mehr Belustigung an meinen zappelnden Luftstürzen als irgendein Mitgefühl mit meinen Ängsten und Nöten
empfand, mit seinen ausgebreiteten Flügeln hoch über uns in der klaren, durchleuchteten Luft. Und als er die letzten Worte der Gy vernahm, da lachte er laut und rief ihr herunter: «Wenn der kleine Barbar nicht das Fliegen lernt, Zee, kannst du ihn ja auch unten begleiten. Nur lege vorher
dann deine Flügel ab.» 


20.  KAPITEL

Seit einiger Zeit hatte ich schon in meines Gastgebers kluger und mächtiger Tochter ein Gefühl des Wohlwollens und Beschützens bemerkt, welches eine allwissende Vorsehung dem weiblichen Geschlechte der Menschheit sowohl auf der Erdoberfläche als auch anderwärts verliehen hat.
Aber bis vor kurzem hatte ich dies jener besonderen Vorliebe für Liebkosungen zugeschrieben, die meist den Frauen jeden Alters mit den Kindern gemeinsam ist. Jedoch mußte ich nun zu meinem Kummer bemerken, daß Zee mich mit ganz anderen Gefühlen zu betrachten beliebte, als sie Tae für mich hegte. Aber diese Entdeckung flößte mir keineswegs jenes Wohlbehagen ein, welches die Eitelkeit eines Mannes bei der schmeichelhaften Würdigung seiner persönlichen Vorzüge durch das schöne Geschlecht für gewöhnlich empfindet; ganz im Gegenteil, ich betrachtete dies mit Schaudern. Und doch war Zee eigentlich von allen Gyei dieser Rasse die klügste und stärkste, ja, sie genoß sogar den Ruf, auch die liebenswürdigste zu sein und war allgemein sehr beliebt. Der Wunsch zu helfen, Beistand zu leisten, zu beschützen, zu bemuttern, schien ihr ganzes Wesen zu erfüllen. Obgleich Unglück, insoweit es von Laster und Not herrührt, im Gemeinschaftsleben der Vrilya fast nicht mehr vorkam, so hat doch noch kein Weiser im Vril eine Kraft entdeckt, die alle Sorge aus dem Leben verbannen könnte; und wo auch immer Beschützung erforderlich war, da erschien Zee, um auch Schutz zu bringen. Ihre bevorzugten Flüge waren die nach den äußersten Grenzen des Landes, wo ja Kinder angestellt waren, um die Ausbrüche böser Naturkräfte niederzukämpfen oder gefährliche Bestien zu zerstören; dann war sie stets bei der Hand, um die Kinder vor Gefahren zu warnen, die ihre Klugheit voraussah, oder Katastrophen zu verhindern.
Wie oft habe ich ihr von meinem Balkon oder dem hängenden Garten vor meinem Fenster zugeschaut, wie sie mit ihren glänzenden Flügeln sich in die Lüfte erhob und wie dann plötzlich eine große Schar Kinder, als sie ihrer vom Lande her ansichtig wurden, ihr mit der übermütigsten
Freude entgegenschwebten und sie lustig umgaben, so daß sie bald völlig zum Mittelpunkt von fliegendem Spiel und Vergnügen wurde. Wenn ich außerhalb der Stadt zwischen Felsen und Tälern mit ihr wanderte, so entdeckten die Elche und Hirsche sie schon von weitem und kamen herbei, um sich von ihrer Hand streicheln zu lassen und dann wieder fortzuspringen, wenn ein Naturlaut, den beide verstanden, die Tiere entließ.
Es ist Sitte für die unverheirateten Gyei, auf der Stirn ein Band oder einen Kronreif zu tragen, der mit opalähnlichen Steinen geschmückt ist, die entweder in bestimmter Weise zu vier Punkten oder auch wie sternartige Strahlen angeordnet sind. Für gewöhnlich ist kein Glanz zu sehen,
wenn jedoch Vril damit in Berührung kommt, so entsteht eine züngelnde Flamme, die zwar Licht ausstrahlt, aber doch nicht nach Art der feurigen Flammen brennt. Dies dient ihnen vor allem als Auszeichnung bei den Feierlichkeiten. Auch können sie solches Licht, wenn sie die von
Menschen künstlich beleuchtete Landschaft verlassen, verwenden, um die Finsternis ihrer Umgebung von sich aus zu erleuchten.
Was auch immer der wahre Grund dafür sein mag, jedenfalls erfüllte das Bewußtsein, daß ich in Zee eine persönliche Leidenschaft für meine Person erregt hatte, mich mit Schrecken; vielleicht war es Angst vor ihren Vollkommenheiten, ihren geheimnisvollen Naturkräften oder vor der unübersteiglichen Grenze zwischen ihrer und meiner Rasse. Vielleicht entsprang aber auch die Angst  wie ich offen gestehen muß  aus der irdischen und sehr unedlen Furcht vor den Gefahren, in die ich durch ihre Anwandlungen kommen konnte.
Dürfte ich denn nur für einen Augenblick glauben, daß die Eltern und Freunde dieses hervorragenden Wesens ohne Verachtung und Abscheu an die Möglichkeit einer Verbindung zwischen ihr und einem halbwilden Barbaren auch nur denken könnten? Zee konnten sie dann aber nicht bestrafen, nicht zurückhalten, denn ein Zwang wird untereinander ja niemals gestattet. Aber sie konnten leicht dieser Angelegenheit ein rasches Ende bereiten durch einen Blitzstrahl von Vril gegen meine Person. 


Unter diesen beängstigenden Umständen war mein Gewissen und mein Ehrgefühl wenigstens frei von Selbstvorwürfen. Ich hielt es für meine Pflicht, wenn Zee ihre Nachstellungen fortsetzen sollte, dies meinem Gastgeber anzuvertrauen, natürlich mit all der Zartheit, die ein Gentleman anzuwenden pflegt, wenn er einem anderen die Gunstbezeugungen mitteilt, durch die ein weibliches Wesen seine Persönlichkeit auszuzeichnen beliebt. Nur auf diese Weise konnte ich mich von dem Verdachte fernhalten, ein Mitverschworener in den Absichten Zees zu sein. Vielleicht konnte auch mein weiser Gastgeber einen Ausweg aus diesem gefahrvollen Dilemma entdecken. Bei diesem Entschluß folgte ich dem gewöhnlichen Instinkt eines zivilisierten und moralischen Menschen der Oberwelt, der, wenn er auch irren kann, doch im allgemeinen den rechten Weg vorzieht in allen den Fällen, wo es sichtlich gegen seine Neigungen, seine Interessen und seine Sicherheit wäre, den falschen zu wählen. 


21.  KAPITEL

Man wird bereits bemerkt haben, daß Aph-Lin einen allgemeinen, uneingeschränkten Verkehr zwischen mir und seinen Landsleuten keineswegs wünschte. Obwohl er sich auf mein Versprechen, niemals irgend jemandem von meiner wirklichen Herkunft zu erzählen, und mehr noch auf das
Versprechen der anderen verließ, mich nicht darüber zu befragen, so fühlte er sich doch nicht sicher genug, ob ich mich auch beim Verkehr mit Fremden immer würde gegen deren Neugierde wehren können. Deshalb war ich bei Ausgängen niemals allein. 


Ich wurde stets entweder von einem Mitglied der Familie oder von meinem jugendlichen Freunde Tae begleitet. Bra, Aph-Lins Gattin, verließ selten die Gärten, die das Haus umgaben, sondern liebte es sehr, uralte Literatur zu lesen, die noch etwas Romantisches und Abenteuerliches hatte, was man in den Werken der dortigen neueren Literatur nicht mehr findet, während jene alten Bücher mehr ein Leben schilderten, wie wir es täglich oben auf der Erdoberfläche führen, durch unsere vielfarbigen Sorgen, Sünden und Leidenschaften belebt, Bilder, die ihr das bedeuteten, was für uns die reizvollen Märchen von Tausend und einer Nacht sind. Neben dieser Liebhaberei hatte Bra noch gar mancherlei Pflichten als Herrin des größten Privathauses dieser Stadt. Sie ging täglich durch sämtliche Zimmer, um zu sehen, ob die Automatendienerschaft und die tausenderlei übrigen Mechanismen noch in Ordnung seien; und daß die zahlreichen Kinder, die Aph-Lin in seinen privaten oder öffentlichen Funktionen beschäftigte, sich dabei auch wohlfühlten. Damit half sie ihrem Gatten in seiner Tätigkeit als Chef der Verwaltung des künstlichen Lichtes im Staate. Ihre zwei Söhne vollen deten ihre Erziehung im Kolleg der Gelehrten. 

Diese beiden Brüder waren meist im häuslichen Leben meine Gesellschafter, ging ich hingegen aus, so begleitete mich Aph-Lin oder seine Tochter. Nach den ehrenwerten Beschlüssen, die ich gefaßt hatte, begann ich Ausreden oder Entschuldigungen zu erfinden, wenn Zee allein mit mir ausgehen wollte. Eines Tages erhaschte ich eine Gelegenheit, als diese wissenserfüllte Weiblichkeit eine Vorlesung am Kolleg der Gelehrten absolvierte, um Aph-Lin zu bitten, er möge mir doch einmal seinen Landsitz zeigen.
Da dieser ziemlich entfernt lag, Aph-Lin das Zufußgehen nicht leiden mochte, und ich dagegen alle Versuche des Fliegens mit Flügeln aufgegeben hatte, so begaben wir uns an unser Ziel in einem jener entzückenden Luftschiffe, die meinem Gastgeber gehörten. Ein achtjähriges Kind steuerte den Apparat.
Wir lehnten uns behaglich in die weichen Kissen zurück, und ich fand diese Art des Fliegens herrlich angenehm und luxuriös.
«Aph-Lin», begann ich, «ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich Sie um die Erlaubnis bitte, auf eine kurze Zeit verreisen zu dürfen, um auch einmal andere Stämme und Gemeinden Ihrer erhabenen Rasse kennenzulernen. Ich möchte vor allem gern jene Nationen besuchen, die Ihre Einrichtungen nicht durchgeführt haben und die Sie als wilde Barbaren betrachten. Es würde mich nämlich sehr interessieren, die etwaigen Unterschiede zwischen diesen und den Rassen wahrzunehmen, die wir in der Welt auf der Erdoberfläche für die zivilisiertesten halten.»
Aph-Lin erwiderte: «Es ist leider ganz unmöglich, daß Sie dorthin allein reisen. Selbst unter den Vrilya würden Sie schon großen Gefahren ausgesetzt sein. Gewisse Abweichungen in Körperfarbe und Gestalt, und ganz besonders das eigenartige Phänomen, daß Sie haarige Büschel
auf Ihrer Oberlippe und auf den Backen haben, dies alles läßt sofort erkennen, daß Sie weder von uns, noch von einer der entferntesten wilden Rassen abstammen können. Das würde aber in jeder Vrilyagemeinde, die Sie besuchen, stets das Interesse des Kollegs der Gelehrten erregen, und es würde ganz von dem persönlichen Temperament dieser gelehrten Herren abhängen, ob man Sie entweder höflich empfängt wie bei uns, oder aber, ob man Sie sofort für wissenschaftliche Zwecke bei lebendigem Leibe auseinanderschneidet, viviseziert. Ich kann Ihnen sogar das Folgende verraten: Als der Tür Sie zum erstenmal hier in dieses Haus brachte und als Tae Sie durch eine Berührung in Bewußtlosigkeit versetzte, um von den Anstrengungen der Erlebnisse auszuruhen, während dieser Zeit berieten die Gelehrten über Sie, und die Ansichten waren geteilt, ob Sie ein harmloses Tier oder eine gefährliche Bestie seien. Nun untersuchte man während der Bewußtlosigkeit Ihre Zähne, und diese Zähne bewiesen deutlich, daß Sie nicht nur grasfressend, sondern sogar fleischfressend sind.
Fleischfressende Tiere in Ihrer Größe werden aber grundsätzlich zerstört, da sie von gefährlicher und raubgieriger Natur sind. Unsere Zähne sind, wie Sie zweifellos bemerkt haben werden, nicht wie diejenigen von Kreaturen, welche Fleisch essen. Es wird allerdings von Zee und anderen Gelehrten behauptet, daß, als unsere Rasse in vergangenen Urzeiten noch vom Fressen des Fleisches lebendiger Tiere sich nährte, auch die Zähne diesem Zwecke entsprochen haben müssen. Doch selbst wenn dem so ist, haben sie sich jedenfalls seither durch Kultivierung und Vererbung geändert und der menschlichen Nahrung angepaßt, die wir jetzt genießen. Es gibt allerdings noch Barbarenstämme, die natürlich auch äußerlich in den entsprechenden, halb tierischen, wilden und verworrenen Zuständen leben, die noch wie die Raubtiere Fleisch essen.
Im Verlauf dieses Disputes unserer Gelehrten wurde es jedenfalls vorgeschlagen, Sie lebendig auseinanderzuschneiden, zu vivisezieren. Nur weil Tae sich für Sie einsetzte und weil der Tür dagegen war, gemäß unserer Sitte, Leben stets zu schonen, außer wo Zerstörung für das Allgemein wohl unbedingt notwendig ist, wurden Sie zu mir geschickt, der ich als der wohlhabendste Mann die Pflicht habe, Fremdlingen Gastfreundschaft zu gewähren. Es stand dann in meinem Gutdünken, zu entscheiden, ob Sie ein Fremder seien, den man gefahrlos zulassen könne, oder auch nicht. Hätte ich es abgelehnt, Sie aufzunehmen, so wären Sie rettungslos dem Kolleg der Gelehrten verfallen gewesen, und was man dort mit Ihnen getan hätte, das wage ich gar nicht auszudenken.
Abgesehen von der gleichen Gefahr also, können Sie irgendwo anders auch zufällig einem vierjährigen Kind begegnen, das gerade in den Besitz seines Vrilstabes gelangt ist, und dieses Kind kann leicht durch Ihr absonderliches Aussehen derart erschreckt werden, daß es im Schreck des Augenblicks Sie in Staub und Asche verwandelt. Sogar Tae hätte beinahe das gleiche getan, als er Sie zum erstenmal sah, wäre er nicht rasch durch seinen Vater daran gehindert worden. Deshalb können Sie unmöglich allein reisen. Aber mit Zee zusammen würden Sie sicher sein, und sie würde Sie gewiß auf einer Rundreise durch die von den Vrilya bewohnten Gegenden, jedoch nicht zu den wilden Stämmen, begleiten. Ich kann sie ja gleich einmal fragen.»
Da nun der Hauptzweck meiner abenteuerlichen Reise darin bestand, Zee zu entfliehen, schrie ich hastig: «Nein, bitte, tun Sie das nicht! Ich gebe meine Absicht auf. Sie haben mir die Gefahren so schrecklich geschildert, daß ich nicht mehr reisen will. Auch könnte ich es kaum verantworten, daß eine junge Gy von der reizenden Art Ihrer lieblichen Tochter in fremde Regionen reisen sollte, ohne einen besseren Beschützer zu haben, als einen Halbwilden von meiner unbedeutenden Kraft und Gestalt.»
Aph-Lin ließ jenen sanften, zischenden Laut hören, welcher der stärkste Ausdruck von Gelächter ist, den sich ein Erwachsener bei dieser Rasse erlaubt. Dann meinte er: «Verzeihen Sie meine unhöfliche plötzliche Heiterkeit bei einer so ernsthaft gemachten Bemerkung meines Gastes.
Aber die Idee ist zu komisch, daß Zee, die so gern andere beschützt, daß sie den Beinamen die ,Beschützerin' erhielt, ihrerseits einen Schutzherrn sogar gegen etwaige männliche Attacken benötigen sollte. Unsere Gyei reisen, solange sie unverheiratet sind, ganz allein auch zu anderen Stämmen, um zu sehen, ob sie dort jemand finden, der ihnen besser behagt, als die zu Hause. Zee hat schon drei derartige Reisen unternommen, aber bisher noch nicht den Gegenstand ihrer Wahl entdeckt.»
Hier bot sich endlich die Gelegenheit, welche ich suchte, und ich sagte, starr vor mich hinblickend und mit zitternder Stimme: «Wollen Sie mir versprechen, mein gütiger Gastgeber, mir zu verzeihen, wenn das, was ich sagen werde, Sie verletzen sollte?»
«Sprechen Sie nur die volle Wahrheit, dann kann sie mich ja nicht beleidigen, und wenn doch, so wäre es an Ihnen, zu verzeihen, nicht an mir.»
«Nun denn, so seien Sie mir behilflich, Sie zu verlassen. Wenn ich auch gern noch viel mehr von den Wundern Ihres Landes gesehen hätte und noch länger an dem glücklichen Leben Ihrer Rasse teilnehmen möchte, lassen Sie mich trotzdem zu meiner eigenen Rasse zurückehren.»
«Ich fürchte, es gibt dringende Gründe, warum ich dies nicht vermag. Auf jeden Fall nicht ohne die Erlaubnis des Tür, und der wird es sicherlich niemals gestatten. Denn Sie sind nicht ohne Geist und könnten (obgleich ich das persönlich nicht hoffe) die Stärke der Ausbildung von Zerstörungskräften bei Ihrer Rasse verheimlicht haben; dann aber könnten Sie uns über kurz oder lang in Gefahr bringen. Und wenn der Tür nur den leisesten Argwohn dieser Art hegt, so würde es natürlich seine unweigerliche Pflicht sein, entweder Sie selbst zu vernichten, oder Sie wenigstens für den Rest Ihres Lebens in eine Höhle zu sperren. Aber warum wünschen Sie denn überhaupt eine Gemeinschaft zu verlassen, bei der man, wie Sie selbst zu bemerken beliebten, so viel glücklicher lebt als bei Ihnen?»
«Ach, Aph-Lin, meine Antwort ist einfach. Ich befinde mich in einer solchen Situation, daß ich leicht ohne mein eigenes Verschulden ihre Gastfreundschaft verraten könnte.
Denn, infolge einer jener seltsamen Launen, die in unserer Welt für das weibliche Geschlecht sprichwörtlich wurden, und von denen anscheinend selbst eine Gy nicht ganz frei ist, könnte es Ihrer anbetungswürdigen Tochter einfallen, mich, der ich doch nur ein barbarischer Halbwilder bin, plötzlich als einen zivilisierten Menschen zu betrachten und  und  und —»
«Sie als Gatten zu begehren», half mir Aph-Lin nach, immerhin ohne merkliche Anzeichen von Verblüffung oder Entsetzen.
«Wie Sie sagen.» «Das wäre allerdings ein Unglück», sprach mein Gastgeber nach einer kurzen Pause voller Nachdenklichkeit, «und ich muß gestehen, daß es sehr recht von Ihnen war, mich in dieser Richtung zu warnen. Es ist, wie Sie wissen, nichts Außergewöhnliches, daß eine Gy in solchen Dingen Kaprizen zeigt, die für andere grillenhaft erscheinen. Aber es gibt ja auch keine Macht, durch welche man eine junge Gy zwingen könnte, die Richtung ihrer Launen zu ändern. Selbst wenn wir uns mit ihr in Dispute darüber einlassen wollten, so lehrt uns doch eigentlich schon die Erfahrung, daß sogar der gesamte versammelte Rat der Weisen es wohl niemals erreichen würde, ihre Ansicht in diesen Dingen zu ändern. Aber ich habe insbesondere Angst für Ihre Person, denn eine solche Heirat würde deshalb gegen das Wohl der Gemeinde verstoßen, weil die aus einer solchen Ehe entspringenden Kinder die Rasse verderben würden; ja, solche Kinder könnten sogar mit Zähnen fleischfressender Tiere zur Welt kommen, und das würde man hier niemals gestatten. 


Außerdem, Zee kann man natürlich von nichts abhalten, aber Sie, als Halbwilden, könnte man leicht zerstören. Ich kann Ihnen also auch nur den Rat geben, ihren Werbungen Widerstand zu leisten. Vielleicht erzählen Sie ihr, daß sie Ihnen völlig uninteressant ist, das passiert ja häufig. Oder auch, viele Männer entrinnen bei uns einer Frau, indem sie eine andere heiraten. Vielleicht versuchen Sie dieses Mittel?» 

«Nein doch, ich kann ja auch keine andere Gy heiraten, ohne das Wohl der Gemeinde zu gefährden durch die Möglichkeit, daß ich fleischfressende Kinder großziehe.»
«Das ist allerdings wahr. Alles was ich Ihnen also sagen kann, und ich sage es mit der Rücksicht, die ich einem ,Tish' und meinem Gast schulde, ist offengestanden dies: Wenn Sie nachgeben, werden Sie in Staub und Asche verwandelt. Ich muß es Ihnen überlassen, den geschicktesten Weg zu Ihrer Selbstverteidigung zu entdecken. Vielleicht sagen Sie Zee, sie wäre häßlich. Eine solche Versicherung hilft manchmal.  So, nunmehr sind wir bei meinem Landsitz angelangt.» 


22.  KAPITEL

Ich muß gestehen, daß meine Unterhaltung mit Aph-Lin mich arg bedrückte, insbesondere die unumwundene Art, mit der er seine Unfähigkeit erklärte, mich gegen die Kaprizen seiner Tochter schützen zu können, und wie er den Gedanken kurzweg behandelte, daß ihre Liebesfackel
meine allzu verführerische Person in Staub und Asche umwandeln könne. Dies alles dämpfte mein Vergnügen an der Besichtigung des Landsitzes meines Gastgebers etwas herab.
Erstaunlich waren vor allem die Mechanismen, welche die gesamte landwirtschaftliche Arbeit verrichteten. Das Wohngebäude wich in seinem Äußern stark ab von dem massiven und düsteren Stadtpalais Aph-Lins, das den Felsen glich, aus denen die Stadt selbst erbaut war. Die Mauern des Wohnhauses hier auf dem Lande waren aus eng aneinanderstehenden Bäumen gebildet, während die Zwischenräume von einer durchscheinenden Substanz erfüllt waren, die hier die Glasscheiben ersetzt. Alle diese Bäume waren in voller Blüte, was eine berauschende, stilvolle Stimmung erweckte. Im Tor wurden wir durch mehrere menschenähnliche Automaten empfangen, die uns auf unsere Zimmer geleiteten. Dies waren Räumlichkeiten, wie sie sich meine schwelgerische Phantasie in vergangenen heißen Sommernächten nicht herrlicher träumen konnte, eigentlich mehr wie eine Laube gestaltet, halb Zimmer, halb Garten. Die Wände bestanden aus einem Wirrsal verschlungener Blumen und Blüten. Die fensterähnlichen Öffnungen zeigten Ausblicke von einer märchenhaften und üppigen Schönheit auf Felsen und Seen, Park und Gewächshäuser voll der seltensten Blumen.

 An den Seiten des Zimmers waren Blumenbeete, dazwischen verstreut eine Fülle von weichen Kissen zum Ausruhen. In der Mitte entsprang eine Fontäne jenes flüssigen Lichtes, das ich anfangs für Naphta hielt. Es schillerte und es strahlte in einer rosigen Farbe und erhellte gar köstlich den Raum. Rings um die Fontäne war ein Teppich von weichem Moos, das nicht grün, sondern von ruhigem, tiefem Gelb war, einer bisher nie gesehenen Farbe, die das Auge noch mehr ausruhen ließ als das Grün unserer Oberwelt. In den Park wegen konnte man farbenprächtigen Singvögeln lauschen, welche vielstimmig und in symphonischen Harmonien sangen, wie man es ihnen dort ja zu lehren verstand. Diese Szenerie war wirklich reizvoll für jeden einzelnen Sinn.
Musik, Düfte und Farbenpracht klangen hier in vollkommenster Harmonie ineinander. Eine wollüstige Ruhe lagerte über allem. Welch ein köstlicher Ort für eine reizende Liebschaft, dachte ich, wenn der andere Teil weniger furchtbar mit Frauenrechten und männlichen Naturkräften
ausgestattet wäre. Aber wenn man dann an eine Gy dachte, die so gelehrt und von so mächtiger Statur war wie Zee, nein! Auch wenn ich nicht jeden Augenblick fürchten müßte, in Staub und Asche umgewandelt zu werden, selbst dann würde ich gewiß nicht von ihr geträumt haben in
dieser Umgebung, so geschaffen für phantastische Träume. Die menschlichen Automaten erschienen wieder und reichten uns einige Gläser, gefüllt mit prächtigen Kräuter Essenzen, welche bei den Vrilya eine harmlosere Art von Wein abgeben.
«Das ist wirklich ein reizender Landsitz», sagte ich, «und ich verstehe einfach nicht, warum Sie nicht viel lieber hier als inmitten der düsteren Stadt wohnen.»
«Da ich für die Verwaltung des künstlichen Lichtes im Staate verantwortlich bin, muß ich hauptsächlich in der Stadt leben und kann nur zeitweise hier herauskommen.»
«Aber da Ihr Amt, wie Sie sagten, keine Ehren einträgt, und sogar einige Mühe macht, warum übernehmen Sie es dann eigentlich?»
«Ein jeder von uns unterwirft sich freiwillig den Anweisungen des Tür. Wenn er sagt, es sei wünschenswert, daß Aph-Lin die Verwaltung des Lichts übernimmt, so gibt es für mich kein Zaudern. Aber jetzt, nachdem ich dies Amt eine Zeitlang durchgeführt habe, sind mir die Lasten, die ich vorher recht wenig schätzte, wenn auch nicht gerade angenehm, so doch erträglich geworden. Man gewöhnt sich doch sehr rasch an alles.  Wie Sie sehen, gibt es sogar noch Leute, die ihren Widerwillen gegen Staatsämter so weit überwinden, daß sie den obersten Verwaltungsposten im Staate annehmen. Aber keiner würde sich hierzu bereit finden, wenn er nicht seine individuelle Handlungsfreiheit im übrigen völlig behielte.»
«Und wenn man nun seinen persönlichen Willen für falsch hält?»
«Das kann gar nicht vorkommen, denn alles wird bei uns harmonisch nach den Gesetzmäßigkeiten undenklicher Zeiten geregelt.»
«Wenn nun das Staatsoberhaupt stirbt oder sich zurückzieht, wie steht es denn dann mit der Nachfolge?»
«Derjenige, der dieses Amt viele Jahre lang innegehabt hat, ist am geeignetsten, sich seinen Nachfolger selber zu wählen.»
«Dann wählt er aber doch sicher stets seinen Sohn?»
«Nein, fast niemals, denn das wird er doch seinem Sohn nicht antun, ihm ein hohes Staatsamt aufzuhalsen. Wenn der Tür in der Wahl eines Nachfolgers zum Staatsoberhaupt zögert, weil er nicht gern einem Freunde etwas so Böses antun will, dann erfolgt die Wahl durch drei Männer
des Rates der Weisen. Aber im allgemeinen sind wir der Ansicht, daß das Urteil eines einzelnen in entscheidenden Dingen immer treffsicherer und auch besser ist als das Urteil von mehreren, und wenn sie noch so klug sind. Denn es gibt höchstwahrscheinlich unter mehreren doch immer Uneinigkeit, und wo Uneinigkeit ist, da mischen sich sofort die Triebe und Leidenschaften mit in das Urteil. Das geringste Urteil eines einzelnen, der von vornherein so gestellt ist, daß er kein Motiv zum Falschwählen hat, ist immer noch besser, als das Urteil irgendeiner Mehrheit, die stets auch eine Menge von Motiven zum Falschwählen mit sich bringt.»
«Dann stehen Sie aber auf dem entgegengesetzten Standpunkt in staatlichen Dingen als wir auf der Erdoberfläche.»
«Nun, sind Sie denn in irgendeinem Ihrer Staaten mit der Regierung zufrieden?»
«Nein, sicher nicht, die Regierung, welche der Mehrheit gefällt, mißfällt natürlich stets allen anderen.»
«Dann ist unser System besser als das Ihrige.»
«Mag sein, daß es für Sie besser ist.  Andererseits könnte bei uns ein Mensch nicht in Staub und Asche verwandelt werden, wenn ein weibliches Wesen ihn zur Ehe zwingen will; und da ich nun einmal ein Barbar bin, so sehne ich mich, in meine Heimatwelt zurückehren zu können.»
«Fassen Sie Mut, mein lieber kleiner Gast. Schließlich kann Zee Sie ja doch nicht zur Ehe zwingen. Sie kann Sie höchstens dazu verführen. Lassen Sie sich eben nicht verführen! Kommen Sie, wir wollen meine Besitzung ein wenig anschauen.»
«Mein jüngster Sohn hat ein großes Vergnügen daran, unser Besitztum zu vermehren», erzählte Aph-Lin, als wir die Wirtschaftsgebäude durchschritten, «deshalb wird er alle diese Ländereien einst erben, die den größten Teil meines Besitzes ausmachen. Meinem ältesten Sohne würde ein solches Erbteil nur große Mühe und Kummer verursachen.»
«Gibt es bei Ihnen viele Söhne, die das Erben eines großen Vermögens als eine schreckliche Bürde ansehen?»
«Gewiß, es gibt sogar nur wenige unter den Vrilya, welche nicht so denken. Denn nach Ablauf des Kindheitsalters legt man bei uns sehr viel Wert auf Ruhe und Zurückgezogenheit. Ein großes Vermögen lenkt aber die Aufmerksamkeit auf uns bei der Wahl zu den Staatsämtern,
die doch niemand gern annimmt, andererseits, wenn er wählt, nicht gut ablehnen kann.»
Nach dieser Unterredung suchte ich nochmals auf unser früheres Thema zurückzukommen, aber mein Gastgeber umging es geschickt und beorderte unser Luftschiff. Während unserer Luftfahrt begegneten wir Zee, welche, da sie uns bei ihrer Rückehr vom Kolleg der Gelehrten nicht zu Hause fand, ihre Flügel sofort auseinandergebreitet hatte und auf der Suche nach uns herumgeflogen war. 


Ihr sehr kluges, aber für mich wenig anziehendes Gesicht hellte sich auf, als sie mich sah und, neben dem Luftschiff auf ihren riesigen ausgebreiteten Flügeln einherschwebend, sagte sie vorwurfsvoll zu Aph-Lin: «Ach Vater, es war unrecht von dir, das Leben unseres Gastes zu gefährden, in einem Luftfahrzeug, an das er doch so gar nicht gewöhnt ist. Er hätte durch eine unvorsichtige Bewegung sehr leicht über Bord fallen können.»
Mild entgegnete er: «Zee, der Tish war in keiner Gefahr, und ich bin überzeugt, daß er sehr gut auf sich selbst acht haben kann.» 


Sie erwiderte: «Ich hätte lieber, daß er mir die Sorge für ihn überließe.»
Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, bewegte ihre Flügel und flog nach Hause. «Ich hätte wenigstens in den Gefahren, denen mich Ihre eigene Tochter aussetzt, auf die Hilfe meines Gastgebers gerechnet», sagte ich bitter zu diesem. 


«Ich half Ihnen, so gut ich konnte. Wenn man einer Gy in solchen Dingen Schwierigkeiten bereitet, so reizt sie das nur, es nun gerade zu tun. Sie duldet keine Ratschläge zwischen Wille und Ziel.» 


23.  KAPITEL

Als wir zu Hause angelangt waren, gab Aph-Lin an einige der bei ihm beschäftigten Kinder den Auftrag, eine Anzahl Freunde zu einem Fest einzuladen, das er während der « Leichten Stunden » zu Ehren eines verstorbenen nahen Verwandten veranstalten wolle. Es war die größte und heiterste Gesellschaft, die ich während meiner ganzen Anwesenheit bei dieser Rasse erlebte. 


Das Gastmahl wurde in einem mächtigen Saal abgehalten, der besonders für große Festlichkeiten in diesem Stadthause diente. Die ganze Festlichkeit trug einen anderen Charakter als bei uns und erinnerte mich sehr an die luxuriösen Gastmähler zu den Zeiten des römischen Kaiserreichs. Man saß nicht um eine einzige große Tafel, sondern an zahlreichen kleineren Tischen, deren jeder für acht Gäste gedeckt war. Man ist hier der Ansicht, daß eine größere Anzahl keine rechte Unterhaltung führen kann und die Freundschaftlichkeit des Beisammenseins nur beeinträchtigt. Wie ich schon erzählte, brechen diese Menschen niemals in lautes Gelächter aus, sondern der melodische Klang ihrer Stimmen an den verschiedenen Tafeln war das Symbol einer harmonischen, heiteren Unterhaltung. Da sie keine betrunkenmachenden Getränke genießen und eine wohltuende, stilvolle und wählerische Speisenfolge einhalten, so dauerte das Mahl selbst nicht zu lange. Die Tafeln verschwanden im Fußboden, und nun begannen musikalische Darbietungen, aber nur für solche, die es liebten. Viele von den jungen Leuten schwangen sich mit
ihren Flügeln in die Lüfte, denn der Saal war unbedeckt, und vollführten die reizendsten Lufttänze. Andere wieder schlenderten durch die Räume, um einen Blick auf die Altertümer und Sammlungen zu werfen, oder gruppierten sich zu einem seltsamen Spiel, das ich als Schachspiel zu acht Personen bezeichnen könnte. Ich versuchte, mich unter die Gäste zu mischen, wurde aber an der zwanglosen Teil nahme in ihrer Unterhaltung durch die ständige Begleitung von einem der Söhne meines Gastgebers behindert, die mich vor verfänglichen Fragen beschützen sollten. Aber die Gäste nahmen glücklicherweise nur wenig Notiz von mir, man hatte sich nachgerade an meinen absonderlichen Anblick gewöhnt, und so erregte ich kaum mehr die Neugierde. Zu meinem größten Entzücken mied mich Zee sichtlich, vielleicht um dadurch meine Eifersucht rege zu machen.
Sie beschäftigte sich ostentativ mit einem sehr hübsch aussehenden jungen Mann, an dem ich die Sitte dieses Landes sehr gut beobachten konnte, wie er bescheiden die Augen niederschlug, wenn er von einem weiblichen Wesen angeredet wurde, und sehr zurückhaltend und sogar scheu war, etwa so wie es bei uns umgekehrt bei den jungen Mädchen in zivilisierten Ländern, außer in England und Amerika, Sitte ist. Er schien sichtbarlich auf die Werbungen der jungen Gy einzugehen, und ich wünschte sehnlichst, daß er es doch ja tun möchte, da ich mehr und mehr von dem Gedanken entsetzt wurde, in Staub und Asche verwandelt zu werden, nachdem ich die Schnelligkeit, mit der dies möglich ist, bei der Tötung des Ungetüms an einem so anschaulichen Beispiel erfahren hatte. Ich amüsierte mich nun damit, auch die anderen jungen Leute zu beobachten.
Ich hatte dabei die Befriedigung, daß Zee nicht die einzige Verfechterin des wertvollsten Frauenrechts war. Wohin auch mein Auge sich wandte, wohin mein Ohr lauschte, überall schien mir die Gy stets der werbende Teil, während der junge An schüchtern und zurückhaltend war. Die hübsche, unschuldige Miene, die ein An zur Schau trug, wenn ihm der Hof gemacht wurde, die Geschicklichkeit, mit welcher er eine jede direkte Antwort auf verfängliche Fragen vermied, oder wie er die schmeichelhaftesten Komplimente, die man ihm machte, in Scherz umwandelte, all dies würde dem kokettesten weiblichen Wesen auf der Erdoberfläche sehr zur Ehre gereicht haben. In diesem Augenblicke kam das Staatsoberhaupt, ein Herrscher, der sich übrigens hier gänzlich ungezwungen bewegte, ohne durch ständige Ehrenbezeugungen oder Knickse gestört zu werden, auf mich zu. Es war das erste mal, daß ich diesen hohen Machthaber seit meinem einstigen Betreten seines Landes zu sehen bekam, und als ich mich der Worte Aph-Lins erinnerte, daß dieser Mann im Zweifel gewesen sei, ob man mich bei lebendigem Leibe sezieren solle oder nicht, da kroch mir das Entsetzen durch den Leib beim Anblick seines ruhigen Antlitzes. «Ich höre viel von Ihnen, Fremdling, durch meinen Sohn Tae», sprach der Tür mich an und legte seine Hand auf mein geneigtes Haupt; «er hängt sehr an Ihrer Gesellschaft, und ich hoffe, daß die Sitten unseres Landes Ihnen nicht mißfallen.»
Ich stotterte eine unverständliche Antwort, die eine Versicherung meiner unauslöschlichen Dankbarkeit für das mir von dem Herrn Tür widerfahrene Wohlwollen und meine Bewunderung seiner Landsleute ausdrücken sollte. Aber im Geiste sah ich das Seziermesser vor meinen Augen blitzen, und das erstickte meine wohlgesetzten Worte im Halse. Eine sanftere Stimme sprach mich nun an: «Ich möchte den Freund meines Bruders begrüßen.» Und als ich aufblickte, sah ich eine junge Gy vor mir, die etwa sechzehn Jahre alt sein mochte; sie stand neben dem Staatsoberhaupt und betrachtete mich mit sichtlichem Wohlgefallen. Sie war noch nicht völlig ausgewachsen und deshalb etwa so groß wie ich selbst; dank dieser verhältnismäßig zarten Gestalt sah ich in ihr die reizendste Gy, die ich bisher erblickt hatte. Ich vermute, daß mein Gesichtsausdruck diesen Eindruck verriet, denn er spiegelte sich wiederum in der Miene des Mädchens.
«Tae erzählte mir, daß Sie noch nicht gelernt haben, die Flügel zu gebrauchen. Das ist schade, wie hübsch wäre es, wenn ich ein wenig mit Ihnen spazieren fliegen könnte.»
«Ach», entfuhr es mir, «ich werde wohl leider niemals dieses Vergnügen genießen. Zee versicherte mir, daß der richtige Gebrauch von Flügeln eine angeborene Eigenschaft ist und daß Generationen vergehen würden, bis ein Mensch meiner Rasse wie ein Vogel in den Lüften wird fliegen können.»
«Lassen Sie sich das nicht so schrecklich zu Herzen gehen», antwortete diese reizende Prinzessin, «denn schließlich müssen Zee und ich auch eines Tages auf das Fliegen verzichten. Vielleicht wird es uns dann sogar gut gefallen, wenn der An auch keine Flügel trägt.»
Der Tür hatte uns unterdessen verlassen und war in der festlichen Menge wieder verschwunden. Ich fing an, mich im Gespräch mit Taes entzückender Schwester sehr wohl zu fühlen, ja, ich schwang mich sogar zu dem sehr kühnen Kompliment auf, ihr zu sagen, daß sicher kein An, der ihre Gunst genieße, je seine Flügel benutzen werde, um von ihr fortzufliegen. Es ist derart gegen die Sitte in diesem Lande, wenn ein An einer Gy solche entgegenkommenden Dinge sagt, daß das junge Mädchen einen Augenblick gänzlich verblüfft war. Immerhin schien sie durchaus nicht unangenehm berührt zu sein. Sie erholte sich sehr schnell von ihrem Erstaunen und forderte mich auf, sie in einen der weniger überfüllten Räume zu begleiten, um dem Gesang der gelehrigen Vögel zu lauschen. Ich folgte ihr natürlich auf dem Fuße nach, und so gelangten wir in ein völlig verlassenes Zimmer. Eine Fontäne aus schillernden Lichtstrahlen spielte in der Mitte des Raumes, während in ihrem Umkreise prächtige Diwans zum behaglichen Sitzen einluden; in der einen Wand waren Käfige eingebaut, aus denen mannig farbige Singvögel ihre einschmeichelnden Chöre ertönen ließen. Die junge Gy ließ sich nieder auf einem der Diwans, und ich setzte mich neben sie.
«Tae erzählte mir, daß Aph-Lin von Ihnen und von seiner Familie verlangt hat, niemals über das Land Ihrer Herkunft oder den Grund Ihres Hierseins zu sprechen.»
«Das hat er allerdings», sagte ich.
«Darf ich wenigstens, ohne gegen dieses Verbot zu sündigen, fragen, ob die Gyei in Ihrem Lande dieselbe helle Gesichtsfarbe haben wie Sie, und ob sie nicht größer sind ? »
«Ich glaube nicht, liebe Gy, daß ich das Verbot Aph-Lins übertrete, das mich zum Schweigen verpflichtet, wenn ich eine so unschuldige Frage beantworte. Die Gyei in meinem Lande haben eine viel schönere Gesichtsfarbe als ich und sind für gewöhnlich um einen Kopf kleiner.»
«Dann können die Gyei aber doch auch nicht so stark sein wie die Ana bei Ihnen? Vermutlich gleicht die überlegene Beherrschung der Vrilkraft diesen Unterschied wieder aus?»
«Sie besitzen gar keine Vrilkraft bei uns, wie man sie hier kennt. Aber auch in unserem Lande sind sie sehr mächtig, und ein An hat meist wenig Möglichkeiten zu einem glücklichen Leben, wenn er sich nicht mehr oder minder von ihnen beherrschen läßt.»
«Dies Geständnis kam bei Ihnen recht aus dem Herzen», sagte Taes Schwester in einem halb betrübten, halb schalkhaften Tone, «Sie sind natürlich verheiratet?»
«Nein  gewiß nicht.»
«Auch nicht verlobt?»
«Auch nicht verlobt.»
«Ist es denn möglich, daß sich keine Gy um Sie beworben hat ? »
«In meinem Lande ist es nicht Sitte, daß die Gy sich bewirbt, das ist Sache des An bei uns.»
«Welch eine sonderbare Umkehrung der Naturgesetze», sagte das Mädchen, «und welcher Mangel an Bescheidenheit bei Ihrem Geschlecht! Aber Sie selbst haben sich nie um eine Gy beworben, nie irgendeine bevorzugt?»
Ich geriet bei dieser offenherzigen Art, mich auszufragen, beinahe in Verlegenheit, und erwiderte: «Verzeihen Sie, ich glaube, wir beginnen Aph-Lins Verbot des Schweigens zu übertreten. Ich kann Ihnen nur soviel erzählen, und dann bitte ich, mich gütigst nicht weiter zu befragen; ich bewarb mich in der Tat einst um eine Gy, und sie wäre gern einverstanden gewesen, aber die Eltern gestatteten es nicht.»
«Eltern! Wollen Sie damit ernstlich sagen, daß sich bei Ihnen die Eltern in derartige Angelegenheiten hineinmischen ? »
«Gewiß tun sie das, und zwar meistens.»
«In dem Land möchte ich aber nicht leben», meinte die Gy, «doch ich hoffe, Sie gehen niemals dahin zurück.»
Ich beugte schweigend mein schweres Haupt, aber die Gy schlang ihre Arme um meinen Hals und sagte aufmunternd: «Bleiben Sie doch hier und lassen Sie sich von mir lieben!»
Noch zittere ich, wenn ich daran denke, was ich hätte antworten können, welchen Gefahren, in Staub und Asche verwandelt zu werden, ich mich in diesem Augenblick hätte leichthin aussetzen können  als plötzlich das Licht der Strahlenfontäne durch den Schatten von Flügeln verdunkelt wurde und Zee durch das offene Fenster hereinfliegend sich direkt neben uns auf den Boden herabsenkte.
Sie sprach kein Wort, sondern nahm mich einfach mit ihrer ungeheuren Kraft bei der Hand, zog mich weg, wieeine Mutter ihr unartiges Kind in die Ecke stellt, führte mich durch die angrenzenden Zimmer in einen Korridor, von dem aus wir mittels eines die Treppe ersetzenden Mechanismus in meinem Zimmer landeten. Dort angelangt, berührte Zee meine Stirn mit ihrem Zeigefinger, meine Brust mit ihrem Vrilstab und ich verfiel augenblicklich in den tiefsten Schlaf.
Als ich nach einigen Stunden wieder erwachte und den Gesang der Vögel im Käfig hörte, kam mir die Erinnerung an Taes Schwester, an ihre bildhübschen Augen und ihre reizende Stimme. Und so unmöglich ist es für jemanden, der auf der Erdoberfläche geboren und aufgewachsen ist, sich der Gedanken, die so schmeichelhaft sind und zur Abenteuerlust anregen, zu erwehren, daß ich gleich in der Phantasie die allertollsten Luftschlösser baute.
Wenn ich auch einer halbwilden Menschheit angehören mag  so ungefähr war mein Gedankengang , es ist jedenfalls klar, daß Zee nicht die einzige Gy ist, die von meiner Persönlichkeit gefesselt wird. Offenbar liebt mich auch diese reizende Prinzessin, die Tochter des absoluten Monarchen im Lande, dessen unumschränkte Herrschaft diese Leute ja wohl nur hinter einer republikanischen Maske verstecken.
Wäre die furchtbare Zee nicht dazwischengekommen, so hätte die entzückende Königstochter mir sicher noch von selbst ihre Hand angetragen. Und wenn auch Aph-Lin, der ja nur ein Minister für Beleuchtung ist, mir mit völliger Zerstörung gedroht hat, falls ich seine Tochter heiraten
sollte, so würde doch ein Herrscher, dessen Wort allmächtig ist, sicher die Leute zwingen können, ein Gesetz abzuschaffen, welches jede Heirat mit Ausländern verbietet, was ja überhaupt schon im Widerspruch zu ihren vielgerühmten Prinzipien steht.
Es läßt sich auch annehmen, daß die eigene Tochter so viel Einfluß auf diesen König haben wird, daß er mich vor der Zerstörung meiner leiblichen Hülle bestimmt schützen würde, wozu mich Aph-Lin verdammt sah. Und wenn dies alles gut ginge, wer weiß, ob dieser König mich
nicht einst zu seinem Thronerben ernennen würde. Warum nicht? Die meisten Leute bei diesem indolenten Philosophengeschlecht wollen sich ja solche hohen Ämter nicht aufbürden. Gewiß würden sie es sogar gern sehen, die höchste Gewalt in die Hände eines so weltgewandten Fremden zu legen, der noch dazu die andersgearteten und lebhafteren Sitten des Lebens kennt.
Und welche glänzenden Umwälzungen würde ich in diesem Lande herbeiführen, wenn ich erst einmal gewählt wäre! Wieviel mehr Abwechslung würde meine Kenntnis von den Sitten der zivilisierten Völker der Erdoberfläche auch in dieses Land mit seinem zwar angenehmen, aber doch für mich gar zu einförmigen philosophischen Leben hineintragen! Ich bin zum Beispiel ein großer Freund der Jagd. Neben der Kriegführung wäre also das Abhalten großer Jagden meine angenehme Pflicht als König. Welchen Reichtum an fremdartigem Wild birgt dieses Land! Wie
interessant wird es werden, Tausende vorsintflutlicher Tiere zur Strecke zu bringen! Aber wie ? Dieses schreckliche Vril werde ich ja allerdings mangels angeborener Fähigkeit vor erst nicht beherrschen. Nein, aber mit einem unserer zivilisierten, sehr handlichen Gewehre, das mir diese genialen Mechaniker sicher leicht werden anfertigen, vielleicht sogar vervollkommnen können, damit wird es gehen; ja, ich entsinne mich sogar, etwas Derartiges im Museum gesehen zu haben. Im übrigen, als absoluter Herrscher würde ich das Vril einfach abschaffen und verbieten, außer natürlich im Kriege! Apropos, der Krieg; es ist völlig absurd, ein so intelligentes, reiches und wohlbewaffnetes Volk nur auf ein verhältnismäßig so kleines Gebiet zu beschränken!
Diese Beschränkung ist doch wirklich nur eine philosophische Grille, die zu der ehrgeizigen menschlichen Natur einfach im Widerspruch steht, ähnlich wie dies bei uns auf der Erdoberfläche von allerhand Pazifisten vergeblich versucht worden ist. Natürlich würde man so moralisch und
anständig sein, nicht gegen Nachbarstaaten Krieg zu führen, solange sie gleich gut und sorgfältig bewaffnet sind wie man selbst. Aber wie wäre es mit der «kulturellen Erschließung» jener Regionen, deren Rassen die Vrilwaffe noch nicht besitzen und die in ihren demokratischen Einrichtungen ja Amerika ziemlich ähnlich zu sein scheinen!
Man könnte unter Umgehung der Vrilstaaten in solchen unbewaffneten Ländern einfallen, sich ihres Gebietes bemächtigen und die eigene Herrschaft solcherart schließlich bis in die fernsten Regionen ausdehnen, kurz, ein Reich gründen, in dem die Sonne nie untergeht! (In meiner
Begeisterung vergaß ich sogar, daß es in diesen Regionen überhaupt keine Sonne gibt, die untergehen könnte.)
Was die phantastische Vorstellung dieser Leute anbelangt, dachte ich weiter, daß keiner hervorragenden Persönlichkeit Titel und Ruhm verliehen werden solle, bloß weil Ehrenbezeugungen durch die Jagd nach ihnen zu Streitigkeiten führten, die übelsten Leidenschaften ordentlich aufwühlten und den Frieden in Krieg verwandelten eine solche Ansicht widerspricht aber doch völlig nicht nur den Trieben des Menschen, sondern sogar auch den Trieben der Tiere, denn selbst das Tier lechzt, wenn es gezähmt wird, nach handgreiflichem Lob und Belohnung.
Welch ein Ruhm würde einem Herrscher verliehen werden, welcher sein Reich so riesig vergrößerte! Man würde mich bestimmt für einen Halbgott ansehen!
Ich überlegte in meiner Begeisterung außerdem, wie ich am besten das ganze Leben hier nach demjenigen einrichten könnte, das wir modernen Vertreter der Religiosität auf der Erdoberfläche für das einzig richtige halten, wenn wir es auch noch nicht gerade einer näheren Prüfung unterzogen haben. Ich war mir klar darüber, daß es nach unserer aufgeklärten Philosophie unbedingt notwendig sein wird, eine so anders geartete Religion, wie sie hier herrschte, von Grund auf zu bekämpfen und auszurotten, zumal deren mystischer Aberglauben doch zu unserer modernen Weltauffassung und den sich daraus ergebenden praktischen Gesichtspunkten des Handelns so sehr in Widerspruch stehe.
Als ich so über die vernünftige Reformierung dieses Landes im Geiste der Welt auf der Erdoberfläche nachsann, da fühlte ich auch, wie gern ich eigentlich meine geistigen Kräfte in diesem Augenblick durch ein Glas WhiskySoda oder ein Fläschchen Likör angefeuert hätte. Nicht daß ich
für gewöhnlich ein großer Liebhaber geistiger Getränke bin, aber es gibt doch wirklich Zeiten, wo solch ein kleiner Ansporn alkoholischen Geistes, unterstützt durch eine gute schwere Zigarre, die Einbildungskraft belebt. Ja, sicher konnte man aus den Kräutern und Früchten hier einen Saft ziehen und daraus einen anregenden, prächtigen Wein oder Likör gewinnen; dazu ein köstliches rotes Tatarbeefsteak, aus dem Fleisch dieser vorsintflutlichen Tiere geschnitten!  Übrigens, welch eine Beleidigung unserer gelehrtesten Wissenschaft, daß man hier die Fleischnahrung ablehnt, wo unsere aufgeklärtesten Mediziner Fleisch doch als ein in vieler Hinsicht so anregendes Nahrungsmittel empfehlen! Kurz, man würde die leibliche Grundlage des ganzen Lebens hier auf eine viel bessere und richtigere Basis stellen. Außerdem werde ich natürlich, sobald ich ersteinmal an die Herrschaft komme, statt der veralteten Dramen, die von kindischen Amateuren gespielt werden, unsere modernsten Operetten und ein tüchtiges Corps de ballet einführen, wofür man sicher unter den eroberten Völkern junge Mädchen finden wird, die nicht so riesenhaft wie die Gyei, nicht mit Vril bewaffnet sind und nicht unbedingt darauf bestehen, daß man sie heiraten soll.
Ich war vollständig versunken in solche und ähnliche politische, soziale und moralischsittliche Reformen, die geeignet sein würden, diesem Volke der Unterwelt den Segen der Errungenschaften unserer oberirdischen Zivilisation darzubringen  so daß ich erst durch ein plötzliches
Geräusch meine Augen aufschlug und Zee in meinem Zimmer bemerkte.
Ich kam zu der Ansicht, daß eine Gy, scheinbar den Frauenrechten entsprechend, ohne daß es für unanständig gehalten wird, in das Zimmer eines An eintreten kann, obgleich man einen An sicher im höchsten Grade für dreistund unbescheiden halten würde, wenn er einfach das
Gemach einer Gy betritt, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben. Glücklicherweise war ich noch in derselben Kleidung, die ich beim Versinken in den unfreiwilligen Schlaf trug. Nichtsdestoweniger war ich über ihren Besuch wütend, und fragte sie in strengem Tone, was sie wolle.
« Sprechen Sie, bitte, etwas sanfter, mein Lieber», sagte sie, «ich habe nicht geschlafen, seit wir die Gesellschaft verließen.» «Ich kann mir gut vorstellen, daß Ihr unglaubliches Betragen gegen mich, Ihres Vaters Gast, hinreicht, um Sie schlaflos zu machen. Wo war die Zuneigung, die Sie für mich zu empfinden behaupten, wo blieb überhaupt die Zuvorkommenheit, deren sich Ihre Landsleute doch so rühmen, als Sie die Überlegenheit an physischen Kräften, durch die Ihr Geschlecht hier das unsere übertrifft, und als Sie diese furchtbaren Vrilkräfte in Ihren
Augen und Händen benutzten, um mich vor allen versammelten Gästen, vor ihrer Königlichen Hoheit, der Tochter Ihres Staatsoberhauptes  einer derartig unangenehmen Situation auszusetzen, mich wie ein unartiges Kind zu Bett zu bringen und mich in Schlaf zu versenken, ohne meine Erlaubnis erst zu erfragen?»
«Sie sind sehr undankbar! Glauben Sie, daß ich gleichgültig zusehen konnte bei den Gefahren, denen die verwegenen Schwärmereien dieses jungen Kindes Sie ausliefern würden?»
«Halt! Da Sie gerade auf Gefahren zu sprechen kommen, darf ich mir vielleicht erlauben, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß die allergrößte Gefahr mir von Ihnen selbst droht, oder wenigstens drohen würde, wenn ich auf Ihre Werbungen einginge. Ihr Vater hat mir versichert, daß ich
dann hoffnungslos in ein Häufchen Staub verwandelt werden müßte, mit derselben Harmlosigkeit, als wenn ich das Ungetüm wäre, das Tae mit einem Blitzstrahl seines Stabes zu Asche verbrannte.»
«Aber», sagte Zee, «dieses Land ist ja nicht die ganze Welt, ich würde um Ihretwillen gern auf dies Land und dies Volk verzichten. Wir könnten ja in irgendeine Gegend fliegen, wo Sie sicher sind. Ich bin kräftig genug, Sie auf meinen Flügeln über die Wüste zu tragen. Ich bin geschickt
genug, um Felsen spalten zu können, um Täler herzustellen und uns darin ein Haus zu bauen. Oder wollen Sie etwa gar zurückkehren in Ihre Oberwelt, wo doch ein scheußlicher Witterungswechsel ist und nur diese dauernd veränderlichen Himmelskörper leuchten, die nach Ihrer Beschreibung einen so unruhigen Charakter haben. Sollten Sie dorthin wollen, so sagen Sie nur ein Wort, ich werde Ihnen einen Rückweg erzwingen und Sie überallhin begleiten.»
Ich konnte nicht umhin, tief ergriffen zu sein durch die offenherzige und selbstlose Anhänglichkeit, welche durch solche Worte zum Ausdruck kam, und weil alles mit jener musikalischen Stimme gesprochen war, die den rauhesten Worten einen wohltuenden Klang verleiht. Nur einen
Augenblick fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, mit Zees Hilfe einen sicheren und schnellen Rückweg in die Oberwelt zu gewinnen. Aber ein ebenso kurzes Nachdenken überzeugte mich, wie rücksichtslos und ehrlos es doch wäre, eine solche tiefe Ergebenheit damit zu vergelten, aus einem Lande und von einem Volke, das mir so sehr gastfreundlich gewesen war, jemanden zu entführen, für den meine Oberwelt gewiß eine Qual sein würde und für dessen mehrgeistige Neigung ich mich nicht entschließen konnte, auf eine mehr menschliche Neigung zu verzichten, die nicht
so hoch über meinem sündigen Selbst stand. Mit diesem Gefühl der Pflicht gegenüber der Gy verband sich auch ein Gefühl der Pflicht gegenüber meiner Rasse. Konnte ich es  wagen, in die Welt auf der Erdoberfläche ein Wesen einzuführen, das mit so furchterregenden Fähigkeiten ausgestattet ist,  ein Wesen, das mit einer Bewegung seines Stabes in weniger als einer Stunde ganz New York und seinen glorreichen KoomPosh in ein Häufchen Staub umzuwandeln vermochte? Raubte man ihr aber den einen Stab, so würde sie mit ihren Kenntnissen sofort einen zweiten anfertigen können, und von den schreckenerregenden Naturkräften, mit welchen dieser Stabmechanismus geladen wurde, war ihr ganzer Körper erfüllt! Konnte also jemand, der für ganze Städte und Völkerschaften jener Welt auf der Erdoberfläche eine drohende Gefahr darstellte, jemals ein sicherer Lebensgefährte für mich sein, gar nicht zu denken an Fälle von Meinungsverschiedenheit oder Eifersucht? Diese Gedanken, welche auszudrücken es so vieler Worte bedarf, schossen mir rasch durch den Kopf und diktierten meine Antwort.
«Zee», sagte ich in dem sanftesten Tone, den ich anzuschlagen vermochte, und indem ich ihr vorsichtig und zart die Hand küßte, «ich kann keine Worte finden, um zu sagen, wie tief ich gerührt bin und wie hochgeehrt ich mich durch eine so selbstlose und aufopfernde Zuneigung fühle. Ich kann sie nicht besser erwidern als durch volle Aufrichtigkeit. Jedes Land hat seine Sitten; die des Ihrigen machen eine Heirat zwischen uns zur Gefahr, die des meinigen aber gleichfalls. Andererseits kann ich, obgleich ich unter meinen Freunden für sehr tapfer gelte und es in bisher erlebten Gefahren wohl auch war, mir doch nicht ohne einen Schauder des Entsetzens Flitterwochen ausmalen, die sich in einer wüsten Einöde abspielen müßten, im Kampf mit allen Naturgewalten des Feuers, des Wassers, mit erstickenden Vulkanausbrüchen, auch mit der Möglichkeit, daß, während Sie mit dem Spalten von Felsen oder dem Anzünden künstlicher Beleuchtung beschäftigt sind, irgendein Krokodil oder gar Riesensalamander, der dadurch in seiner Ruhe gestört wird, mich wütend in seinen Rachen schlürft.
Ich, nur ein Halbwilder, verdiene nicht die Liebe einer so schönen, so gelehrten und machtvollen Gy wie Sie, denn ich kann sie auf keinem Gebiete erwidern.»
Zee richtete sich auf, wandte sich um und ging zur Tür.
An der Schwelle blieb sie plötzlich stehen und, wie wenn ihr ein neuer Gedanke gekommen wäre, drehte sie sich um und fragte:
«Sie sagten vorhin, Sie wollten ganz offen sprechen. Dann beantworten Sie mir auch diese Frage: Vielleicht lieben Sie hier jemand anderen?»
«Nein, wirklich nicht!»
«Wohl auch nicht Taes Schwester?»
«Ich sah sie gestern abend zum erstenmal.»
«Das ist keine Antwort. Glauben Sie nur nicht, daß es etwa Eifersucht ist, wenn ich Sie vor folgendem warne: Wenn die Tochter des Tür sich in Sie verlieben sollte und in ihrer Ahnungslosigkeit ihrem Vater etwas Derartiges beichtet  so wird ihm als Staatsoberhaupt nichts anderes
übrigbleiben, als Ihre sofortige Verwandlung in Asche zu verlangen, da er ja vor allem für das Staatswohl verantwortlich ist, welches eine solche Ehe mit Ausländern bekanntlich verbietet. Und für Sie gäbe es dann keine Möglichkeit zur Flucht. Denn dieses junge Mädchen hat noch
nicht genügend Kraft, Sie auf ihren Flügeln durch die Luft zu tragen, und nicht genügende Kenntnisse, um Ihnen in der Wildnis eine Ruhestätte zu bauen. Glauben Sie mir, daß ich Ihnen dies nicht etwa aus Eifersucht, sondern nur aus Freundschaft sage!» 


Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Als ich mir die ganze Situation ins Gedächtnis rief, da verzichtete ich sogar darauf, den Thron der Vrilya zu besteigen und unter meiner Herrschaft nach dem Muster unserer oberirdischen zivilisierten Welt unsere politischen, sozialen und moralischen Reformen glorreich in dieses neue Land zu tragen. 


24.  KAPITEL

Nach dieser Unterhaltung verfiel ich in tiefe Nachdenklichkeit. Ich konnte das Leben dieses außergewöhnlichen Volkes nicht mehr mit einer unbefangenen Neugierde beschaulich beobachten, denn ich vermochte den Gedanken nicht mehr zu bannen, daß ich unter Menschen weilte, die trotz ihrer Liebenswürdigkeit und Höflichkeit es doch jeden Augenblick für notwendig halten konnten, mich zu zerstören. Das friedliche und vorbildliche Leben dieser Leute, das mir, solange es für mich neu war, als ein erstrebenswerter Kontrast zu den Kämpfen, Leidenschaften und Lastern der Welt auf der Erdoberfläche erschienen war, konnte mich auf die Dauer mit seiner Gleichmäßigkeit und Einförmigkeit auch nicht befriedigen. 

Sogar die ständige Ruhe der Luft und des Klimas bedrückte mich. Ich sehnte mich nach einem Wechsel, ja sogar nach einem Winter, nach Sturm und Finsternis. Ich fühlte es jetzt: Wenn auch unsere Träume von Vollkommenheit in rastloser Suche nach einem besseren, einem ruhigeren Zustande hinstreben, sind wir doch als Sterbliche auf der Erdoberfläche gar nicht dafür geeignet und reif, uns für längere Zeit an diesem ersehnten Zustande wirklich zu freuen oder ihn zu genießen.
Nun hatte doch eigentlich dieses Staatswesen der Vrilya nahezu alle Postulate unserer verschiedensten philosophischen Meinungen in einem einzigen System wirklich vereinigt und durchgeführt. Es war ein Staat, in dem kein Krieg mehr möglich war, ein Staat, in dem die Freiheit eines jeden einzelnen bis zur Grenze der Möglichkeit verwirklicht schien, ein Staat, in dem alle diese Streitigkeiten nicht existieren, welche die Freiheit bei uns zum ständigen Spielball parlamentarischer Parteikämpfe machen, ein Staat, in dem die Korruption, welche unseren Demokratien den Stempel aufdrückt, ebenso unbekannt war als die Intrigen, welche die Throne der Monarchien ins Wanken bringen.
Gleichheit war nicht nur ein phrasenhaftes Postulat, sondern Wirklichkeit. Die Reichen wurden nicht verfolgt, weil man sie nicht beneidete. Eine Arbeiterklasse gab es nicht wie bei uns, weil fast alle Arbeit von Mechanismen verrichtet wurde. Mechanische Erfindungen, welche auf Prinzipien beruhen, die ich leider nicht anschaulich machen kann, arbeiteten mit Naturkräften, die unendlich viel wirksamer und leichter zu handhaben sind, als wir sie jemals aus Elektrizität oder Dampf zu gewinnen vermochten.
Kinder konnten die noch übrigbleibenden Handgriffe leicht beaufsichtigen, wurden dabei nicht einmal angestrengt, sondern liebten sogar diese Beschäftigung als Spiel und Zeitvertreib. Und diese Arbeit genügte, um einen allgemeinen Wohlstand zu erzeugen, an dem jeder Mensch teilnahm, so daß es überhaupt keine Unzufriedenen gab.
Die Verbrechen, die in unseren Städten überhandnehmen, faßten dort gar nicht Fuß. Es gab einen Überfluß an Vergnügungen, aber sie waren stets unschuldiger Art. Keine Möglichkeit zu Betrunkenheit und Schwelgereien, die zu Krankheiten führen. Liebe existierte, und zwar heftig, aber sie ging immer gut aus. Ehebrecher, Lasterhaftigkeiten und Prostitution waren so unbekannte Phänomene, daß man, selbst um die Worte dafür zu finden, eine veraltete Literatur von vergangenen Jahrtausenden zu Rate ziehen müßte. Alle, die sich je mit dem Studium der philosophischen Lehrmeinungen bei uns befaßten, wissen ja zwar, daß selbst die Abweichungen vom zivilisierten Leben letztlich zur Realisierung bestimmter Ideen beitragen können, auch wenn diese Ideen vorher noch so viel verfochten, umstritten, bekämpft oder lächerlich gemacht worden sind. Aber bei uns war die wirkliche Herbeiführung solcher idealer Zustände teilweise zwar versucht, teilweise in phantastischen Büchern verlangt worden, nie aber war man bisher zu irgendwelchen praktischen Resultaten gelangt. Hier dagegen waren alle diese Schritte getan, und sogar noch viel mehr.
Was schon Descartes verfocht, daß nämlich das Leben des Menschen willkürlich verlängert werden könne, wenn auch nicht zu ewigem Leben auf dieser Erde, doch bis zu einem patriarchalisch hohen Lebensalter von etwa hundert Jahren, das war hier Wirklichkeit geworden. Ja, dieser philosophische Traum war sogar übertroffen, denn die Fülle gesundester Lebenskraft hielt bei diesem Volke in voller Stärke bis zu einem Alter von über hundert Jahren an.
Mit diesem hohen Lebensalter war also ein noch größerer Segen verknüpft  der Segen vollständiger Gesundheit. Die Krankheiten, soweit sie bei dieser Rasse überhaupt noch auftraten, wurden durch die wissenschaftliche Anwendung jener ebenso lebenserkraftenden wie lebenzerstörenden Naturkräfte, die dem Vril innewohnen, mit Leichtigkeit beseitigt. Diese Idee ist ja auch bei uns auf der Erdoberfläche nicht unbekannt, obgleich sie leider meist nur von Enthusiasten oder Phantasten aufgegriffen worden ist und von uns bisher nur mit so völlig unklaren und verschwommenen Begriffen, wie Mesmerismus, Od, Magnetismus und dergleichen abgetan wurde und deshalb unerkannt blieb. Über die dort so allgemeine Verwendung von Flügeln zum Fliegen denkt allerdings bei uns noch jeder Schuljunge heutzutage, daß so etwas nur im vorsintflutlichen Altertum versucht wurde und unmöglich sei. Aus all diesen Gründen ist es gewiß nicht zu leugnen, daß die Lebensführung bei den Vrilya unvergleichlich viel glücklicher ist als bei irgendwelchen Rassen auf Erden. Denn sie haben ja alle die Postulate unserer konsequentesten Philantropen verwirklicht, ja, ihr Zustand nähert sich jener Art überirdischer Vollkommenheit, wie sie sich in den Köpfen unserer Dichter und Denker oft darstellt. Und doch, wenn du tausend der vollendetsten und gelehrtesten lebenden Menschen aus London, Paris, Berlin, New York oder Boston heraussuchen und sie jetzt in dieses von ihnen ersehnte Land hineinversetzen würdest, ich glaube bestimmt, daß in weniger als einem Jahr sie entweder vor Verständnislosigkeit und Langeweile sterben oder irgendeinen Aufruhr zu inszenieren versuchen würden, um sich gegen das Wohl der Gemeinschaft aufzulehnen; woraufhin sie natürlich auf Befehl des Tür zu Asche verbrannt werden müßten.
Ich habe andererseits mit dieser ganzen Erzählung gewiß nicht die Absicht gehabt, jener Rasse, zu der ich gehöre, irgendwelche Unhöflichkeiten zu sagen. Ich habe ja im Gegenteil mich bemüht, den Beweis zu liefern, daß die Prinzipien, auf denen das soziale System der Vrilya beruht, es dort unmöglich machen, daß so hervorragende individuelle Persönlichkeiten aufkommen können, wie sie die Annalen der Welt auf der Erdoberfläche zieren. Wo es keinen Krieg gibt, da kann es natürlich auch keinen Hannibal, keinen Washington, Napoleon, Friedrich den Großen oder sonstige hervorragende Heerführer geben. Wo die Staaten so glücklich sind, daß sie keinen Wechsel ihres Zustandes mehr wünschen, da kann es auch keinen Demosthenes, Robespierre, Metternich oder sonstige hervorragende Staatsmänner geben, und wo es eine Lebensführung gibt, in der keine Verbrechen und Sorgen mehr auftreten, die als Elemente einer dramatischen Tragödie, und in der auch keine Verrücktheiten und Schelmereien mehr vorkommen, die als Elemente einer satirischen Komödie dienen könnten, da kann es wohl auch keinen Shakespeare oder Moliere geben.
Es ist also durchaus nicht meine Tendenz, meine Mitmenschen auf der Erdoberfläche nur zu tadeln, wenn ich zeige, daß in einer Gemeinschaft voll Kampf und Streit auch die Motive zu individualisierenden Energien und zu persönlichem Willen erwachsen  welche einschlafen und
in dieser Art unmöglich sind in einer Umgebung, wo völlige Harmonie und schuldloses Glück vorherrschen, was wir ja meist für das einzige Los der seligen Unsterblichen zu halten pflegen. Ich will auch nicht einmal die Gemeinschaft der Vrilya als eine Idealform des sozialen Organismus hinstellen, die wir bei uns in dieser Art anstreben sollten. Im Gegenteil, da wir durch die Jahrtausende hindurch eine völlig andere Struktur des menschlichen Charakters heranentwickelt haben, so würde es für uns völlig unmöglich sein, etwa plötzlich diese Lebensformen übernehmen zu wollen, oder den Versuch zu machen, unser leidenschaftsdurchsetztes Temperament in diese Gedankenformen der Vrilya einspannen zu wollen. Ich kam deshalb zu der Überzeugung, daß die Vrilya zwar ein Entwicklungsstadium der menschlichen Rasse darstellen, wie es aus unserer arischen Urmenschheit heraus sich zu bilden vermag, aus welchem gemeinsamen Stamme ja die großen Zivilisationen dieser Erde entsprangen, und daß sie auch gewiß einst durch derartige Entwicklungsstadien durch gegangen sind, die unserem jetzigen Zustand auf der Erdoberfläche entsprechen, daß sie sich aber andererseits doch in einen Zustand hineinentwickelt haben, mit dem wir Menschen von heute gewiß nicht eins werden sollen. Deshalb fürchte ich auch, daß, wenn jemals diese Rasse in den Welten des Tageslichts in Erscheinung treten sollte, sie ihrer eigenen traditionellen Überzeugung gemäß die jetzt lebenden Arten der Menschheit auslöschen und durch andere ersetzen würden. 


Die Vrilya würden bei ihrem Auftauchen durch die Verlockungen jener Sonnenstrahlen, wie wir sie erleben, sicher verleitet werden, ihren dauernden Wohnsitz auf der Erdoberfläche errichten zu wollen, und sie würden sofort auch das Werk der Zerstörung beginnen, die bereits zivilisierten Gebiete in Besitz nehmen und ohne Bedenken alle Insassen beiseite bringen, die ihren Absichten widerstehen sollten. Und wenn ich nun an ihre Verachtung für die primitiven Staatsformen des KoomPosh oder der Mehrheitsregierungen denke, andererseits an den Selbstbehauptungssinn meiner amerikanischen Landsleute, dann graut mir vor dem ersten Auftauchen der Rasse Vrilya im Lande Amerika  und da dies das entwickeltste Land ist, so wird dort sicher der Ausgangspunkt sein.  Ja, wenn es dann heißen sollte:« Diesen Teil der Erdoberfläche wollen wir jetzt bewohnen, Bürger eines KoomPosh, weicht der Herrschaft einer Rasse von Vrilya!» so würde, selbst wenn meine Landsleute dies bekämpfen wollten, doch nach kürzester Zeit niemand mehr am Leben sein, um sich um die alten Fahnen zu sammeln. Das waren so meine Gedanken. 


Ich sehnte mich jetzt, nach der Oberwelt zu entfliehen, aber vergebens sann ich auf Mittel zur Ausführung. Da man mir niemals erlaubte, allein das Haus zu verlassen, so konnte ich nicht einmal jene Stelle aufsuchen, von wo ich hierhergekommen war, um zu sehen, ob eine Rückehr
auf dem gleichen Wege wohl möglich sei. Nicht einmal in den Stillen Stunden, wenn alles schlief, konnte ich mein in einem höheren Stockwerk gelegenes Zimmer verlassen.
Denn die menschenähnlichen Automaten, die meiner Befehle spottend an den Wänden herumstanden, verstand ich nicht in Bewegung zu setzen, auch wußte ich nicht, wie die Maschinerie der Platten bedient werden muß, welche die Treppen zum Abstieg ersetzen. 


Die Kenntnis all dieser Mechanismen war mir sicher absichtlich vorenthalten worden. Ach, hätte ich doch wenigstens gelernt, die Flügel zum Fliegen zu gebrauchen, deren sich jedes Kind hier bediente, dann wäre es leicht gewesen, aus dem Gefängnis zu fliegen, die Felsen zu erreichen und die ungangbarsten Schluchten zu ersteigen, die mich jetzt an der Flucht gar grausam verhinderten!

25.  KAPITEL

Eines Tages, als ich einsam im Zimmer saß und in Gedanken versunken war, kam Tae durch das offene Fenster hereingeflogen und ließ sich neben mir nieder. Ich freute mich stets über den Besuch dieses Knaben. Da es mir gestattet war, in seiner Gesellschaft das Haus zu verlassen und ich im stillen nach einer Gelegenheit suchte, eine Stelle für meine Rückehr zur Oberwelt zu entdecken, fragte ich ihn sogleich, ob er Lust habe, mich auf einem Spaziergang durch die Umgegend zu begleiten. Sein Gesichtsausdruck schien mir ernster denn sonst, als er sagte:
«Ich kam in der Absicht hierher, Sie dazu aufzufordern.»
Bald befanden wir uns auf der Straße. Als ich mich umwandte, sah ich das Staatsoberhaupt mit dem den Vrilya eigenen ruhigen und sicheren Schritt auf uns zukommen. Bei dem Anblick dieses Gesichtes durchlief mich die gleiche Furcht, die mich schon beim ersten Male so stark in Bann hielt. Auf dieser Stirn, in diesen Augen lag jenes gleiche unbeschreibliche Etwas, welches kundtat, daß diese Rasse für die unsrige etwas Schicksalbeschwörendes hat  dieser seltsame Ausdruck des erhabenen Bewußtseins, frei zu sein von unseren gewöhnlichen Sorgen und Leidenschaften, und eine überlegene Macht zu beherrschen, welche mitleidsvoll, aber unerschütterlich ist, gleich der eines Richters, der das Urteil zu sprechen hat. Ich erbebte und, nach einer tiefen Verneigung, drückte ich den Arm meines jugendlichen Freundes und zog ihn fort. Der Tür stand einen Augenblick noch unmittelbar vor uns, schaute mich kurz und wortlos an, dann drehte er sich gemessen beiseite und ging schweigend fort. 


26.  KAPITEL

Als Tae und ich wieder allein auf der Straße dahinwanderten, die von der Stadt aus in der Richtung der Kluft führt, durch welche ich einstmals herabgekommen war in diese Regionen ohne Sonne und Gestirne, da sagte ich mit unterdrückter Stimme: «Mein kleiner Freund, es liegt ein Ausdruck in Ihres Vaters Antlitz, der mich erschrecken läßt. Mir ist bei dem Anblick dieser furchterregenden Ruhe, wie wenn ich den Tod anschaute.» 


Tae antwortete nicht sogleich. Er schien auch erregt und wie im Kampf mit sich selbst, durch welche Worte er mir eine unangenehme Nachricht am mildesten beibringen könne. Endlich sagte er:
«Bei den Vrilya hat man keine Furcht vor dem Tod fürchten Sie ihn?»
«Der Menschenrasse, der ich angehöre, ist die Furcht vor dem Tode wohl angeboren. Wir können diese Furcht besiegen, wenn Pflicht, Ehrgefühl oder Liebe uns beseelt. Wir können freiwillig sterben für etwas, das wir für wahr halten, auch für unser Vaterland, oder für Menschen, anderen Leben uns mehr liegt als an uns selbst. Aber wenn der Tod uns sonst bedroht, wo sind dann diejenigen Kräfte in uns zu finden, welche jene Furcht überwinden, mit der instinktiv der Gedanke einer Trennung von Leib und Seele verknüpft ist?»
Tae schaute mich nur erstaunt an. Aber es lag sehr viel Mitleid in seiner Stimme, als er nun sagte: «Ich werde meinem Vater erzählen, was Sie gesagt haben, und ihn bitten, Ihr Leben zu schonen.»
«So hat er also schon beschlossen, es zu zerstören?»
«Es ist meiner Schwester Schuld oder Torheit», sagte Tae, etwas beunruhigt, «aber sie sprach heute früh mit meinem Vater über Sie, und nachdem dies vorüber war, rief er mich zu sich, als den obersten unter den Kindern, die mit dem Zerstören alles schädlichen und gefährlichen
Lebens betraut sind, und sagte zu mir: ,Nimm deinen Vrilstab und suche den Fremdling auf, den du so hoch schätzest. Sein Ende sei schmerzlos und sicher.'» 


Ich wich vor dem Knaben zurück und stammelte nur:
«Und Sie haben mich also verräterisch hier herausgelockt, um mich dann zu ermorden ? Ein solches Verbrechen kann ich Ihnen nicht zutrauen.»
«Es ist an sich kein Verbrechen, diejenigen zu töten, die dem Wohl der Gemeinschaft gefährlich sind. Es würde nur ein Verbrechen sein, das geringste Insekt zu töten, das uns nicht schädlich ist.»
«Wenn Sie fürchten, daß ich das Wohl der Gemeinschaft bedrohe, weil Ihre Schwester mich mit einer gewissen Bevorzugung ehrt, wie sie ein Kind für ein neuartiges Spielzeug empfinden mag, so ist es trotzdem nicht notwendig, mich zu töten. Lassen Sie mich zu meiner eigenen Rasse zurückehren, durch die Schlucht, von welcher ich einstmals hierherkam. Wenn Sie mir bloß ein klein wenig helfen, wäre dies jetzt leicht möglich. Sie brauchen ja nur mit Hilfe Ihrer Flügel das Tau, das Sie gewiß aufbewahrt haben, am oberen Ende der Schlucht zu befestigen. Tun Sie nur dies; führen Sie mich zu der Stelle, an der ich herabkam, und ich verschwinde für immer aus Ihrer Welt, so sicher als ob ich unter den Toten weilte.»
«Die Schlucht, durch die Sie hierhergekommen sind? Schauen Sie sich um! Wir stehen jetzt genau an der Stelle, wo sie sich einst öffnete. Was sehen Sie? Nur feste Felsen! Die Kluft wurde auf Befehl Aph-Lins geschlossen, sobald eine Verständigung zwischen ihm und Ihnen während Ihrer Bewußtlosigkeit hergestellt war, und er erfuhr in diesem Zustande von Ihnen selbst, wie die Welt, aus der Sie kommen, geartet ist. Entsinnen Sie sich nicht, wie Zee mich bat, Sie nicht über Ihre Person oder Rasse zu befragen? Als ich Sie an jenem Tage verließ, da rief mich Aph-Lin zu sich und sagte: ,Kein Weg zwischen der Welt des Fremdlings und der unsrigen darf offen bleiben, sonst könnten die Sorgen und Leidenschaften jener Welt auch zu uns dringen. Nimm einige Kinder mit dir, und bearbeitet die Wände der Schlucht mit euren Vrilstäben so lange, bis sie eingestürzt und geschlossen ist, damit niemals ein Strahl unseres Lichtes nach dorthin gelange.'»
Während der Knabe sprach, starrte ich entsetzt auf die undurchdringlichen Felsen vor mir. Hohe und unregelmäßige Steinmassen, deren brandige Färbung noch anzeigte, wo sie verschüttet waren, ragten vom Boden bis in die höchsten Höhen hinauf. Nirgends mehr eine einzige
Spalte!
«So ist also alle Hoffnung dahin», murmelte ich und sank auf dem steinigen Wege zu Boden, «und nie werde ich unser Sonnenlicht wiedersehen.» Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen und betete zu jenem Gott, dessen Existenz ich sonst meistens vergaß, wenn auch sein Werk deutlich genug zu uns spricht. In der Tiefe einer unbekannten Welt und am Rande des Grabes erst fühlte ich seine Wirklichkeit. So gestärkt, schaute ich auf, faßte Mut und, indem ich mit einem ruhigen Lächeln meinem Begleiter ins Gesicht sah, sagte ich:
«Nun, wenn Sie mich töten müssen, so tun Sie es!»
Ruhig schüttelte Tae seinen Kopf: «Nein, meines Vaters Befehl ist nicht so eindeutig gegeben, daß mir gar keine Wahl bliebe. Ich werde noch einmal mit ihm sprechen, und vielleicht kann ich Sie retten. Seltsam, daß Sie diese Furcht vor dem Tod haben, die wir nur dem Instinkt der
niedrigeren Geschöpfe zuschreiben, welche das Bewußtsein von einem Leben nach dem Tode nicht haben. Bei uns kennt kein Kind diese Furcht. Sagen Sie, lieber Tish», meinte er nach einer kurzen Pause, «würde es Ihnen vielleicht leichter fallen, das jetzige Leben mit dem Leben, das jenseits der Todespforte liegt, zu vertauschen, wenn ich Sie dabei begleitete? Wenn Ihnen das leichter ist, brauche ich nur meinen Vater zu fragen, ob ich Sie begleiten darf. Ich bin ja ohnehin einer von denjenigen meiner Generation, welche auswandern in die unbekannten Gebiete der Erde. 


Ich würde ebenso leicht und gern auswandern in die unbekannten Gebiete einer außerirdischen Welt. Gott ist ebenso dort wie hier. Wo ist er nicht?»
«Kind», sagte ich zu Tae, da ich sah, daß er durchaus im Ernst sprach, «ich halte es für ein Verbrechen, wenn Sie mich töten, ich würde es aber auch für ein Verbrechen halten, wenn ich von Ihnen verlangen wollte, sich selbst zu töten. Die Vorsehung setzt doch wohl die Zeit unserer
Geburt und die Zeit unseres Todes fest. Gehen wir nach Hause. Wenn Ihr Vater, bei Ihrer Rücksprache mit ihm, meinen Tod beschließt, geben Sie mir, bitte, nur eine Warnung, so früh als es möglich ist, damit ich wenigstens eine kurze Zeitspanne habe, mich auf den Tod vorzubereiten.»
Wir gingen zur Stadt zurück, nur von Zeit zu Zeit ein Wort miteinander wechselnd. Wir konnten ein jeder des anderen Gedankenwelt nicht verstehen. Ich fühlte mich gegenüber diesem Knaben mit seiner sanften Stimme und seinem schönen Antlitz, wie ein Überführter demjenigen gegenüber fühlt, der die Gesetze kennt, ausführt und den Weg zum Richtplatze weist. 


27.  KAPITEL

Inmitten jener Stunden, die dem Schlaf vorbehalten sind und bei den Vrilya das Wesen der Nacht ersetzen, wachte ich auf. Ich wurde in meinem kurzen Schlummer durch eine Hand geweckt, die meine Schulter berührte. Ich fuhr erschreckt auf und sah Zee neben mir stehen. «Still», sagte sie flüsternd, «daß niemand uns hört. Glaubst du, daß ich aufgehört habe, über dich zu wachen, weil ich deine Liebe nicht gewinnen konnte? Ich habe Tae gesprochen. Er hat nichts bei seinem Vater ausgerichtet, der unterdes mit drei Gelehrten verhandelt hat, deren Rat er in solchen Dingen erfragt, und auf ihr Anraten hin hat er dich mit dem Wiedererwachen der Welt zum Tode verurteilt. Ich werde dich retten. Steh auf und zieh dich an!»
Zee deutete auf einen Tisch, auf dem die Kleider lagen, in denen ich aus meiner Welt herübergekommen war und die ich unterdes gegen die malerischen Kleider der Vrilya vertauscht hatte. 

Die junge Gy ging dann aufs Fenster zu und betrat den Balkon, während ich hastig und erstaunt meine eigenen Kleider anzog. Als ich sie auf dem Balkon wiedertraf, war ihr Gesicht ruhig und starr. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich zurück ins Zimmer, dann auf den Korridor, von wo wir in die Halle hinabfuhren. Wir betraten nun die verlassenen Straßen, dann den breiten Weg, der sich an den Felsen entlangschlängelt. In dieser Landschaft, wo es weder Tag noch Nacht gibt, sind die Stillen Stunden von seltsamer Feierlichkeit  der weite Raum, der durch das Geschick der Sterblichen künstlich erleuchtet wird, ist in solcher Zeit ganz ohne die geringsten
Zeichen und Laute des Lebens. So leise unsere Fußtritte auch waren, berührte ihr Laut das Ohr doch hart und störte das Harmonische der umfassenden Ruhe. Obgleich Zee nichts gesagt hatte, war ich innerlich sicher, daß sie entschlossen war, mir zur Flucht in die Welt der Erdoberfläche zu helfen, und daß wir jenem Punkte zuschritten, von dem ich einstmals gekommen war. Ihr Schweigen bedrückte mich, doch war auch ich still. Jetzt waren wir angelangt bei der Schlucht. Sie war wieder geöffnet! Allerdings bot sie nicht mehr den gleichen Anblick wie früher, aber es war in dem Fels, der beim Besuch mit Tae am vorigen Tage geschlossen war, jetzt ein neuer Spalt künstlich geöffnet, und längs den schwarzklaffenden Wänden glühten und verglimmten noch Funken. Mein suchender Blick vermochte nicht tief in das Dunkel der Höhle zu dringen, und verwirrt stand ich da und erwartete staunend, wie der grausige Abgrund zu überwinden sei.
Zee erriet meine Gedanken und sprach: «Fürchte nichts, deine Rückehr ist sicher. Ich vollbrachte diese Arbeit, seit die Stillen Stunden begannen und als alles schlief. Glaube mir, daß ich nicht ruhte, bis der Weg in die andere Welt fertig war. Jetzt ist es nur noch kurze Zeit, bis du sagen kannst: Geh, ich bedarf deiner nicht mehr.»
Ich empfand rechte Gewissensbisse bei diesen Worten und erwiderte: «Wenn du doch von meiner Welt wärst und ich von deiner! Dann brauchte ich dies gewiß nicht zu sagen.»
«Ich segne dich für diese Worte und werde mich ihrer erinnern, wenn du fort bist», antwortete die Gy.
Sie wandte sich einen Augenblick ab, und als sie sich mir wieder zukehrte, da leuchtete jenes eigenartige sternförmige Gebilde, das sie auf ihrer Stirn trug, und zwar ward nicht nur ihre Stirn und Gestalt, sondern auch die uns umgebende Atmosphäre durch die Strahlenquelle des Diadems hell erleuchtet.
Dann sagte sie: «So, nun halte dich an mir fest. Nur Mut und faß alle Kräfte zusammen!»
Während sie sprach, breiteten sich ihre mächtigen Flügel weit auseinander. Ich klammerte mich an ihr fest und wurde hoch in die Luft durch die furchtbare Kluft getragen. Das seltsame Licht, das die Fliegende ausstrahlte, durchdrang und erleuchtete die uns umgebende Dunkelheit.
Strahlend, sicher und rasch war der Flug der Gy, gleichwie ein überirdisches Wesen die Seele eines dem Grabe Entstiegenen aufwärts trägt. Da vernahm ich auf einmal von fernher das Summen menschlicher Stimmen und die Geräusche menschlichen Tuns. Jetzt befanden wir uns in dem Schacht eines Bergwerks und in der Ferne brannten die düsteren, matten Flammen in den Lampen der Bergleute. —
Ich hörte nun das sich entfernende Rauschen der Flügel und sah, wie das leuchtende Diadem verschwand in der Dunkelheit. 


Noch eine Zeitlang saß ich am Boden, durchwogt von düsteren Gedanken. Dann stand ich auf und schritt langsam jener Richtung zu, wo die menschlichen Stimmen ertönten.
Alle Bergleute waren mir fremd, von einem anderen Volk als ich selbst. Verwundert starrten sie mich an, doch als ich ihre Fragen, die in fremder Sprache gestellt waren, ohne Antwort ließ, wandten sie sich wiederum ihrer Arbeit zu, und ich konnte ungestört meinen Weg fortsetzen.
Weiterwandernd entdeckte ich endlich den Ausgang des Bergwerks.
Ich habe mich wahrlich gehütet, nach meiner früheren Wohnstatt zu forschen, sondern vermied sorgfältig eine Umgebung, wo ich Fragen erwarten mußte, die ich niemals hätte beantworten können. 


Wohlbehalten erreichte ich bald mein eigenes Land, wo ich friedlich dahinlebte, mit so mancherlei Arbeit beschäftigt, bis ich mich vor drei Jahren in die Ruhe zurückzog.
Man hat mich nur selten zu drängen versucht, von den Erlebnissen und Abenteuern meiner Jugend zu sprechen. Enttäuscht, wie wohl die meisten unter den Menschen, von den Ergebnissen dieses irdischen Lebens, sitze ich oftmals des Abends allein und wundere mich, wie ich auf so vieles verzichten konnte, und wenn es auch an die größten Gefahren und an seltsame Bedingungen geknüpft war. 


Doch wenn ich dann denke, daß eine Rasse sich stetig entwickelt in Regionen, die unseren Blicken entzogen sind und deren Existenz von unserer Gelehrsamkeit noch verneint wird; daß dort Kräfte in ihrer Entfaltung sind, welche die Leistungen uns bekannter Naturkräfte so gewaltig in Schatten stellen; daß sich dort Regeln der Lebensführung heranbilden, die im polarischen Gegensatz stehen zu der Gedankenwelt, die unser politisches und soziales Leben bestimmt, um so inniger hoffe ich, daß noch viele Jahrhunderte hingehen mögen, bis die durch das Weltenschicksal bedingten Zerstörer in der Welt unseres Sonnenlichts auftauchen werden.
Da mir jedoch mein Arzt aufrichtig sagte, daß ich an einem Übel leide, welches zwar wenig Schmerzen verursacht und sich nur langsam bemerkbar macht, doch jeden Augenblick dieses irdische Schicksal beenden kann, habe ich es als meine bittere Pflicht erkannt, meine Mitmenschen vor dieser Zukunft der Menschheit zu warnen!


aus dem =>gleichnamigen Buch